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Erneute Rügen für Deutschland von der GRECO

Deutschland erfüllt internationale Erwartungen zur Prävention von Korruption wieder nicht

Die Staatengruppe gegen Korruption des Europarates (GRECO) kritisiert Deutschland auch in ihrem neuen Bericht. Dieser bemängelt u.a. die fehlende Transparenz von Lobbykontakten sowie unklare Regelungen bei Interessenskonflikten und Karenzzeiten.

von Lisa Böhm, 04.04.2023

Der aktuelle GRECO-Bericht ist ein Armutszeugnis für Deutschland. Der fünfte Bericht für Deutschland der GRECO befasst sich mit der „Korruptionsprävention und Integritätsförderung in Zentralregierungen (hochrangige Entscheidungsträgerinnen und -träger der Exekutive) und Strafverfolgungsbehörden". Von den acht Empfehlungen, die sich mit der Korruptionsprävention von Regierungsmitgliedern und Hochbeamt:innen der Exekutive befassen, wurde nur eine zufriedenstellend umgesetzt. Vier wurden immerhin teilweise umgesetzt, bei drei der Empfehlungen hat sich jedoch gar nichts getan. Die anderen Punkte des Berichts beschäftigen sich mit Korruptionspräventionsmaßnahmen bei den Strafverfolgungsbehörden, auf die wir bei unserer Analyse nicht genauer eingehen.

Bereits vor einigen Monaten hatten wir die Erkenntnisse aus dem letzten GRECO-Bericht hier geteilt.

Die meisten Empfehlungen decken sich mit langjährige Forderungen von abgeordnetenwatch.de und anderen Transparenzorganisationen. Wir haben uns auf fünf Punkte fokussiert, die anderen Empfehlungen befinden sich in der Tabelle am Ende des Artikels.

 

1. Fehlende Transparenz über Einfluss auf Gesetze (legislativer und exekutiver Fußabdruck)

„GRECO empfahl wesentliche Beiträge zu Gesetzesentwürfen, die vor der Einleitung des Beteiligungsverfahrens eingehen, nebst deren Quelle zu identifizieren, zu dokumentieren und offenzulegen.“

Um genau zu erfahren, wer aus der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft an einem Gesetz mitgewirkt hat, muss die Öffentlichkeit erfahren, welche Einflüsse es durch die Zusendung von Dokumenten oder Positionspapieren auf das Gesetzesvorhaben gab. Dies gilt sowohl für Einflüsse auf das Parlament als auch auf die Exekutive. Das nennen Expert:innen den legislativen bzw. exekutiven Fußabdruck.

Obwohl die GRECO bereits seit 2018 den Punkt in ihre Berichte aufnimmt und trotz Aufnahme des Themas „legislativer Fußabdruck“ in den Koalitionsvertrag der Ampelparteien, ist seit 2021 gar nichts passiert. Diesen Punkt kreidet die GRECO in ihrem Bericht deutlich an.

 

2. Lobbyregister ja, Kontakttransparenz immer noch nicht

Die GRECO begrüßt die Einführung eines Lobbyregisters im Januar 2022 – sieht hier jedoch noch zahlreiche Lücken. Eine Lücke betrifft die vielen Ausnahmen, die einige Akteure noch von einem Eintrag ins Register befreien. Da ist die GRECO sehr klar: Es sollte keine Ausnahmen geben.

„Nach Auffassung von GRECO sollten Regelungen zur Lobbyarbeit ausdrücklich all jene Dritte einschließen, die die Willensbildung der Regierung beeinflussen wollen.“

Auch hier ist ein Nachschärfen des Lobbyregistergesetzes von den Ampelparteien geplant, passiert ist aber noch nichts.

Ein weiterer Kritikpunkt gehört zu den dringendsten Forderungen von abgeordnetenwatch.de: Welche Lobbyist:innen sprechen mit welchen Regierungs- oder Parlamentsvertreter:innen über welche Themen? Aus dem aktuellen Lobbyregister geht dies nicht hervor. Genau diese Kontakttransparenz fordert auch die GRECO und unterstreicht damit klar unsere Forderung:

„GRECO ist […] der Auffassung, dass die Behörden […] ausreichende Informationen über den Zweck von Kontakten mit Lobbyisten und anderen Dritten offenlegen sollten, die Entscheidungen oder Handlungen der Regierung zu beeinflussen suchen.“

„GRECO empfahl die Einführung detaillierter Regelungen über die Art und Weise, in der hochrangige Entscheidungsträgerinnen und -träger der Exekutive Kontakte mit Lobbyistinnen und Lobbyisten […] unterhalten und die Offenlegung ausreichender Angaben über die mit diesen Kontakten verfolgten Zwecke […] sowie die jeweilige[n] konkrete[n] Gesprächsinhalt[e].“

  • Hier geht es zu unserer Petition zum Thema Kontakttransparenz!

 

3. Fehlende Kontrolle der Unbestechlichkeit von Regierung und hohen Beamt:innen

Die GRECO begrüßt, dass es seit 2021 eine Orientierungshilfe beim Amtsantritt jedes Mitgliedes der Exekutive mit einem Kapitel „Leitlinien und Regelungen zur Integrität und Vermeidung von Interessenkonflikten“ gibt. Darin seien alle Richtlinien und Verbote ausgeführt.

Problem: Diese Datei ist nicht öffentlich, damit ist nicht ersichtlich, „welches Verhalten von hochrangigen Entscheidungsträgern erwartet werden kann.“

Außerdem gibt es nur die Kontrolle des Parlaments über die Einhaltung des Kodex‘. Es gibt keine andere Mechanismen: Bei Fehlverhalten werden Minister:innen außer durch eine parlamentarische und daher politische Kontrolle wenig bis gar nicht zur Rechenschaft gezogen.

Eine Kritik und Forderung, die abgeordnetenwatch.de teilt: Wir fordern die Schaffung einer unabhängigen Kontrollinstanz, wie es sie in anderen europäischen Ländern gibt, die extern alle Transparenzvorschriften für Mitglieder der Exekutive und der Legislative überwachen würde.

 

4. Immer noch keine Standardregelung bei Karenzzeiten

Vom politischen Amt direkt in die freie Wirtschaft? Diese Seitenwechsel sind problematisch. Sie ermöglichen, dass ehemalige Regierungsmitglieder und Hochbeamt:innen ihre gut gefüllten Adressbücher für private Interessen direkt nach ihrer Amtszeit versilbern können. Es gibt in Deutschland zwar die Möglichkeit, dass eine Karenzzeit von 12 bis 18 Monaten bei ehemaligen Regierungsmitgliedern angewendet wird, dies greift aber nicht automatisch und betrifft nur die Minister:innen und Staatssekretär:innen, nicht die Abteilungsleiter:innen.

Da könnten die Meinungen von Bundesregierung und GRECO nicht weiter voneinander entfernt liegen:

  • Während die Staatengruppe GRECO empfiehlt, dass eine Karenzzeit auch bei Hochbeamt:innen gilt, berufen sich die deutschen Behörde auf die Berufsfreiheit und schließen die Maßnahme aus.

  • Die GRECO empfiehlt eine längere Karenzzeit, da „es in der Privatwirtschaft sicherlich Posten gibt, für die eine längere Karenzzeit gelten sollte als die derzeit vorgeschriebenen 12 bis 18 Monate.“

  • Das Gremium, das über eine mögliche Karenzzeit für ein ehemaliges Regierungsmitglied entscheidet, setzt sich aus Bundespolitiker:innen zusammen und wird auf Vorschlag der Bundesregierung jeweils für eine Wahlperiode des Deutschen Bundestages vom Bundespräsidenten berufen. Das sieht die GRECO kritisch, da die Zusammensetzung zu politisch und nicht ausreichend unabhängig sei. Das bestreitet die Bundesregierung.

  • „Ebenso wurde nicht über die Einführung von Strafen für den Fall nachgedacht, dass eine Entscheidung zur Karenzzeit nicht beachtet wird“, bedauern die Korruptionswächter:innen.

Antwort der deutschen Behörden: „Keine Notwendigkeit für eine Sanktionierung möglicher Verstöße“. Sie gehen „grundsätzlich von der Eigenverantwortung ehemaliger Regierungsmitglieder für rechtstreues Verhalten auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt aus.“ Zahlreiche Investigativ-Recherchen von abgeordnetenwatch.de zeigen, dass von ehemaligen Minister:innen hier bei Weitem nicht von einem „rechtstreuen Verhalten“ auszugehen ist. Aus unseren Recherchen geht hervor, wie zahlreich diese Wechsel in der Vergangenheit vorkamen:

  • Hier nachlesen: Die diskreten Lobbyjobs der Ex-Abgeordneten
  • Hier nachlesen: Sigmar Gabriel lobbyierte bei Merkel für die Deutsche Bank 

Wir fordern eine automatische Karenzzeit bei allen ehemaligen Regierungsmitgliedern und Hochbeamt:innen des ersten Grades in Höhe von drei Jahren.

 

5. Keine Offenlegung des Gesamtvermögens von Regierungsmitgliedern

In anderen europäischen Ländern ist es bereits Standard, dass Politiker:innen – Mitglieder der Exekutive und Legislative – ihre gesamte Finanz- und Vermögenslage bei Amtseintritt und dann regelmäßig für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Seit 2021 müssen die Abgeordneten des Bundestags zwar detailliertere Informationen zu ihren Nebeneinkünften offenlegen – für Regierungsmitglieder, die keine Abgeordneten sind, gilt dies jedoch nicht. Es gibt in Deutschland keine einzige Veröffentlichungspflicht für Regierungsmitglieder sowie keine Pflicht bei Volksvertreter:innen, ihr gesamtes Vermögen in Form einer Finanzerklärung zu verkünden.

Auch hier sieht die GRECO klaren Handlungsbedarf, denn ihre bisherigen Empfehlungen wurden nicht umgesetzt. Die Bundesregierung spricht eine klare Ablehnung der Maßnahme aus: Sie sehe nicht, inwiefern eine solche Erklärung zur Korruptionsbekämpfung beitrage und befürchte eine Beeinträchtigung der Grundrechte der Regierungsmitglieder, indem private Informationen veröffentlicht wären.

Für abgeordnetenwatch.de eine unzulässige Argumentation: Die Länder, die eine Pflicht der Vermögenserklärung eingeführt haben, haben dies nach massiven Korruptionsskandalen von Regierungsmitgliedern getan. So weit muss es nicht kommen, sondern es muss präventiv gehandelt werden. Nur eine komplette Vermögenstransparenz kann Interessenskonflikte und mögliche Verquickungen vermeiden.

Die Empfehlungen der GRECO in einer Tabelle

Empfehlung der GRECO

Bisherige Umsetzung

GRECO Bewertung

Verhaltenskodex und Orientierungshilfe für hochrangige Entscheidungträger:innen sowie dazugehörige Kontrollmechanismen

Verhaltenskodex und Orientierungshilfe wurden eingeführt, eine ordentliche Kontrolle fehlt noch

teilweise umgesetzt

Integritätsprüfung von Regierungsmitgliedern

 

„Systematische Unterrichtung der Bundesministerinnen und
Bundesminister sowie der parlamentarischen Staatssekretärinnen und
parlamentarischen Staatssekretäre zu Fragen der Integrität, zunächst bei Amtsantritt
und danach in regelmäßigen Abständen“

Eine Unterrichtung findet zu Beginn der Legislaturperiode statt, es fehlt jedoch eine regelmäßige Wiederholung.

teilweise umgesetzt

 

Unabhängige und gründliche Überprüfung des Informationsfreiheitgesetzes

Es gäbe derzeit politische Überlegungen das Gesetz zu überarbeiten, passiert ist jedoch noch nichts.

Dazu haben abgeordnetenwatch.de und sieben andere Organisationen einen Gesetzentwurf für einen bundesweiten Transparenzgesetz der Regierung und Parlament vorgelegt, das die automatische Veröffentlichung von Dateien vorsieht. Damit wäre die Empfehlung der GRECO umgesetzt.

nicht umgesetzt

Legislativer und exekutiver Fußabdruck

 

„wesentliche Beiträge zu Gesetzesentwürfen, die vor der Einleitung des
Beteiligungsverfahrens eingehen sollen nebst deren Quelle identifiziert, dokumentiert
und offen gelegt werden.“

Ein Fußabdruck ist laut Koalitionsvertrag geplant, passiert ist jedoch noch nichts.

nicht umgesetzt

Veröffentlichung von detaillierten Lobbyinformationen und der dazugehörigen Kontakttransparenz

Einführung des Lobbyregisters, Kontakttransparenz fehlt noch.

teilweise umgesetzt

Klare Bestimmungen und Orientierungshilfen zum Umgang mit Interessenskonflikten sowie ad hoc Offenlegungspflichten

Bundesregierung verweist auf bestehende Regelungen und die neu eingeführten Orientierungshilfen.

teilweise umgesetzt

Verlängerung der Karenzzeiten, Änderung des zuständigen Gremiums und Einführung von Sanktionen bei Verstößen gegen Regelungen

Bundesregierung verweist auf bestehende Regelungen, betont Zufriedenheit mit dem aktuellen Gremium und sie sieht keine Notwendigkeit der Sanktionierung

nicht umgesetzt

Offenlegung von privaten Vermögen von hochrangigen Entscheidungsträger:innen sowie deren Angehörigen, sowie dazugehörige Prüfungsmechanismen

Verweis auf Grundrechte, hier ist nichts passiert und nichts in Planung.

nicht umgesetzt

 

Die weiteren Empfehlungen beziehen sich auf die Korruptionsprävention und Förderung der Integrität in Strafverfolgungsbehörden. Diese können Sie ebenso wie die ausführlichen Empfehlungen und dazugehörigen Reaktionen der Bundesregierung im aktuellen Bericht hier nachlesen.

Was ist die GRECO?

Die Staatengruppe des Europarates gegen Korruption wurde 1999 gegründet und hat aktuell rund 50 Mitgliedsstaaten. Sie gibt Empfehlungen und fordert die jeweiligen Staaten dazu auf diese umzusetzen. In regelmäßigen Abständen wird der Fortschritt von Expert:innen und Gutachter:innen aus anderen Mitgliedsstaaten überprüft.

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