Die Wahlbeobachtungsmission der Parlamentarischen Versammlung der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) hat ihre Abschlusserklärung zur Bundestagswahl vorgelegt. Darin empfehlen sie angesichts des Wahlergebnisses zum Thema Gleichstellung im Bundestag:
„Zwar haben viele Parteien interne Quoten um Geschlechtergleichstellung zu fördern, allerdings könnten gesetzliche Regelungen für ein ausgeglicheneres Geschlechterverhältnis in der Politik sorgen.“
(Original: „While many parties have internal quotas to promote gender balance, consideration of legal mechanisms could promote greater balanced representation in politics.“)
Hintergrund dieser Anregung ist die Verpflichtung der Bundesrepublik im Rahmen der OSZE Standards für demokratische Wahlen. Dort heißt es:
„Allgemeine Diskriminierung, u.a. bei der Beteiligung im öffentlichen Leben, führen zu Hindernissen für Frauen zu einer fairen und effektiven Repräsentation.“
(Original: „...women often face barriers to fair and effective representation due to generalized discrimination, including with respect to their participation in public life.“)
Weiter:
„Um sich dem Problem der fehlenden Gleichstellung anzunehmen, sollten Staaten Wahlsysteme einführen, die die vollständige Gleichstellung von Männern und Frauen fördern, damit diese ihre gleichberechtigte Teilnahme an Wahlen und öffentlicher Teilhabe wahrnehmen können. Spezielle Regelungen können eingeführt werden, um die Zahl weiblicher Kandidatinnen und Gewählten zu erhöhen.“
(Original: „To combat discrimination in representation, states should strive to establish electoral systems that facilitate full equality of men and women so that both men and women may fully realize their guaranteed rights to electoral and public participation.“ und „special measures may be taken to increase the number of female candidates and office-holders. “)
Zwischen Trinidad und Tobago und dem Sudan
Am vorvergangenen Sonntag wurden 491 Männer und 218 Frauen in den Deutschen Bundestag gewählt, was einem Anteil an weiblichen Abgeordneter von 30,7 Prozent entspricht. Anders gesagt: Im Parlament gibt es mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen. Der letzte Bundestag hatte noch einen Frauenanteil von 37 Prozent. Mit der jetzigen Quote rangiert Deutschland international zwischen Trinidad und Tobago und dem Sudan.
Vordergründig ist die Ursache schnell gefunden: Mit der AfD und der FDP sind zwei Parteien in den Bundestag eingezogen, die einen besonders niedrigen Frauenanteil unter den gewählten Abgeordneten haben. Bei der AfD sind es 11 von 94 (11,7 Prozent mit Frauke Petry und Mario Mieruch), bei der FDP 18 von 80 (22,5 Prozent).
Öffentlicher Protest einer CDU-Kandidatin
Zwei Einwände werden gegen die Kritik am niedrigen Frauenanteil vorgetragen: Frauen hätten ja das gleiche Recht, für die Wahlen zu kandidieren und das gleiche Wahlrecht, das Problem läge also bei den Frauen, die nicht kandidieren bzw. bei den Wählerinnen, die ihr freies Wahlrecht nicht dazu nutzen, Frauen zu wählen. Daraus könne man schlussfolgern, dass es für Frauen nicht wichtig sei, von Frauen vertreten zu werden. Der zweite Einwand schließt sich hier an. Es mache keinen Unterschied in der faktischen Politik, welches Geschlecht Abgeordnete haben, dies habe keinen Einfluss auf die Gestaltung von Gesetzen. Das gelte sowohl allgemein als auch im Hinblick auf geschlechtersensible Politik, wie z.B. Gleichstellungspolitik (Frauenquote in Konzernvorständen, Anrechnung von Pflege- und Erziehungsarbeit, Abtreibungsrecht, etc.).
Dem ersten Einwand ist zu entgegnen, dass gleiches Recht noch keine faktische Gleichheit produziert. Wie die Verpflichtungen der OSZE-Staaten für demokratische Wahlen anmerken, haben Frauen oft trotz gleicher Rechte Schwierigkeiten, ihrem Bevölkerungsanteil angemessen in der Politik vertreten zu sein, weil allgemeine gesellschaftliche Diskriminierung die gleiche Wahrnehmung der gleichen Rechte verhindert. Hiermit ist gemeint, dass Frauen z.B. immernoch weitaus mehr Haushaltsarbeit übernehmen als Männer. Einfach gesagt bügeln Frauen die Hemden der Männer und kochen ihnen Essen und putzen ihren Fußboden und passen auf ihre Kinder auf, während diese auf der Kreisverbandssitzung ihre Nominierung für die Bundestagswahl vorbereiten. Ein guter Indikator dafür ist, dass die Mitglieder in den Parteien auch nicht gleich verteilt sind. Bei der CDU sind 25,5 Prozent der Mitglieder Frauen, bei den Grünen aber auch „nur“ 38,2 Prozent, die damit den Spitzenplatz unter den im Bundestag vertretenen Parteien einnehmen. In der Hamburger CDU hat die damalige Bundestagsabgeordnete und Kandidatin Herlind Gundelach öffentlich protestiert, dass die Männer im Landesverband keine Frau auf die aussichtsreichen Listenplätze gewählt haben. Gundelach, die in einer Kampfkandidatur um Listenplatz 3 einem Parteikollegen unterlag und schließlich auf Platz 5 der CDU-Landesliste antreten musste, hat den Wiedereinzug in den Bundestag verpasst.
Selbst wenn Frauen (und Männer) bevorzugt Frauen wählen wollen würden, haben sie dazu im Bundestagswahlrecht wenig Möglichkeiten. Tritt z.B. bei den Direktkandidierende (Erststimme) ein SPD-Kandidat gegen eine CDU-Kandidatin an, und der Wähler bzw. die Wählerin ist eigentlich politisch eher der SPD zugeneigt, müsste die Person ihre politische Präferenz über Bord werfen, nur um eine Frau zu wählen. Bei den Listen (Zweitstimme) ist es ähnlich: Es kann immer nur eine Liste gewählt werden, wie sie von der Partei aufgestellt wurde und die Kandidatinnen und Kandidaten ziehen nach der vorgegebenen Reihenfolge ein. Eine Bevorzugung von Politikerinnen durch die Wählerinnen und Wähler ist nicht möglich. Es gibt andere Wahlsysteme, bei denen es möglich ist. In Hamburg wird bei der Landtagswahl mit offenen Listen gewählt, d.h. sowohl bei der Erststimme als auch bei der Zweitstimme können Frauen in der Liste nach oben gewählt werden. Der Anteil von Frauen unter den Kandidierenden war insgesamt mit 29,0 Prozent etwas niedriger als der der schließlich gewählten. Betrachtet man aber nur die Kandidierenden von CDU, SPD, CSU, Linke, Grüne, FDP und AfD, lag der Anteil der Frauen an den Kandidierenden bei 32,8 Prozent und damit leicht über dem Wert bei den tatsächlich gewählten Abgeordneten.
Machen Frauen andere Politik?
Der zweite Einwand ist nicht so leicht zu bestätigen oder zu widerlegen, da es keine Versuchsbedingungen gibt, in denen man zwei Parlamente mit unterschiedlichen Frauenanteilen unter ansonsten gleichen Bedingungen vergleichen könnte. Es gibt aber einige anschauliche Beispiele, die den Schluss nahelegen, dass Frauen doch andere Politik machen, vor allem wenn es um Fragen der Gleichstellung geht. Eines sei hier exemplarisch dargestellt: Im Dezember 2011 wurde in Frankreich ein Gesetz in die Nationalversammlung (Unterhaus) eingebracht, das den Schutz von Frauen vor sexueller Ausbeutung, vor allem in der Prostitution, neu regeln sollte. Der Gesetzentwurf orientierte sich an den Empfehlungen des Europäischen Parlaments und maßgeblicher UN-Konventionen und sah eine Straffreiheit für Prostituierte und eine Bestrafung von Freiern vor. Eine Allianz vor allem von Frauen mehrerer Parteien über Koalitionsgrenzen hinweg setzte sich für das Gesetz ein. Da Gesetze in Frankreich in beiden Kammern des Parlaments beschlossen werden müssen, kam das Gesetz anschliessend in den Senat (Oberhaus). Dort, wo es einen deutlich höheren Männeranteil als im Unterhaus gibt, wurde das Gesetz unter der Führerschaft von männlichen Vertretern mehrerer Parteien so geändert, dass Prostituierte bestraft werden, Freier aber nicht. Nachdem sich beide Kammern nicht einigen konnten, lag das letzte Wort beim Unterhaus, das das Gesetz wieder in die ursprüngliche Form zurückänderte und im April 2016 beschloss.
Es bleibt nun abzuwarten, ob der neu gewählte Bundestag mit doppelt so vielen Männern wie Frauen sich den Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung der OSZE annehmen wird oder nicht. In der Zwischenzeit eröffnen wir mit diesem Blogartikel schon einmal die Diskussion zum Thema.