Um eine Gesetzesinitiative abzuwürgen, braucht es einen einzigen Satz. Vergangenen Donnerstag zum Beispiel, da kanzelte CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl die Oppositionsanträge zur Einführung einer Karenzzeit mit den Worten ab: "Sie wissen, dass ein solcher Sachverhalt per Gesetz nicht regelbar ist."
Sein Fraktionskollege Helmut Brand schickte hinterher: "Es gibt überhaupt keinen Grund, diese Debatte, wenige Wochen nachdem sich die Regierung gebildet hat und dies im Koalitionsvertrag festgelegt worden ist, loszutreten." Das allerdings war nur die halbe Wahrheit. Denn im Koalitionsvertrag steht kein Wort von einem verbindlichen Gesetz für eine Karenzzeit, wie von der Opposition gefordert. Lediglich eine "angemessene Regelung" schwebt der GroKo vor - und das kann auch eine rechtlich unverbindliche Selbstverpflichtung sein.
Uhl und Brand verfuhren nach dem "Geht nicht"-Prinzip, und das funktioniert so: Um eine Gesetzesinitiative aufzuhalten oder zu diskreditieren
- bestreitet man deren Notwendigkeit oder behauptet einfach, der Sachverhalt lasse sich gesetzlich nicht regeln.
- Wenn dann doch jemand den Gegenbeweis erbringt, muss ein Gesetzesvorhaben eben inhaltlich aufgeweicht werden.
Genau so sieht es jetzt in Sachen Karenzzeit aus.
Während sich die Unions-Redner am Donnerstagnachmittag im Bundestag noch weit aus dem Fenster lehnten, widerlegten Juristen der Großen Koalition nicht nur die "Geht nicht"-Behauptung, sondern postulierten das genaue Gegenteil: Eine Zwangspause für Regierungsmitglieder muss per Gesetz geregelt werden - eine Selbstverpflichtung reicht nicht aus. Entsprechend meldeten verschiedene Medien am Freitagmorgen:
Allerdings haben die Koalitionspartner recht unterschiedliche Vorstellungen, was die Länge einer Karenzzeit angeht. Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer wollte gegenüber abgeordnetenwatch.de zwar keine konkrete Monatszahl nennen. Dafür gab SPD-Fraktionssprecher Albrecht von Wangenheim Einblick in den aktuellen Diskussionsstand der GroKo: "Wir tendieren zu 18 Monaten, unser Koalitionspartner mit etwa 6 Monaten zu deutlich weniger."
[Update 5.2.2014: Auch wenn Koalitionsjuristen etwas anderes sagen (s.o.) - nicht alle in der SPD vertreten die Meinung, dass eine Karenzzeit gesetzlich geregelt sollte. Der parlamentarische Staatssekretär im Justiz- und Verbraucherschutzministerium, Christian Lange, sagte dem Tagesspiegel: „Nur ist hier aus meiner Sicht eine Selbstverpflichtung von 18 Monaten sinnvoller als ein Gesetz, weil dies leichter umzusetzen ist und keine langwierigen und am Ende für den Staat kostspieligen juristischen Auseinandersetzungen nach sich zieht.“ Kostspielig könne es bei einem Gesetz möglicherweise dadurch werden, dass Politiker nach einem Ausscheiden in der Übergangszeit weiter vom Staat bezahlt werden müssten.]
Nur sechs Monate Auszeit, bevor ein Regierungsmitglied als Lobbyist in der Wirtschaft anheuern darf? Das freilich wäre ein weitgehend wirkungsloses Pseudogesetz, wie sich am Beispiel Ronald Pofalla ganz konkret zeigen lässt: Der frühere Kanzleramtschef, der sein Amt kurz vor Weihnachten aufgegeben hatte, soll ohnehin nicht vor Sommer zur Deutschen Bahn wechseln - dann wäre auch eine sechsmonatige Mini-Auszeit abgelaufen. Und der ehemalige Kanzleramtsminister Eckart von Klaeden hätte einen halbjährigen Zwangsurlaub wohl gut verkraften können, bevor er mitsamt seinem gut gefüllten Adressbuch als Cheflobbyist zum Autobauer Daimler überläuft.
[Update 3.7.2014: Inzwischen ist bekannt geworden, dass der frühere Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel ab Januar 2015 als Lobbyist für den Rüstungskonzern Rheinmetall tätig sein wird. Niebel war im Dezember 2013 aus seinem Ministeramt ausgeschieden. Als Entwicklungshilfeminister entschied er im Bundessicherheitsrat über die Bewilligung von Rüstungsexporten mit.]
Das "Geht nicht"-Prinzip, das jetzt im Fall der Karenzzeiten angewendet wurde, ist nicht neu, es kam vor einigen Monaten schon einmal zur Anwednung. Interessanterweise ging es auch damals um ein Gesetz, das die Parlamentarier selbst betrifft - nämlich die Strafbarkeit von Abgeordnetenbestechung: Aus "verfassungsrechtlichen Gründen" sei eine gesetzliche Regelung gar "nicht möglich", behauptete der CSU-Bundestagsabgeordnete und Fraktionsjustiziar Wolfgang Götzer. Und überhaupt: Man brauche gar kein neues Gesetz, schließlich gebe es ja keine korrupten Abgeordneten: "Wo also ist der Handlungsbedarf?"
Natürlich wurde Götzer inzwischen eines Besseren belehrt - mehrere Rechtspolitiker haben mit ihrem Gesetzentwurf gezeigt, dass die Strafbarkeit von Abgeordnetenbestechung selbstverständlich per Gesetz regelbar ist. Und so hat die Union ihre "Geht nicht"-Haltung inzwischen aufgegeben. Im Koalitionsvertrag heißt es, die Große Koalition wolle "die Strafbarkeit von Abgeordnetenbestechung neu regeln". Diese Formulierung ist derart schwammig, dass die SPD, die für eine Gesetzesverschärfung eintritt, damit ebenso gut leben kann wie CDU und CSU, die ein Anti-Korruptionsgesetz jahrelang blockiert haben.
Jetzt geht es hinter den Kulissen um die konkrete Ausgestaltung einer gesetzlichen Regelung - und da bleibt viel Gelegenheit, den Gesetzestext inhaltlich zu verwässern. Erste Gespräche zwischen den Koalitionären würden bereits geführt, hieß es aus SPD-Kreisen.
Unglaublich, aber wahr: Abgeordnetenbestechung ist in Deutschland (bis auf den direkten Stimmenkauf) nicht strafbar - genau wie in Syrien und Saudi-Arabien. Damit muss endlich Schluss sein! Unterzeichnen Sie jetzt die Petition "Abgeordnetenbestechung bestrafen!"
Mehr als 45.000 Menschen haben bereits mitgemacht. Sobald 50.000 Menschen die Petition unterzeichnet haben, werden wir die Unterschriften an die rechtspolitischen Sprecher von CDU/CSU und SPD überreichen.