Vielleicht hätten sie in der Koalition einfach mal nachrechnen sollen. Wenn Union und FDP heute Nachmittag Abend im Bundestag neue Regeln für die Veröffentlichung von Nebeneinkünften beschließen, geht es um mickrige 1,9 Prozent mehr Transparenz. Ein Plus von 1,9 Prozent - das ist die dürftige Bilanz, wenn man die neuen Veröffentlichungsregeln auf Peer Steinbrück und seine Honorarvorträge anwendet (s. obige Grafik).
Steinbrück eignet sich vor allem deswegen als Richtschnur, weil sich an ihm und seinen horrenden Nebeneinkünften im vergangenen Herbst die öffentliche Debatte über eine Verschärfung der Transparenzregeln für Abgeordnete entzündet hatte. Nach Jahren der Blockade reagierten Union und FDP schließlich mit einem eigenen Entwurf. Alles sollte besser werden.
So gesehen hält die jetzige Reform eine hübsche Pointe parat: Ausgerechnet Steinbrück, der als Abkassierer geschmähte Vortragsmillionär, wird von den schärferen Regeln so gut wie gar nicht erfasst. Die schwarz-gelbe Transparenzreform - eine Mogelpackung. 598.000 Euro an Vortragshonoraren musste Peer Steinbrück nach dem bisherigen Modell öffentlich deklarieren. Mit "Verschärfung" der Transparenzregeln durch Schwarz-Gelb werden es künftig gerade einmal 24.000 Euro zusätzlich sein - bei einem Gesamthonorar von 1,25 Mio. Euro! Unter dem Strich bleibt also nach wie vor über die Hälfte der Vortragshonorare, die Steinbrück im Oktober freiwillig unter öffentlichem Druck transparent gemacht hatte, im Dunkeln.
Der Grund für das lausige Transparenz-Plus liegt in der Ausgestaltung des Zehn-Stufen-Systems, das nun an die Stelle des bisherigen Drei-Stufen-Modells tritt. Denn Union und FDP haben erst bei Einkünften ab 15.001 Euro neue Veröffentlichungsstufen eingezogen, alles andere bleibt wie gehabt. Und so kommt es, dass die neuen Transparenzregeln ausgerechnet bei Vortragsmillionär Steinbrück ins Leere laufen: Sein Standardhonorar von 15.000 Euro pro Vortrag liegt nämlich genau einen Euro unter der Grenze zur nächsthöheren Veröffentlichungsstufe (Stufe 4):
Lediglich bei drei von 86 Honorarreden greift die Reform, denn dafür kassierte Steinbrück jeweils über 15.000 Euro. Allerdings wird der SPD-Politiker auch dies am Ende nicht öffentlich angeben müssen - die neuen Transparenzregeln gelten erst ab der kommenden Wahlperiode, und zwar nicht rückwirkend.
Um das Transparenz-Defizit bei den schwarz-gelben Veröffentlichungspflichten zu beheben, gäbe es nur eine Lösung: Abgeordnete müssten sämtliche Nebeneinkünfte Euro und Cent genau angeben, wie es abgeordnetenwatch.de seit langem fordert. Doch Union und FDP sind strikt dagegen, im November stimmten sie gegen einen entsprechenden Antrag von SPD und Grünen. Die Vermutung liegt nahe, dass auf diese Weise die zahlreichen Großverdiener in den eigenen Reihen vor Bekanntwerden ihrer tatsächlichen Nebenverdienste bewahrt werden sollen.
Vor einiger Zeit hatte abgeordnetenwatch.de am Beispiel des früheren Forschungsministers Heinz Riesenhuber gezeigt, dass auch bei ihm die neuen Veröffentlichungsregeln kaum greifen. Fast ein Drittel seiner Einkünfte in Höhe von 298.500 Euro, die er aus zahlreichen Aufsichts- und Verwaltungsratsposten bezieht, bleiben der Öffentlichkeit weiterhin verborgen. Und so kann der Justiziar der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Helmut Brandt, vielleicht einmal erklären, was er damit meinte, als er vergangenen November im Deutschen Bundestag der Öffentlichkeit weismachen wollte:
Ich bin ganz eindeutig der Auffassung, dass das Zehn-Stufen-Modell ausreichend ist und transparent macht, was jeder Einzelne mit seiner Nebentätigkeit tatsächlich verdient.
Update 15.3.2013: Warum volle Transparenz bei Nebeneinkünften notwendig ist, hat der SPD-Abgeordnete Christian Lange gestern in seiner Bundestagsrede (zu Protokoll gegeben, S. 233) am Beispiel des von abgeordnetenwatch.de aufgedeckten Fall Michael Fuchs verdeutlicht:
Wie dringend notwendig eine Verschärfung der Transparenzregeln ist, zeigt der Fall von Michael Fuchs. Auf Fuchs’ Bundestagsseite war jahrelang zu lesen, dass er Vorträge für die britische Hakluyt Society gehalten hatte. Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de und stern, 9. Januar 2013, wurde deutlich, dass es sich in Wahrheit nicht um die gemeinnützige geografisch-historische Gesellschaft, sondern einen privaten Nachrichtendienst mit ähnlichem Namen, Hakluyt & Company, handelte. Fuchs hat nach Recherchen des stern seit August 2008 mehr als 13 bezahlte Vorträge für die Londoner Beratungsfirma Hakluyt & Company gehalten und erhielt dafür insgesamt mindestens 57 000 Euro. Hakluyt & Company wurde 1995 von ehemaligen Mitgliedern des britischen Geheimdienstes gegründet. Die Firma beschafft für Unternehmen unveröffentlichte Informationen, zum Beispiel über andere Unternehmen, über Kampagnen von Nichtregierungsorganisationen, aber auch über Regierungsvorhaben. Die Verwechslung der umstrittenen Firma mit der gemeinnützigen Hakluyt Society nahm ihren Ausgang in einer unvollständigen Meldung von Michael Fuchs, der 2008 den ersten Vortrag dort nur mit „Hakluyt London“ bei der Bundestagsverwaltung meldete. Wie daraus „Hakluyt Society“ wurde, ist bis heute ungeklärt. Es wundert deshalb nicht, dass Michael Fuchs, der in den vergangenen drei Jahren mindestens 100 000 Euro zusätzlich eingenommen hat, sich gegen die Veröffentlichung konkreter Zahlen ausspricht und darüber hinausgehend auch zumindest die Nennung der Branche, in der Einkünfte erzielt werden. Er könne sich höchstens vorstellen, „dass wir die gegenwärtige Transparenzregelung um einige Stufen ergänzen“, sagte Fuchs, 14. Oktober 2012, dapd. Der Vorgang zeigt, wie wichtig es ist, dass wir weitgehende Nachvollziehbarkeit schaffen, wie hoch die Einnahmen aus Nebentätigkeiten sind, und zwar auf Euro und Cent, aber auch von wem bzw. aus welcher Branche die Einnahmen stammen. Dies wurde von CDU/CSU und FDP bislang kategorisch abgelehnt.
Fotos Steinbrück: commons.wikimedia.org/Schmelzle/CC by-sa 3.0 | SPD in Niedersachsen/flickr/CC by-sa 2.0