Konzerne, Verbände und Organisationen sollen künftig Angaben zu ihrer Lobbyarbeit öffentlich machen müssen – die Frage ist: Wann? Bereits im September 2020 einigten sich Union und SPD auf einen Gesetzentwurf für ein Lobbyregister, doch dieser steckt in den Ausschüssen fest, auch weil die Regierungsfraktionen uneins sind, für wen die neuen Transparenzregeln gelten sollen.
Bis ein Lobbyregister in Kraft tritt, dürften noch Monate vergehen – falls CDU/CSU und SPD sich bis zur Bundestagswahl im September überhaupt noch verständigen. Wie aber steht es um die Bereitschaft von Unternehmen, Interessenverbänden und anderen Organisationen, schon jetzt Transparenzangaben zu ihrer Lobbyarbeit zu machen: freiwillig und auf Grundlage des Gesetzentwurfes von CDU/CSU und SPD?
Welche Lobbykontakte unterhielten 50 große Verbände, Unternehmen und NGOs?
Wir haben 50 große Verbände, Unternehmen und NGOs unter anderem gefragt, wie viele Interessenvertreter:innen sie beschäftigen und wie hoch ihre Lobbyausgaben sind. Außerdem baten wir um Informationen dazu, auf welche Gesetze und Verordnungen sie eingewirkt und welche konkreten Lobbykontakte zur Politik stattgefunden haben. Die beiden letztgenannten Punkte sind nicht im Gesetzentwurf von Union und SPD enthalten, doch sie sind nach Überzeugung von abgeordnetenwatch.de für ein wirksames Lobbyregister erforderlich.
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Etwa zwei Drittel der kontaktierten Lobbyakteure haben sich auf unsere Anfrage zurückgemeldet. Die Reaktionen zeigen, dass ein grundsätzliches Interesse an Lobbyregeln zwar oftmals vorhanden ist. Allerdings verstecken sich viele Akteure hinter den derzeit laxen Regeln in Deutschland oder belassen es bei allgemeinen Phrasen wie „Wir setzen uns für Fairness, Transparenz, Offenheit und Integrität ein“.
Unternehmen argumentieren mit eigenen Richtlinien
Manche Organisationen, Verbände und Unternehmen berufen sich auf eigene Transparenzrichtlinien, die auf den Websites zu finden sind. Der Automobilkonzern Daimler etwa verwies auf Richtlinien für integres Verhalten, die Verhaltensgrundsätze sowie Leitlinien für das tägliche Handeln im Unternehmen und mit Geschäftspartnern definieren. Diese haben jedoch nichts mit einem gesetzlich verankerten Lobbyregister gemein. Volkswagen schickte einen Hinweis zu unternehmensinternen Grundsätzen und Leitlinien für Interessenvertretung, allerdings keine nennenswerten Informationen zu konkreten Lobbykontakten, finanziellen Aufwendungen für Lobbyaktivitäten und verantwortlichen Lobbyist:innen.
Auch sonst zeugen die Rückmeldungen wenig Ambitionen, die eigenen Lobbyaktivitäten transparent zu machen. Stattdessen: Ausführliche Beschreibungen von Interessenbereichen und Tätigkeiten: „BASF steht für Chemie, die verbindet – für eine nachhaltige Zukunft“, schrieb beispielsweise der Ludwigshafener Chemiekonzern. „Wir verbinden wirtschaftlichen Erfolg mit dem Schutz der Umwelt und gesellschaftlicher Verantwortung.“ Das klingt gut, gibt jedoch keinen Aufschluss darüber, welche Lobbytätigkeiten wo, wann und von wem ausgeführt wurden.
Warten bis zu einer Veröffentlichungspflicht
Zu den von abgeordnetenwatch.de angefragten zusätzlichen Transparenzangaben – Einflussnahme auf konkrete Gesetzesvorhaben und Lobbykontakte – schwiegen die meisten, oder baten, wie Human Rights Watch, um Verständnis dafür, dass man sich aufgrund der Covid-Situation derzeit nicht zurückmelden könne. Ein Sprecher der Telekom war (fälschlicherweise) der Meinung, dass der Gesetzentwurf von Union und SPD den Lobbyregistervorschlägen von abgeordnetenwatch.de umfassend Rechnung tragen würde. Andere wollten bezüglich der Angaben zu den eigenen Interessenvertreter:innen und den finanziellen Lobbyaufwendungen abwarten: Sobald vonseiten der Großen Koalition eine Definition vorliegt, wolle man die Transparenzangaben selbstverständlich machen, schrieben Unternehmen wie Allianz, BASF oder der Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie.
Einige Rückmeldungen zeigen das fehlende Verständnis für Transparenz. Anstatt auf ihre Lobbyaktivitäten einzugehen, reagierten manche Unternehmen mit gut klingenden Schlagwörtern wie „anspruchsvolles Corporate Governance“, um eigenes Engagement zu betonen. Corporate Governance, also eigene Grundsätze der Unternehmensführung, hat mit transparenter Lobbyarbeit erst einmal wenig zu tun.
"Halten uns an Recht und Gesetz"
Andere fühlen sich durch die Anfrage offenbar angegriffen: „Unsere Organisation hält sich an Recht und Gesetz“, stellte der Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie klar. „Sobald aus dem Gesetzentwurf [von Union und SPD] ein Gesetz wird, werden wir die dort festgelegten Regeln einhalten.“
Manche Akteure verbargen die Lobbyarbeit hinter anderen Vokabeln. So antwortete der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE), man verstehe sich als unabhängiger Aufklärer, Ratgeber und unter Umständen auch als Mahner zu immer komplexer werdenden technologischen Fragestellungen. Klassische Aufgaben der Interessenvertretung.
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Immer wieder wurde auf den bereits vorhandenen Eintrag der eigenen Organisation im EU-Transparenzregister hingewiesen. Das Lobbyregister der EU gibt es seit 2011 und soll die Interessenvertretung auf europäischer Ebene transparenter machen. Lobbyakteure müssen hier Namen von Interessenvertreter:innen, finanzielle Aufwendungen für Lobbytätigkeiten, Interessengebiete und Teilnahmen an Arbeitsgruppen des Europäischen Parlamentes eintragen. Konkrete Angaben zu Lobbykontakten sind nicht verpflichtend. Ein solches EU-Verzeichnis ist allerdings kein Ersatz für ein deutsches Lobbyregister: Akteure, die auf Gesetzgebung und Politik in Deutschland einwirken wollen, werden darin nicht erfasst.
Wirtschaft machte erfolgreich Druck auf die Union – für mehr Transparenz
Dass CDU und CSU, die ein Lobbyregister lange Zeit strikt ablehnten, inzwischen von ihrer Blockadehaltung abgerückt sind, hängt auch mit Transparenzforderungen aus der Wirtschaft zusammen. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Interessenverband Die Familienunternehmen haben sich mit Transparency International Deutschland, dem Verbraucherzentralen Bundesverband (vzbv) und dem Deutschen Naturschutzbund (Nabu) in einer „Allianz für Lobbytransparenz“ zusammengeschlossen. Das Bündnis fordert ein verbindliches Lobbyregister, eine:n Lobbybeauftragte:n sowie eine „legislative Fußspur“, mit der sich Einflussnahme auf die Gesetzgebung transparent machen lässt. Eine Offenlegung von Lobbykontakten, wie sie abgeordnetenwatch.de für notwendig hält, will die Allianz nicht.
Einigkeit herrscht jedoch in einem Punkt: Ein angemessenes Lobbyregister müsste alle Interessengruppen erfassen: Unternehmen, Stiftungen, Verbände, Lobbyagenturen und Nichtregierungsorganisationen.
Auch abgeordnetenwatch.de würde – über seinen Trägerverein Parlamentwatch e.V. – als Interessenorganisation in einem Lobbyregister erfasst werden. Seit einiger Zeit dokumentieren wir in dieser Liste, mit welchen Amts- und Mandatsträger:innen wir zu welchen Gesetzesvorhaben oder sonstigen Anliegen im Rahmen unserer Kampagnenarbeit in Kontakt sind (weitere Transparenzangaben von abgeordnetenwatch.de finden Sie im Kasten unterhalb dieses Artikels). Eine solche Veröffentlichungspflicht ist im Gesetzentwurf von Union und SPD nicht vorgesehen – aus unserer Sicht ein großes Versäumnis.
Mitarbeit: Franka Boldebuck