Von Norman Loeckel*, Ludwig-Maximilians-Universität München
Wenn sich Geschäftsleute, Unternehmen und Lobbyisten gegenüber Politikern und Parteien großzügig zeigen tun sie dies nicht aus reiner Nächstenliebe. Sie wollen stattdessen die Entscheidungsträger zu ihren Gunsten – und damit oft zu Lasten der Allgemeinheit – beeinflussen. Was vielen als eine triviale Erkenntnis erscheint und wohl nicht erst seit der Causa Wulff dem Bauchgefühl der Bevölkerung entspricht, wurde nun in einer umfangreichen experimentellen Studie durch Ulrike Malmendier in Berkeley und Klaus Schmidt von der LMU München nachgewiesen. Wie die Wissenschaftler in einem Beitrag zur renommierten NBER Working Paper Reihe erstmals empirisch zeigen, führen Zuwendungen zu stark verzerrten Entscheidungen auch in Situationen, in denen man es eigentlich nicht erwarten dürfte. Die Autoren interpretieren ihre Forschung dabei explizit auch im Kontext der Politik. Einige zentrale Ergebnisse sollen daher kurz vor diesem Hintergrund illustriert und zusammengefasst werden.
Stellen wir uns folgendes Szenario vor: ein Entscheidungsträger (hier: ein Politiker) soll eine Reihe von Entscheidungen im Auftrag und zum Nutzen seiner Klienten (Wähler) treffen. Der Einfachheit halber muss er aus alternativen Optionen die für die Wähler bessere wählen. Außerdem gibt es weitere Beteiligte (Lobbyisten oder Unternehmer), welche aus einer der möglichen Varianten große Vorteile ziehen und versuchen können dem Politiker Zuwendungen zukommen zu lassen. Vorstellbar sind z.B. Regulierungsentscheidungen mit je unterschiedlichen Folgen für verschiedene Lobbyisten oder Entscheidungen für oder wider Steuersubventionen für bestimmte Branchen, wobei die Kosten durch das Volk zu tragen sind (was einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen der Maßnahme hier aber explizit nicht ausschließen soll). Das Interessante sind nun die Bedingungen unter denen die Entscheidungen getroffen wurden und die recht erstaunlichen Folgen. Ich greife hier eine der Fallkonstellationen der Studie heraus:
- der politische Entscheidungsträger entscheidet im Auftrag der Wähler um deren Nutzen zu verbessern und erhält dafür einen fixen Sold je Entscheidung
- bevor der Politiker eine Entscheidung trifft, durfte ein Unternehmer ihm eine bedingungslose Zuwendung zukommen lassen – im Experiment konnte der Politiker diese zudem nicht ablehnen, sofern offeriert; in der Praxis kann dies von gesponsorten Reisen, über generöse Vortragshonorare, „Upgrading“ von Flugtickets bis zu direkter Geldzahlung reichen
- wichtig ist der Umstand, dass die Zuwendung im Vergleich zum Sold klein ist, im konkreten Fall waren es 10% der Soldzahlung; außerdem war dem Politiker zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, welche der Optionen im Interesse des Volkes ist und es fand auch sonst keine direkte Kommunikation statt
- die Teilnehmer waren sich in der Nachbefragung über die Absicht der Einflussnahme auf die Entscheidung seitens des Unternehmers im Klaren und sehen die Zuwendung nicht als „Freundschaftsdienst“
- als besonders zentraler Punkt: im Experiment war effektiv kein zukünftiges Aufeinandertreffen und Interagieren von Unternehmer und Politiker mehr möglich; die endgültige Entscheidung eines Politikers ist zudem geheim und danach weder für den Unternehmer, noch potentielle künftige Lobbyisten nachvollziehbar
Fassen wir zusammen: der Entscheidungsträger hat den korrekten Verdacht einer versuchten Einflussnahme, die Zuwendung ist klein im Vergleich zum Sold, insbesondere werden Unternehmer und Politiker nie mehr aufeinander treffen und der Unternehmer wird die endgültige Entscheidung nicht nachvollziehen können. Welche Entscheidungen wurden nun getroffen? Verglichen wurde hier mit einem Testlauf im Vorfeld, bei dem keinerlei Zuwendungen erlaubt waren. Falls eine Option sowohl für das Volk als auch für den Unternehmer optimal war entschieden sich die Politiker wenig überraschend genauso oft für diese Option wie im Fall ohne mögliche Zuwendungen. Falls eine Option dagegen deutlich und eindeutig schlecht für den Wähler war, jedoch profitabel für den Unternehmer, ergab sich eine extreme Verzerrung zugunsten des Lobbyisten. Während im Szenario ohne die Möglichkeit von Zuwendungen nur in ca. 8% der Fälle die schlechteste (aber für den Unternehmer profitablere) Option gewählt wurde, stieg dieser Anteil anschließend auf fast 50% ! Selbst in einem zusätzlichen Szenario, in welchem der Klient den Erhalt der Zuwendung und die anschließende Entscheidungen seitens des Entscheidungsträgers transparent beobachten konnte, wurde die schlechteste Option mit 25% noch immer 3-fach so oft gewählt. In einem weiteren Durchlauf ohne Transparenz zeigten sich interessanterweise sogar gewisse Abwehrreaktionen, falls das Unternehmen mittels höherer Zuwendung zu offensichtlich bestechen wollte. Weniger offene Bestechung über kleinere Zuwendungen war demnach sogar effektvoller.
Wie ist so eine Veränderung bei ansatzweise rational handelnden Menschen erklärbar? Etablierte Theorien sozialer Präferenzen, z.B. Altruismus, aber auch purer Eigennutz würden unter diesen Umständen keine derartige Verzerrung vorhersagen – gerade da der Unternehmer selbst nicht nachvollziehen kann, wie sich der Politiker entscheidet. Wie die Forscher daher aufgrund weiterführender soziologischer Literatur schlussfolgern, empfinden die Entscheidungsträger eine unausgesprochene moralische Verpflichtung im Interesse der Zuwendungsgeber zu entscheiden. Mehr noch handele es sich bei dieser Bindung um eine unvermeidliche Komponente menschlicher Psychologie, die selbst bei vollem Bewusstsein der Situation und unter den beschriebenen Umständen eine starke Verzerrung des Handelns bewirken kann. Weiterhin zeigte sich in der Nachbefragung, dass die Entscheidungsträger systematisch ihre eigene Fähigkeit überschätzten, dem psychologischen Effekt der Zuwendung widerstehen zu können.
Die Verzerrungen, welche in der idealisierten Welt des Experiments festgestellt wurden, werden in der Praxis noch verschärft. Denn natürlich sind die Entscheidungen eines Politikers i.d.R. beobachtbar und die Betroffenen pflegen oft einen regelmäßigen persönlichen Austausch. Zudem sind die Vergünstigungen und Zuwendungen an wichtige Abgeordnete und Politiker bekanntermaßen bei weitem nicht mehr als „klein“ im Vergleich zu ihrem vom Volk gestellten Sold zu bezeichnen. Letztlich scheint auch die Fähigkeit „Freundschaftsdienste“ von versuchter Einflussnahme zu unterscheiden bei einigen führenden Politikern nicht sonderlich ausgeprägt zu sein. Die mangelnde und intransparente Offenlegung der üblichen ganz legalen Nebeneinkünfte und Zuwendungen - bis hin zur de facto Legalität der Abgeordnetenbestechung in Deutschland - verbessern diesen Zustand sicherlich nicht. Zumal die neusten Forschungsergebnisse nahe legen, dass bereits relativ kleine Zuwendungen Entscheidungsprozesse der repräsentativen Demokratie zu großen Teilen aushebeln können.
Abschließend sei noch das Design der Studie als umfangreiche Laborexperimente betont. Deren Aussagekraft wird zwar in der Verhaltenswissenschaft als relativ gut eingeschätzt, Details der Versuchsdurchführung können jedoch die Anwendbarkeit von Ergebnissen einschränken. Die Studie ist zudem breiter als hier auszugsweise beschrieben angelegt und kann auch außerhalb der Politik im allgemeineren Zusammenhang von Korruption interpretiert werden.
Als Fazit kann man sich fragen: Gehören relevante Zuwendungen und Vergünstigungen jeder Art damit im Grunde nicht nur offengelegt, sondern komplett verboten? Ist es noch vertretbar, wenn Abgeordnete aus „Nebentätigkeiten“ größere Zahlungen von Unternehmen erhalten? Und sollte das Verlangen von Abgeordneten nach Annahme von Zuwendungen mehr als das Recht des Volkes auf unverzerrte demokratische Entscheidungen zählen?
Zum Autor: Norman Loeckel, geboren 1984, ist Doktorand und Mitarbeiter am Lehrstuhl für Außenwirtschaft an der LMU München.
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Weiterführende Informationen zur Studie: Ulrike Malmendier, Klaus Schmidt, „You Owe Me“, NBER-Working Paper No. 18543, November 2012 Prof. Dr. Ulrike Malmendier ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der University of California, Berkeley Prof. Dr. Klaus Schmidt ist Professor für Wirtschaftstheorie an der LMU München
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