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„Steinbrück missbraucht sein Mandat“: abgeordnetenwatch.de-Recherche sorgt für Schlagzeilen

"Unterm Strich" heißt das Erstlingswerk des Autors Peer Steinbrück, das ab dem 16. September bei einem großen Onlinehändler zu kaufen sein wird. Wenige Tage später wird Steinbrück im Berliner Ensemble aus seinem druckfrischen Buch vortragen, und wer den Minister a.D. dabei erleben möchte, kann sich zum Preis von 19,35 Euro jetzt schon mal eine Eintrittskarte sichern. Weitaus mehr Geld berappen muss, wer den ehemaligen Finanzminister beispielsweise zum Thema "Politikverdruss und Medienkrise - Gefahren für unsere Demokratie?" hören will.

von Martin Reyher, 30.06.2010

 

 

Mindestens 7.000 Euro erhält Steinbrück für einen solchen Vortrag - und ist deswegen jetzt in die Schlagzeilen geraten. "Steinbrück redet sich steinreich" überschrieb der Berliner Kurier am vergangenen Mittwoch einen Artikel über die Nebeneinkünfte des Ex-Ministers. Die Geschichte hatte abgeordnetenwatch.de in einem Blogeintrag Ende Mai ans Licht gebracht ("Der Abgeordnete, der nur noch gegen Bezahlung redet"). Steinbrück, so berichteten wir damals, beteilige sich weder am öffentlichen Bürgerdialog auf abgeordnetenwatch.de noch trat er als Redner bei Plenardebatten im Bundestag in Erscheinung. Den Pflichten eines Abgeordneten kam Steinbrück nur unzureichend nach: Bei sechs wichtigen Abstimmungen fehlte er - dabei heißt es in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags unmissverständlich (pdf):

Die Mitglieder des Bundestages sind verpflichtet, an den Arbeiten des Bundestages teilzunehmen.

Außerhalb des Parlaments war der Minister a.D. aktiver: Er hielt 13 Privatvorträge, u.a. auf einer Möbel-Messe (pdf), die ihm zusammen mindestens 91.000 Euro einbrachten. Eine Stellungnahme dazu lehnte Steinbrück gegenüber dem Berliner Kurier ab. Die Geschichte über den Blogeintrag von abgeordnetenwatch.de nahm nach der Veröffentlichung durch den Kurier an Fahrt auf. Zuerst berichtete am Donnerstag das Schweizer Bouelvardblatt "Blick" ("Peitschen-Peer redet sich steinreich"), dann griff Handelsblatt Online das Thema auf und ließ den Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele zu Wort kommen:

„Ich halte es aber für einen Missbrauch des Mandats, wenn sich Leute wählen lassen und dann hauptsächlich hoch bezahlten anderen Tätigkeiten nachgehen. Dass Peer Steinbrück seit der Bundestagswahl für Vorträge tausende Euro kassiert hat, finde ich unanständig.“ Es müsse jedem Verein möglich sein, den SPD-Bundestagsabgeordneten zu bekommen, ohne dafür gleich tief in die Tasche greifen zu müssen. (...) Grünen-Politiker Ströbele erklärte, Steinbrück sei mit seinen „lukrativen Nebentätigkeiten“ kein Einzelfall. „Es gibt immer wieder Fälle von Abgeordneten, die mit ihrem mandatswidrigen Verhalten Kopfschütteln auslösen“, sagte er. Dabei habe das Bundesverfassungsgericht klar geregelt, dass der wesentliche Teil der Abgeordnetentätigkeit dem Mandat gewidmet werden müsse.

Am Donnerstag nachmittag verschickte die Nachrichtenagentur AFP unter Bezugnahme auf den abgeordnetenwatch.de-Blog einen Bericht über Steinbrücks Nebentätigkeiten. Und tags darauf brachte die Anti-Korruptions-Organisation Transparency Deutschland ein generelles Verbot von bezahlten Vorträgen durch Abgeordnete ins Gespräch:

„Man kann sich fragen, ob das Halten von Vorträgen zu politischen Fragen durch einen Abgeordneten, nicht zu seinen Aufgaben als Abgeordneter gehört und insofern unentgeltlich erfolgen sollte", erklärte die Leiterin der Arbeitsgruppe "Korruption in der Politik" von Transprency, Marion Stein, gegenüber Handelsblatt Online. (...) Auch der Bund der Steuerzahler äußerte sich kritisch zu Steinbrücks reger Vortragstätigkeit. Bundestagsabgeordnete dürften zwar vergütete Nebentätigkeiten wahrnehmen, sagte Verbandsgeschäftsführer Reiner Holznagel Handelsblatt Online. Diese müssten jedoch veröffentlicht werden und dürften nicht zu Lasten der Mandatspflichten des Abgeordneten gehen. „Fehlzeiten im Parlament zu Gunsten einer Nebentätigkeit sind inakzeptabel“, betonte Holznagel.

Das Beispiel zeigt, welche Wirkung sich mit Öffentlichkeit erzielen lässt. Nach den Zeitungsberichten, die durch den Blogeintrag auf abgeordnetenwatch.de ausgelöst wurden, ist Peer Steinbrück nun vielen Menschen als ein Volksvertreter bekannt, der sein Abgeordnetenmandat offensichtlich nicht sehr ernst nimmt. Inzwischen hat er bei zwölf wichtigen Abstimmungen im Bundestag gefehlt, 13 Bürgerfragen warten bei abgeordnetenwatch.de auf Beantwortung. Steinbrück weiß, dass die Öffentlichkeit seine Aktivitäten als Bundestagsabgeordneter nun genau unter die Lupe nimmt. Ob er sein Mandat über die vollen vier Jahre behält, wird sich zeigen. Nachrücken würde voraussichtlich Kerstin Griese, die es bei der Wahl 2009 nicht wieder ins Parlament schaffte. Ihre Arbeitsbilanz aus der vergangenen Wahlperiode: 209 Antworten auf 209 Bürgerfragen und zwei verpasste Abstimmungen von insgesamt 49.

 

Nachtrag vom 6.8.2010: Die im Text angesprochene Kerstin Griese ist inzwischen in den Bundestag eingezogen. Sie rückte für die Abgeordnete Angelica Schwall-Düren nach, die als Europaministerin in die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen wechselte.

 

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