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Schweizer wollen Abgeordnete per Volksinitiative zu Offenlegung ihrer Nebeneinkünfte zwingen

von Martin Reyher, 07.06.2011

Warum warten, bis Politiker ihre Einkünfte freiwillig offenlegen? In der Schweiz startet morgen eine Volksinitiative, die die Abgeordneten zur Veröffentlichung ihrer Nebeneinkünfte zwingen will. Unterschreiben 100.000 Menschen, gibt es über diese Frage eine Volksabstimmung. Einer der Initiatoren von "Unbestechlich für das Volk - Die Transparenz-Initiative" ist der Nationalratsabgeordnete Lukas Reimann (Foto), der für die SVP im Schweizer Parlament sitzt. Das Bündnis wird getragen von Mitgliedern verschiedener Parteien und Organisationen, u.a. haben sich die Schweizer Piraten der Initiative angeschlossen. Im Interview mit abgeordnetenwatch.de erklärt Reimann, warum es ihm nicht um Populismus geht, warum er bei Parteispenden gegen ein Mehr an Transparenz ist und was er von abgeordnetenwatch.de für die Schweiz hält.

Herr Reimann, in Deutschland tun sich die Abgeordneten gerade schwer, verbesserte Transparenzregeln für die Veröffentlichung ihrer Nebeneinkünfte zu beschließen. In der Schweiz dagegen haben vor einiger Zeit die Abgeordneten quer durch alle Parteien für einen Vorstoß Ihres Nationalrats-Kollegen Freysinger gestimmt, der sich für die Veröffentlichung von Einkünften einsetzt. Vorbildlich!

Bei immer mehr Politikern aus allen Parteien ist die Einsicht vorhanden, dass ein glaubwürdiges und bürgernahes Parlament die Nebeneinkünfte veröffentlichen muss. Leider muss ein Vorstoss allerdings immer von beiden Kammern – dem National- und dem Ständerat – angenommen werden und das ist bisher nicht gelungen. Darum versuchen wir jetzt eine Änderung mit einer Volksabstimmung herbeizuführen.

Die Gegner führen ins Feld, dass die Veröffentlichung der Löhne zwar die Neugierde der Bürger befriedige, diese jedoch keinen Einfluss auf die Parlamentstätigkeit habe. Das sieht man inzwischen offenbar auch in ihrer eigenen Fraktion so, denn Sie haben kürzlich im Parlament als einziger SVP-Abgeordneter für einen neuen Vorstoß zur Transparenzpflicht gestimmt. Wie lebt es sich als Nestbeschmutzer?

In meiner Fraktion schliessen sich inzwischen die ersten Mitglieder dem Komitee an und sogar auch unser Parteipräsident äussert Sympathien. Denn die wissen, dass solche Argumente komplett falsch sind. Es gibt Abgeordnete mit bis zu 60 Mandaten und Millionensalären für wenige Sitzungen im Jahr. Eine neue Studie zeigt auf, dass die Zahl der Mandate von Parlamentariern alleine im Jahr 2010 um fast 15% gestiegen ist. Es werden Millionen eingesetzt, um Politiker und Parlamentsentscheide gezielt zu beeinflussen. Da kann man gar nicht mehr unabhängig sein. Heute werden Eingaben und Gesetzesanträge von Lobbyisten geschrieben und 1:1 umgesetzt. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht zu wissen, welche Geldgeber die Politiker eigentlich vertreten.

Nachdem kürzlich im Schweizer Parlament ein weiterer Vorstoß zur Transparenz bei Einkünften abgeschmettert wurde, wollen Sie nun auf einmal die hauptberuflichen Einnahmen eines Abgeordneten nicht mehr veröffentlicht sehen und diesen Absatz wieder aus dem Initiativtext streichen. Haben Sie kalte Füße bekommen?

Nein, aber wir gehen Schritt für Schritt vor. Und unser Vorschlag soll auch mehrheitsfähig in der Bevölkerung sein. Die Schweiz hat ein Milizparlament. Die Abgeordneten gehen nebenher einer normalen beruflichen Tätigkeit nach, um den Draht zu den Menschen nicht zu verlieren. Das Problem sind die Nebeneinkünfte und Mandate, welche Politiker nur deshalb erhalten, weil sie gewählt worden sind.

Wie soll die Offenlegungspflicht Ihrer Vorstellung nach aussehen? Soll ein Abgeordneter z.B. die genaue Höhe seiner Einkünfte nennen, wie abgeordnetenwatch.de dies in Deutschland fordert, oder schwebt Ihnen ein Stufensystem vor, wie es im Deutschen Bundestag praktiziert wird?

Die Regelung im Deutschen Bundestag ist zwar im Vergleich zur heutigen Schweizer Regel vorbildlich, sie geht aber zu wenig weit. Wir wollen die genaue Höhe aller Einkünfte sowie weiterer Vorteile oder Geschenke und deren Herkunft wissen.

Wie ist die Veröffentlichungspflicht bei Nebeneinkünften in der Schweiz derzeit geregelt?

Nebeneinkünfte müssen überhaupt nicht veröffentlicht werden. Es gibt lediglich ein unverbindliches Interessenbindungsregister, wo Parlamentarier angeben, welche Mandate sie haben. Dieses Register wird allerdings nicht auf seine Richtigkeit überprüft. Immer wieder kommt es vor, dass Medien nicht angegebene Mandate aufdecken. Zudem werden heute – speziell im Ständerat – nicht einmal die Ergebnisse veröffentlicht, welcher Abgeordnete wie abstimmt im Parlament. Auch das geht in einer modernen Demokratie nicht. Der Wähler soll wissen, wie die Politiker im Parlament abstimmen. Mit unserer Initiative verlangen wir auch: Abstimmungen in den Räten sind so zu gestalten, dass die Öffentlichkeit Kenntnis erhält, wie das einzelne Mitglied gestimmt hat.

Sie sind Nationalrat der SVP und waren einer der Initiatoren der Anti-Minarett-Initiative. Man könnte auf die Idee kommen, dass Sie nun bei den Politikereinkünften erneut auf ein populistisches Thema setzen, das Ihnen großen Beifall einbringt. Auf der Homepage ihrer Initiative schreiben sie selbst, dass 93 Prozent der Schweizer für eine Veröffentlichung der Nebeneinkünfte sei.

Es geht darum, die Demokratie glaubwürdig, transparent und bürgernah zu machen. Die Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie haben ein Recht auf unbestechliche Volksvertreter. Ohne Transparenz ist das nicht möglich. Das ist mir als junger Politiker wichtiger als selbst viele Mandate zu sammeln und für meine Brieftasche zu politisieren. Zudem geht es nicht um Parteipolitik. Wir haben – und das ist auch für die Schweiz einzigartig – im Unterstützungskomitee Mitglieder aus allen Parteien. Grüne, Sozialdemokraten und Grünliberale sind genauso vertreten wie CVP, BDP, FDP und SVP.

Wenn Sie mehr Transparenz bei Nebeneinkünften fordern, wie sieht es mit Parteispenden aus? Müssen nicht auch die transparenter werden, damit jeder Bürger sehen kann, von welchen Interessengruppen eine Partei Zahlungen erhält?

Es gibt in der Schweiz keinen Fraktionszwang und dank dem Wahlsystem wählen die Bürgerinnen und Bürger Politiker und nicht Parteien. Sie können sich auf Ihrem Wahlzettel zum Beispiel eine Personenliste zusammenstellen und gleichzeitig von verschiedenen Parteien einzelne Persönlichkeiten wählen. Der Einfluss der Parteien ist daher nicht so gross wie jener von Politikern. Zudem haben wir keine über den Steuerzahler finanzierte staatliche Parteienfinanzierung. Die Parteien finanzieren sich ausschliesslich über Mitgliederbeiträge und Spenden. Das soll auch so bleiben.

Wie sehen Sie die Chancen für die Initiative? Sind Sie zuversichtlich, die notwendigen 100.000 Unterschriften zusammen zu bekommen?

Wir starten mit der Sammlung am 8. Juni. Wenn wir die 100‘000 beglaubigten Unterschriften zusammenkriegen, gibt es zwingend eine Volksabstimmung. Logischerweise haben wir kaum Geld und Sponsoren für die Sammlung. Aber ein junges, motiviertes Team von ehrenamtlichen Helfern und eine grosse Zustimmung in der Bevölkerung werden helfen, damit wir die notwendigen Unterschriften zusammenkriegen.

Herr Reimann, wir können ja schon einmal mit der Transparenz beginnen. Welche Einkünfte beziehen Sie selbst?

Ich habe keinerlei Nebeneinkünfte. Übrigens: In der Schweiz gibt es leider kein Portal wie abgeordnetenwatch.de. Das wäre jedoch dringend notwendig. Wann starten Sie eine Schweizer Ausgabe Ihres Webportals?

Anmerkung: Als spendenfinanzierte Organisation mit begrenzten Ressourcen liegt unser Fokus auf Deutschland. Grundsätzlich sind wir aber offen für Projekte in anderen Ländern. Mehr Informationen zur Schweizer Volksinitiative auf der Kampagnenseite unbestechlich.ch. In Deutschland sind Volksentscheide auf Bundesebene derzeit nicht möglich. Für deren Aufnahme ins Grundgesetz engagiert sich Mehr Demokratie e.V. Weiterführende Informationen unter mehr-demokratie.de.

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