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Mangelnde Transparenzregeln: Deutschland schrammt knapp an Mahnverfahren vorbei

Deutschland ist wegen mangelnder Transparenz im Umgang mit Lobbyisten knapp an einem Mahnverfahren des Europarates vorbeigeschammt. Die deutschen Behörden konnten es gerade noch abwenden – weil sie Reformen beschlossen, zu denen sie u.a. von abgeordnetenwatch.de gezwungen wurden.

von Marthe Ruddat, 22.11.2017

In regelmäßigen Abständen flattert der Bundesregierung ein blauer Brief in Haus. Das jüngste Schreiben wurde im Juli öffentlich: Es „muss noch viel mehr getan werden, um die Transparenz des parlamentarischen Verfahrens umfassend zu verstärken“, heißt es darin. Unterm Strich seien kaum konkrete Fortschritte gemacht worden, kritisiert die Staatengruppe gegen Korruption des Europarats (GRECO)  in ihrem aktuellen Umsetzungsbericht zu Deutschland vom Juli 2017.

Es geht unter anderem um Korruptionsprävention bei Abgeordneten. GRECO hatte 2014 einen Evaluierungsbericht vorgelegt, in dem die in Deutschland geltenden Regelungen untersucht wurden. Heraus kamen vier Handlungsempfehlungen, von denen bis heute keine einzige vollständig umgesetzt wurde.

Nach wie vor gibt es Folgendes zu tun:

  • Es braucht einen "legislativen Fußabdruck",  eine verpflichtende Registrierung von Lobbyisten im Bundestag und klare Verhaltensregeln für Abgeordnete im Umgang mit Lobbyisten, die u.a. regeln, dass Abgeordnete im Gesetzgebungsverfahren ihre Kontakte mit Dritten offenlegen. Denn GRECO fordert eine Verbesserung der Transparenz des parlamentarischen Verfahrens.
  • GRECO fordert eine sofortige Offenlegung von möglichen Interessenkonflikten zwischen privaten Interessen der Abgeordneten und ihrer parlamentarischen Arbeit, um diese frühzeitig transparent zu machen. Außerdem sollten Abgeordnete ein Handbuch zum Umgang mit Interessenkonflikten erhalten und sich im Zweifelsfall an eine vertrauliche Beratungsstelle wenden können.
  • Die Offenlegungspflichten für Abgeordnete sollen verschärft werden, "um die Transparenz tatsächlicher und möglicher Interessenkonflikte sicherzustellen."
  • Es braucht eine "wirksame Kontrolle und Durchsetzung" der Anzeigepflichten, Verhaltensregeln und Regeln zu Interessenkonflikten. GRECO schlägt dafür beispielsweise eine unabhängige Kontrollkommission vor.

Diese Empfehlungen sind rechtlich aber nicht bindend für Deutschland. Das Ritual ist stets dasselbe: Kommt ein neuer GRECO-Bericht, wird er in den zuständigen Bundestagsausschüssen auf die Tagesordnung gesetzt - doch das war's dann auch. Die Mehrheit der Ausschussmitglieder will den Empfehlungen von GRECO nicht folgen.

Beim Thema Parteispenden gab es bereits ein Mahnverfahren

Als GRECO das Thema Parteienfinanzierung evaluierte, durchlief Deutschland bereits ein Mahnverfahren. Es wurde wieder ausgesetzt, obwohl die empfohlenen Transparenzmaßnahmen bei Parteispenden noch immer unzureichend sind. GRECO gab sich aber zufrieden damit, dass Deutschland in anderen Bereichen nachbesserte (mehr dazu: Erneute Rüge: Europarat kritisiert Deutschland wegen mangelnder Transparenz bei Parteispenden). 

Mit dem aktuellen Umsetzungsbericht schrammt Deutschland nun knapp an einem erneuten Mahnverfahren vorbei. GRECO kritisiert den "gegenwärtig niedrigen Grad der Umsetzung". Den deutschen Behörden wird jedoch zugute gehalten, dass „einige positive Maßnahmen“ ergriffen worden seien. Konkret geht es vor allem um die Verschärfung der Vergaberegeln für Hausausweise zum Bundestag. Diesen Fortschritt hebt auch das zuständige Bundesjustizministerium in seiner Stellungnahme an GRECO vom September 2016 hervor, die abgeordnetenwatch.de vorliegt (sog. "Sachstandsbericht", s. Bild unten.). Doch die Wahrheit ist: Zu den schärferen Zugangsregeln musste der Bundestag erst gezwungen werden - durch eine erfolgreiche abgeordentenwatch.de-Klage, in deren Folge die Reformen beschlossen wurden (mehr dazu: Bundestag stoppt geheime Vergabepraxis für Lobbyisten-Hausausweise). Das Justizministerium verweist außerdem darauf, dass nun jeder mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) erfragen könne, welche Lobbyisten eine Zugangskarte zum Bundestag besäßen. Auch das ist erst seit der abgeordnetenwatch.de-Klage möglich.

Sachstandsbericht Justizministerium an GRECO (Ausriss)

Auch im nächsten, dem im September 2018 fälligen Sachstandsbericht an GRECO werden sich die deutschen Behörden für das Erreichte vermutlich selbst auf die Schultern klopfen. Die Korruptionsprüfer des Europarates hatten Deutschland in ihrem Umsetzungsbericht animiert, sämtliche Stellungnahmen von Interessenvertretern zu Gesetzesvorhaben zu veröffentlichen, was die meisten Bundesministerien bislang ablehnten. Dass die Bundesregierung nun doch damit begonnen hat, alle Lobbypapiere offenzulegen, kam erneut nur durch den Druck aus der Zivilgesellschaft zustande: Mit der Initiative #GläserneGesetze hatten abgeordnetenwatch.de und fragdenstaat.de im Sommer dazu aufgerufen, einzelne Lobbyisten-Stellungnahmen bei der Regierung anzufordern. Binnen einer Woche gingen 1.600 Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) ein. Die Ministerien gaben nach - und stellten die Dokumente freiwillig ins Netz.


Wer ist und was macht GRECO?

  • GRECO (The Group of States against Corruption) wurde vom Europarat gegründet
  • Die Aufgabe: GRECO überwacht die Einhaltung der Anti-Korruptions-Standards bei den Mitgliedsstaaten
  • Dafür werden in so genannten Evaluierungsrunden die Regelungen der Staaten hinsichtlich verschiedener Korruptionsthemen analysiert. Dann werden Handlungsempfehlungen ausgesprochen
  • Im Anschluss müssen die Staaten regelmäßig über die Umsetzung der Empfehlungen berichten
  • Die Empfehlungen sind für die Länder nicht rechtlich bindend. Bei nicht zufriedenstellenden Zwischenergebnissen leitet GRECO ein Mahnverfahren, das so genannte „non-compliance-Verfahren“ ein
  • Das Hauptdruckmittel für GRECO ist die Veröffentlichung der Berichte und die Resonanz von Medien und Organisationen

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