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Kritik an Deutschland

EU-Bericht legt Versäumnisse bei Lobbyregeln in Deutschland offen

In einem bislang kaum beachteten Bericht hat die EU-Kommission Versäumnisse von Bundesregierung und Bundestag festgestellt. In dem Report zur “Rechtsstaatlichkeit in Deutschland” ist von konkreten “Mängeln” die Rede, bei Nebentätigkeiten von Abgeordneten sieht die Kommission sogar "Anlass zur Sorge". Als Quelle nennt der Bericht auch Recherchen von abgeordnetenwatch.de.

von Redaktion abgeordnetenwatch.de, 09.08.2023
Flaggen von EU und Deutschland

Auf den ersten Blick kommt Deutschland in dem jüngsten Bericht der EU-Kommission “zur Rechtsstaatlichkeit 2023” gut weg. Das deutsche Justizsystem funktioniere effizient, die strafrechtliche Verfolgung von Korruption zeige keine systemischen Schwächen, und auch ein verbindliches Lobbyregister gebe es mittlerweile.

Doch mit den vielen schönen Worten ist es vorbei, wenn man den 45-seitigen Kommissionsbericht vom 5. Juli 2023 in seiner Gänze betrachtet.

Mit der Kritik geht es bereits auf Seite eins los. Etliche der im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vorgesehenen Reformen seien “noch nicht umgesetzt”, beispielsweise eine Verschärfung der Transparenzvorschriften bei Parteispenden. In Sachen Lobbytransparenz fehle nach wie vor der „legislative Fußabdruck“. Bei den Vorschriften über die Offenlegung von Vermögenswerten von Abgeordneten und Regierungsbeamten bestünden “Mängel”. Und so geht es auf den folgenden Seiten weiter.

Immerhin, so die EU-Kommission, seien bereits “einige Fortschritte” erzielt worden. Doch die Kommission legt die Latte niedrig: Als Fortschritt gilt bereits, dass die Ampel-Koalition ihre Pläne zur Einführung eines ‘Fußabdrucks’ “weiterverfolgt”.

Lang ist dagegen die Liste der Bereiche, in denen die Kommission Handlungsbedarf sieht:

  • Die Nebentätigkeiten von Abgeordneten seien unzureichend geregelt, laut EU-Kommission bestehe hier sogar “Anlass zur Sorge”. So existiere kein völlig unabhängiges Aufsichtsgremium, das Verstöße von Abgeordneten untersucht. Derzeit liegt die Zuständigkeit bei der Bundestagspräsidentin, die selbst Abgeordnete ist.
  • Die Vorschriften über die Offenlegung von Vermögenswerten der Abgeordneten seien aktuell “lückenhaft”. Auch gebe es hierzulande keine Bestrebungen, entsprechende Auskünfte über Ehepartner:innen und unterhaltsberechtigte Familienangehörige von Abgeordneten zu erfassen.
  • Die Transparenz bei Lobbyismus müsse in Deutschland verbessert werden. Dies sei in der Vergangenheit immer wieder angemahnt worden, u.a. von der Staatengruppe des Europarates gegen Korruption (GRECO).
  • Der Korruptionsparagraph 108e im Strafgesetzbuch müsse verschärft werden, damit “unethische unternehmerische Tätigkeiten von Abgeordneten” wie das Kassieren von Maskenprovisionen strafrechtlich geahndet werden kann. Dies hat die Ampel zwar angekündigt, bislang aber noch nicht umgesetzt.
  • Beim Wechsel von Politiker:innen und Beamt:innen in die Wirtschaft (“Drehtüreffekt”) seien weitere Regulierungen und einheitliche Regeln erforderlich. Doch “trotz internationaler Empfehlungen” plane die Bundesregierung nicht, in Bezug auf “die nach wie vor bestehenden Bedenken” hin tätig zu werden.
  • Beim Wechsel von Regierungsmitgliedern in die Wirtschaft könne laut der EU-Kommission eine “längere obligatorische Karenzzeit gerechtfertigt sein”. Die Aufnahme einer Tätigkeit in der freien Wirtschaft kann Minister:innen und Parlamentarischen Staatssekretär:innen derzeit für maximal 18 Monate untersagt werden, wenn dadurch “öffentliche Interessen” beeinträchtigt werden.
  • In Sachen Parteispenden mangele es nach wie vor an personellen und finanziellen Ressourcen in der Bundestagsverwaltung, “um die Aufsichts- und Kontrollfunktion des Parlaments zu stärken”. Zudem äußert die EU-Kommission in ihrem Bericht “nach wie vor Bedenken” hinsichtlich der erheblichen Zeitspanne zwischen den Spendeneinnahmen der Parteien und deren Veröffentlichung.
  • Beim Thema Politsponsoring hätten internationale Prüfer:innen Deutschland “wiederholt auf die Notwendigkeit niedrigerer Schwellenwerte und einer verschärften Dokumentationspflicht hingewiesen”. Nach wie vor sei dieser Bereich hierzulande “weitgehend nicht geregelt” “trotz seines Potenzials, sich den Zugang zu wichtigen Regierungsbeamten zu erkaufen”.

In dem EU-Bericht werden konkrete Missstände offen benannt. So existiere ein Einfluss von Großunternehmen und Wirtschaftsverbänden, “darunter aus der deutschen Automobilindustrie, die erhebliche Ressourcen einsetzen, um den Entscheidungsprozess in Deutschland zu beeinflussen”. Außerdem habe es “mehrere Skandale wie die Wirecard- und die Maskenaffäre” gegeben. 

Daraus folgert die EU-Kommission, dass es mehr Transparenz brauche, beispielsweise in Form eines “legislativen Fußabdrucks”. Ein solcher Fußabdruck mache sichtbar, “wer bei wem Einfluss auf den Entscheidungsprozess nimmt”. Dies trage zu gleicheren Wettbewerbsbedingungen für alle Interessenvertreter:innen bei und führe zu ausgewogeneren legislativen Ergebnissen. 

"Fußabdruck" könnte erst Ende 2024 kommen

Einen solchen “Fußabdruck” hat die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag zwar angekündigt, bislang aber nicht umgesetzt. Als die Prüfer:innen der EU-Kommission für ihren Bericht nach Deutschland reisten, bekamen sie den Grund zu hören: Die Einführung sei verschoben worden, weil der “Fußabdruck” möglicherweise nicht zusammen mit der Reform des Lobbyregisters angegangen wird, die zum Jahresende beschlossen werden soll. Vielmehr werde nun “erwogen”, den legislativen Fußabdruck “mit einer umfassenderen Initiative zur Einführung eines E-Gesetzgebungsverfahrens zu verbinden”. Und weil dafür unter Umständen erst eine “Machbarkeitsstudie” erstellt werden muss, wird der Fußabdruck wohl erst Ende 2024 kommen.

Recherchen von abgeordnetenwatch.de als Quelle für Missstände

Die Erkenntnisse und Kritik in dem Bericht gehen zurück auf Gespräche, die die EU-Kommission mit Vertreter:innen von deutschen Behörden, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Medien geführt hat. Außerdem flossen Medienberichte ein. Mehrfach wird auch abgeordnetenwatch.de als Quelle aufgeführt. Zum Beispiel zwei Recherchen, die wir 2021 und 2022 zusammen mit der ZEIT durchgeführt haben. Damals deckten wir auf, dass zahlreiche Abgeordnete gegen Transparenzvorschriften verstoßen hatten und dass einige Bundestagsmitglieder als Lobbyisten tätig sind. 

Konsequenzen hat der Bericht nicht: Die EU-Kommission verfügt über keinerlei Handhabe, um Transparenzmaßnahmen von Deutschland einzufordern oder Versäumnisse zu ahnden.

Was abgeordnetenwatch.de fordert

In dem EU-Bericht zur Rechtsstaatlichkeit in Deutschland werden Punkte aufgeführt, die so auch abgeordnetenwatch.de fordert. Wir halten unter anderem folgende Maßnahmen für dringend erforderlich:

Weitere Forderungen und Vorschläge von abgeordnetenwatch.de für eine transparente Politik finden Sie hier. 

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