Die Lobbyisten aus dem Adresshandel hatten ganze Arbeit geleistet. Einwohnermeldeämter sollten die Daten von Bürgern an Adresshändler und Unternehmen grundsätzlich rausgeben dürfen, so hatten es Union und FDP letzten Juni mit dem Meldegesetz beschlossen (abgeordnetenwatch.de berichtete). Die Weitergabe seiner Daten hätte ein Bürger nur dann verhindern können, wenn er selbst aktiv geworden und Einspruch eingelegt hätte. Aber selbst für diesen Fall waren Ausnahmeregeln vorgesehen.
Natürlich fällt ein derart wirtschaftsfreundliches Gesetz nicht vom Himmel, insbesondere dann nicht, wenn Union und FDP ursprünglich das genaue Gegenteil beabsichtigten - nämlich die Verbraucher vor dem Handel mit ihren Daten zu schützen. Laut Entwurf des Meldegesetzes hätten nicht die Bürger Widerspruch einlegen müssen, sondern die Datenhändler sollten ihrerseits die Einwilligung der betroffenen Bürger einholen. Für die Adresshändlerlobby war das inakzeptabel, und sie setzte offenbar alle Hebel in Bewegung. Die Frankfurter Rundschau schrieb:
Mehrere Insider im Bundestag sagen: 'Es ist absolut lebensfremd zu glauben, dass sich keine Lobby gegen einen solchen Entwurf engagiert hat. Die hätten sonst ihren Beruf verfehlt.'
Die Inkassobranche trommelte öffentlich gegen die verbraucherfreundlichen Pläne von Union und FDP:
Gerade für [Inkassounternehmen] ist es wichtig, dass die Meldeämter ihre neue Anschrift dem Gläubiger beziehungsweise dem beauftragten Inkassounternehmen mitteilen dürfen, damit sie ihrer Zahlungsverpflichtung bald nachkommen können und der Verzugsschaden, den sie erstatten müssen, nicht noch größer wird.
Die Aktivitäten hinter den Kulissen verfehlten ihre Wirkung offensichtlich nicht: Union und FDP schmuggelten in einer Nacht- und Nebelaktion die unternehmerfreundliche Regelung in den Entwurf des Meldegesetzes - nur einen Tag vor der Schlussabstimmung. abgeordnetenwatch.de deckte damals die Namen der Abgeordneten auf, auf die die Last-Minute-Änderung zurückging: Hans-Peter Uhl (CSU) und Gisela Piltz (FDP). Warum die Koalitionäre mit einem mal die verbraucherfreundliche Intention des Meldegesetzes ins Gegenteil verkehrten, ließ sich ausgerechnet der Wahlkreismitarbeiter des CSU-Innenexperten Uhl von einem Journalisten entlocken:
Hätten wir die Einwilligungslösung gemacht, hätten ja alle Versandhändler aufgeschrien.
(Dieser Satz wurde später aus dem FOCUS online-Artikel mit dem Hinweis gelöscht, dass der Mitarbeiter "nicht befugt" war, der Presse Auskünfte zu geben.) Der Rest ist bekannt: Das Meldegesetz wurde in einer Nachtsitzung am 28. Juni 2012 von gerade einmal 17 Abgeordnete von CDU/CSU und FDP beschlossen - zeitgleich fand das EM-Halbfinalspiel Deutschland - Italien statt.
Die öffentliche Empörung war groß und die Opposition kündigte schon mal an, das Geschenk an die Adresshändlerlobby über den Bundesrat zu stoppen. So ist es durch die gestrige Entscheidung des Vermittlungsausschusses auch gekommen. Bundestag und Bundesrat einigten sich auf folgenden Kompromiss: Bürger sollen künftig eine generelle Zustimmung beim Einwohnermeldeamt zur Weitergabe ihrer Daten geben (Einwilligungslösung). Alternativ können die Adresshändler ihrerseits eine Einwilligung bei den Betroffenen einholen. Das Bündnis "Meine Daten sind keine Ware" begrüßt die nun vereinbarte Einwilligungslösung, kritisiert aber, dass auch Unternehmen eine Einwilligung einholen können. Dieses Verfahren öffne Tür und Tor für "erschlichene oder behauptete Einwilligungen".
Lesen Sie auch: "Handstreich im Bundestag: Wie zwei Abgeordnete das Meldegesetz durchs Parlament drückten" (9. Juli 2012)