Neuordnung des Polizeiaufgabengesetzes

Das Gesetz zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts (PAG) wurde vom Bayerischen Landtag mit den Stimmen der CSU-Fraktion angenommen. Es führt umfassende neue Kompetenzen für die Polizei zur Prävention von Gefahrensituationen ein.

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Dafür gestimmt
90
Dagegen gestimmt
67
Enthalten
2
Nicht beteiligt
21
Abstimmungsverhalten von insgesamt 180 Abgeordneten.

Die CSU-Fraktion unterstützte das Gesetz der Staatsregierung. Die Fraktionen von SPD, Freien Wählern und Grünen sowie die fraktionslosen Abgeordneten Alexander Muthmann, Claudia Stamm und Günther Felbinger stimmten gegen den Entwurf. Es enthielten sich Prof. Dr. Peter Paul Gantzer (SPD) und Bernhard Pohl von den Freien Wählern. Mit 90 Ja-, 67 Gegenstimmen und 2 Enthaltungen wurde der Gesetzentwurf angenommen.

Das Gesetz zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts (PAG-Neuordnungsgesetz) räumt Polizeibeamten des Freistaats in verschiedener Hinsicht neue und verstärkte Kompetenzen ein. Neben den Maßnahmen, die den unmittelbaren Einsatz betreffen, sorgte im Vorfeld die Einfügung der Gefahrenkategorie der „drohenden Gefahr“ für Diskussionen. Weil diese nicht klar definiert sei, fürchten Kritiker*innen, dass von dem Gesetz auch bei Zivilist*innen im Namen der Gefahrenprävention Gebrauch gemacht werden könne.

In der Plenardebatte verteidigte Thomas Kreuzer (CSU) den Gesetzentwurf der Staatsregierung. Die Sicherheit der Bevölkerung werde mit der Neuregelung des Polizeiaufgabengesetzes an die veränderte Sicherheitslage in Deutschland und den digitalen Fortschritt angepasst. Außerdem könne nun auf absehbare Bedrohungen bereits reagiert werden, auch wenn genauer Ort und Zeit noch nicht feststünden. Kreuzer wies Kritik darüber zurück, dass das Gesetz zu weitreichend sei und verwies auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeskriminalamtsgesetz von 2016. Indem der Gesetzentwurf nicht nur auf terroristische Bedrohungen beschränkt sei, könnte beispielsweise auch vor geplanten Amokläufen an Schulen besser reagiert werden. Außerdem könnten Richter im Nachhinein noch immer über die Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen entscheiden. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende kritisierte außerdem die Teilnahme von SPD und Grünen bei den durch das noPAG-Bündnis organisierten Demonstrationen. Er warf den Parteien vor, mit linksextremen Gruppierungen zusammenzuarbeiten und so ihre Falschbehauptungen zu stützen. Manfred Ländner (CSU) beschuldigte sie außerdem, das Ansehen der Polizei in der Bevölkerung mit ihrer Teilnahme an den Demonstrationen schwächen zu wollen.

Auch Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte Zustimmung zum Gesetz. Er betonte, dass die Änderungen mehr Sicherheit garantieren und darüber hinaus die von der EU geforderten Datenschutzrichtlinien umsetzen würden. Er ging auf einige Kritikpunkte der Opposition ein und wies beispielsweise die Sorge um die unbegrenzte Präventivhaft als Propaganda zurück. Diese müsse immer noch richterlich bestätigt werden, genauso wie andere Maßnahmen, zu denen die Polizei mit der Änderung des PAG befähigt werde.

Natascha Kohnen (SPD) kritisierte den Gesetzentwurf und das Verhalten der CSU-Fraktion aufs Schärfste. Sie warf der Staatsregierung vor, die Bedenken von Verfassungsrechtler*innen sowie des Bundesvorsitzenden der Polizei Oliver Malchow zu ignorieren, die das Gesetz als nicht zielführend beschrieben hätten. Kohnen forderte die Schaffung neuer Polizeistellen, um die Beamt*innen zu entlasten und die Polizeipräsenz in Bayern zu erhöhen. Sie kritisierte außerdem die Einführung der Kategorie der „drohenden Gefahr“, die nicht nur in Bezug auf terroristische Attacken verwendet werden könne. Dies gehe weit über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinaus und legalisiere den Eingriff in das Leben der gesamten bayerischen Bevölkerung.

Auch Eva Gottstein (Freie Wähler) bezeichnete das Vorgehen des CSU als „bedauerlichen Politikstil“. Sie warf ihnen vor, dass die Bürger*innen, die gegen das PAG demonstrierten, nicht ernst genommen würden und forderte einen offenen Dialog über den Gesetzentwurf, bevor er verabschiedet werde.

Katharina Schulze (Grüne) schloss sich der Kritik der anderen Oppositionsparteien an und betonte, dass das Gesetz nicht nur Bürger- und Freiheitsrechte einschränke, sondern auch der Polizei gar nicht helfe. Insbesondere die Einführung von DNA-Kontrollen als gefährlich eingestufter Menschen bezeichnete sie als zu großen Eingriff in die Privatsphäre. Schulze kündigte genauso wie Franz Schindler (SPD) an, vor Gericht gegen das Gesetz klagen zu wollen.

Die fraktionslose Claudia Stamm kündigte ihre Ablehnung zum Gesetzentwurf und eine Klage an. Sie bemängelte insbesondere, dass das Gesetz nicht lesbar sei.

 

Die Erneuerung des Polizeiaufgabengesetzes war von vielen Fragen und Diskussionen begleitet. Wir beantworten für Sie die wichtigsten Fragen und erläutern die Hintergründe:

 

1. Worum geht es der Bayerischen Regierung bei der Gesetzesnovelle?

Aufgrund der EU-Richtlinie 2016/680 überarbeiten aktuell alle Bundesländer ihre Polizeigesetze in Hinsicht datenschutzrechtlicher Bestimmungen. Die Bayerische Staatsregierung beruft sich bei ihrem Gesetzentwurf sowohl auf die Umsetzung des EU-Datenschutzrechts als auch auf das BKAG-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09).

Diese Dokumente regeln maßgeblich zwei Punkte:

  • Im Sinne der EU-Richtlinie soll ein größerer Schutz bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch Erweiterung der Benachrichtigungs-, Auskunfts- und Löschpflichten ermöglicht werden.
  • Außerdem soll dem Urteil des BVerfG Rechnung getragen und heimliche Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr von Terrorgefahren rechtlich verankert werden.

Hierfür sollen in Bayern mit dem neuen Gesetz unter anderem Daten aus besonders sensiblen Maßnahmen, z. B. aus der Aufzeichnung überwachter Telefongespräche, durch eine unabhängige Stelle vorab gesichtet werden. Diese neue Zentralstelle wird beim Polizeiverwaltungsamt angesiedelt und prüft dann, ob der Eingriff in das Privatleben zu tief gehe.

Zusätzlich gibt die Staatsregierung als wesentliches Ziel der Gesetzesnovelle die Weiterentwicklung der präventiv-polizeilichen Eingriffsbefugnisse an. Der technische Fortschritt und erhöhte Terrorgefahr machten es notwendig, hier Kompetenzen zu erweitern. Die Polizei soll künftig folgende Maßnahmen umsetzen können:

  • Die Polizei darf DNA von „potentiellen Gefährdern“ untersuchen und Informationen wie Haut-, Augen- und Haarfarbe sowie die Herkunft der Person speichern.
  • Die Beamten dürfen private Cloud-Daten speichern und löschen.
  • Die Polizei darf Postsendungen präventiv einbehalten und sicherstellen, ohne dass der Adressat etwas davon mitbekommt.
  • Sie darf Videoaufnahmen bei großen oder unübersichtlichen Veranstaltungen z. B. mittels Bodycams oder Drohnen einschließlich des Einsatzes in Wohnungen anfertigen und auswerten.
  • Erlaubt ist künftig auch der Einsatz intelligenter Videotechnik zur Muster- und Personenerkennung (bspw. ein alleinstehender Koffer am Bahnsteig oder ein bestimmtes verdächtiges Verhalten von Personen; außerdem Feststellung der Identität eventueller Gefährder mittels Echtzeitlichtbildabgleich).
  • Der Einsatz von unbemannten Luftfahrtsystemen (Drohnen) etwa bei der Videoüberwachung, bei der Ortung von Handysignalen oder bei der Vermisstensuche wird gestattet.
  • Der Einsatz von Explosivmitteln, z. B. das Tragen von Handgranaten bei Einsätzen. Dies ist beschränkt auf ausgebildete Spezialkräfte zur Terrorismusabwehr.

Das PAG-Neuordnungsgesetz sieht darüber hinaus vor, die Einfügung der Gefahrenkategorie der „drohenden Gefahr“ für bedeutende Rechtsgüter einzuführen. Die Bayerische Staatsregierung ist der Auffassung, der Rechtsstaat dürfe nicht warten, bis tatsächlich etwas passiert, sondern er müsse rechtlich dazu in der Lage sein, Taten wie z. B. Anschläge im Vorfeld zu verhindern.

Mit Blick auf das Urteil des BVerfG könnte dies im Sinne der Prävention terroristischer Anschläge hilfreich sein. Kritiker*innen bemängeln jedoch anhand der nicht ausreichend definierten Gefahrenkategorie auch die Möglichkeit, diese auf normale Straftaten anzuwenden, bevor diese überhaupt begangen werden.

2. Ist die Bekämpfung einer drohenden Gefahr nicht eigentlich etwas Gutes?

Sie fragen sich, warum so viele Menschen gegen das PAG demonstrieren? Sie planen schließlich keinen Terroranschlag, das Gesetz wird Sie also wohl nie betreffen. Doch indem das PAG die Kategorie einer „drohenden Gefahr“ einführt, ist das gar nicht mehr so sicher. Denn nun liegt die Entscheidung darüber, wer eine Bedrohung darstellt, bei der Polizei. Bisher musste ein Gericht beschließen, dass tatsächlich Gefahr von einer Person ausgeht. Erst dann durften beispielsweise ihre Nachrichtenverläufe überwacht werden. Ohne richterliches Urteil können Sie auch nach der Änderung nicht auf unbegrenzte Zeit in Präventivgewahrsam genommen werden. Trotzdem stellt sich die Frage, welches Verhalten eigentlich als verdächtig eingestuft wird, wer das bestimmt und wie Änderungen in der Einschätzung vorgenommen werden. Und welche*r Polizeibeamte wann zu welcher Einschätzung kommt. Diese neuen Kompetenzen könnten auch zu einem härteren Durchgreifen von Polizist*innen führen, warnt Prof. Tobias Singelnstein, Kriminologe der Ruhr Universität Bochum, in einem Interview mit Krautreporter.de. Sie stünden nämlich unter umso höherem Erwartungsdruck, je mehr Entscheidungsfreiheit sie hätten.

3. Ich wohne gar nicht in Bayern – Gibt es auch in meinem Bundesland ein Polizeiaufgabengesetz?

Ja, jedes Bundesland hat ein Polizeigesetz. Jedoch unterscheiden sich die Gesetze der einzelnen Länder stark in ihrer Härte. Außerdem überarbeiten alle Bundesländer gerade ihre Polizeigesetze oder haben bereits entsprechende Änderungen vorgenommen (siehe oben). Besonders harte Vorschriften nach bayerischem Vorbild planen unter anderem die Regierungen in Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Baden-Württemberg hat bereits im November 2017 gesetzliche Verschärfungen beschlossen. In anderen Ländern wird das Polizeigesetz dagegen nur geringfügig verändert. Krautreporter.de hat sich die Mühe gemacht und den Stand der Änderungen und Gesetzentwürfe in allen Bundesländern hier verständlich aufbereitet.

4. Was passiert auf Bundesebene?

Generell sind die Aufgaben der Polizei Ländersache. Alle Innenminister*innen der Länder haben jedoch im Juni 2017 beschlossen, dass es ein Polizeimustergesetz als Vorlage für die Bundesländer geben soll. Bundesinnenminister Horst Seehofer will, dass sich dieses Gesetz am bayerischen PAG orientiert. (Wenn eine terroristische Bedrohung mehrere Länder betrifft oder ein Bundesland mit der Rekation auf eine Bedrohung überfordert ist, greift übrigens das Bundeskriminalamt ein. Auch das dazugehörige Bundeskriminalamtsgesetz kennt die Kategorie „Gefahr in Verzug“ schon.)

5. Wer äußert Kritik und gibt es Alternativvorschläge?

Kritik wird von vielen Seiten laut. Die gesamte Opposition des Bayerischen Landtags stimmte dem Gesetzentwurf nicht zu. Bereits bei der Abstimmung zum dazugehörigen Gesetz für die Überwachung als gefährlich eingestufter Personen im letzten Jahr enthielten sich die SPD und der Großteil der Freien Wähler. Die Grünen stimmten gegen den Entwurf. SPD und Grüne gehörten darüber hinaus dem noPAG-Bündnis an, das die Demonstrationen in Bayern am 10. Mai organisierte. Auch Nichtregierungsorganisationen wie attac oder die Deutsche Vereinigung für Datenschutz nahmen neben linksradikalen Vereinigungen wie der Antifa hieran Teil. Die CSU verurteilte in einem Dringlichkeitsantrag die Kooperation der etablierten Parteien mit linken Gruppierungen wie der Antifa.

Konkrete Gesetzentwürfe der Oppositionsparteien als Alternative zum Vorschlag der CSU liegen noch nicht vor. SPD und Grüne kündigten allerdings an, gegen das Gesetz zu klagen. Alle Oppositionsfraktionen waren sich jedoch darin einig, dass eine Gesetzesänderung zur effektiveren Terrorismusabwehr notwendig sei. Das PAG in der von der Staatsregierung gefassten Form erteile der Polizei unverhältnismäßig hohe Kompetenzen. Auch Experten kritisieren den Gesetzentwurf ebenfalls als zu weitreichend und als zu großen Eingriff in die Privatsphäre und Freiheitsrechte der Bürger*innen. In Bezug auf solche Änderungen sagte der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Stefan Brink in einem Interview dazu: „Wir alle bezahlen die Hoffnung auf mehr Sicherheit mit der realen Einbuße an Freiheit.“

Text: Janina Bauer, Florian Sprenger