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Meinen SPD und Grüne es ernst mit der Transparenz?

Meinen SPD und Grüne es ernst mit der Transparenz? Beim Lesen des aktuellen SPIEGEL können einem zumindest Zweifel kommen. Demnach will die Fraktionsspitze eine von zwei Abgeordneten initiierte freiwillige Selbstverpflichtung ausbremsen.

von Martin Reyher, 18.03.2013

 

 

Meinen SPD und Grüne es ernst mit der Transparenz? Beim Lesen des aktuellen SPIEGEL ("Geheimsache Schick/Bülow", S. 46) können einem zumindest Zweifel kommen. In dem Text geht es um einen Verhaltenskodex für Politiker, den die beiden Bundestagsabgeordneten von Grünen und SPD, Gerhard Schick und Marco Bülow, vergangene Woche zunächst fraktionsintern und später öffentlich via ZEIT ONLINE vorgestellt hatten. Ihre Fraktionschefs seien "entsetzt" gewesen, weiß nun der SPIEGEL zu berichten. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann habe sich hinter verschlossenen Türen über eine "völlig schräge Geschichte" echauffiert. Der Grünen-Abgeordnete Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion, halte das Ansinnen gar für unnötig, gefährlich und abstoßend. Was bringt die Fraktionskollegen von Schick und Bülow derart auf die Palme? "Skandale, Intransparenz und übersteigerter Lobbyismus", so schreiben beide in der Präambel zum "Verhaltenskodex für Abgeordnete des Deutschen Bundestages (pdf), "schaden der Glaubwürdigkeit und Integrität von Politiker/innen." In ihrem fünfseitigen Papier machen Bülow und Schick deshalb Vorschläge, wie sich das verloren gegangene Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger ihrer Meinung nach wieder zurückgewinnen lässt: Abgeordnete sollen künftig

  • alle Nebenverdienste auf Euro und Cent sowie die Auftraggeber offenlegen,
  • Einsicht in ihren Steuerbescheid geben (unter Schwärzung der privaten Daten),
  • ihre Nebenverdienste auf höchstens drei bezahlte Tätigkeiten als Mitglied eines Vorstandes, Aufsichtsrates, Verwaltungsrates, Beirates oder anderer Gremien begrenzen,
  • keinerlei bezahlte Funktionen in Unternehmen und Verbänden aus ihrem politischen Fachgebiet annehmen,
  • alle publizistischen, Gutachter- und Vortragstätigkeiten offenlegen,
  • Nebenverdienste, die aufs Jahr gerechnet mehr als die Hälfte der Abgeordnetendiät betragen, an eine gemeinnützige Organisation spenden,
  • jede Geldspende und geldwerte Zuwendungen über 1.000 Euro sowie den Namen des Spenders veröffentlichen,
  • alle verabredeten Treffen mit Lobbyisten transparent machen,
  • mindestens drei Jahre nach Ausscheiden aus dem Bundestag keine Tätigkeit als Lobbyist annehmen,
  • von Unternehmen und Lobbyisten keine Geschenke oder Essenseinladungen über einem Wert von 100 Euro annehmen,
  • bei Terminen mit Interessengruppen auf Ausgewogenheit achten, damit nicht nur finanzstarke und gut organisierte Gruppen Aufmerksamkeit erhalten,
  • sich im Bundestag künftig u.a. für folgende Anliegen einzusetzen: Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters und Neuregelung der Bekämpfung der Abgeordnetenbestechung (insbesondere zur Ratifizierung der UN-Konvention gegen Korruption).

 

Schick und Bülow haben nicht vor, diese strengen Transparenzregeln verpflichtend für alle Abgeordneten einzuführen - sie wollen lediglich eine freiwillige Selbstverpflichtung für all jene, die mit gutem Beispiel voranschreiten. Doch das geht manchen schon zu weit. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Oppermann erklärte heute bei Twitter auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage:

 

 

Oppermanns Pendant bei den Grünen, Volker Beck, antwortete:

 

Transparenz ja, meinen Oppermann und Beck also, aber erst, wenn man dafür eine eigene Bundestagsmehrheit hat - eine verquere Logik, die ein Twitterer so kommentierte:

 

 

Der Transparenz-Kodex wäre für SPD und Grüne die Gelegenheit gewesen, sich als glaubwürdige Vorkämpfer für Transparenz zu profilieren. Doch statt dessen verstecken sich die Fraktionsoberen hinter ihrer Oppositionsrolle. Auf diese Weise lässt sich der Schwarze Peter - wie praktisch! - einfach den anderen zuschieben, ohne am Ende selbst als Transparenzverweigerer dastehen zu müssen. Tatsächlich dürfte der Kodex von einigen SPD- und Grünen-Abgeordneten als ziemliche Zumutung empfunden werden. Kanzlerkandidat Steinbrück müsste beispielsweise von seinen Nebeneinkünften weit mehr als eine Millionen Euro an eine gemeinnützige Organisation spenden und Einblick in seine Steuererklärung geben. Zudem wird sich nach der Bundestagswahl im Herbst der ein oder andere Abgeordnete nach einem Job außerhalb des Parlaments umsehen (müssen), so dass die vom Kodex geforderte dreijährige Karenzzeit akut wird. Dass viele Unternehmen oder Verbände eine Verwendung für gut vernetzte ehemalige Volksvertreter finden, hat die Vergangenheit eindrucksvoll gezeigt. Die Seiten gewechselt haben u.a.

  • Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), der 2005 kurz nach dem Regierungswechsel zur Gazprom-Tochter Nord Stream AG wechselte, dessen milliardenschweres Pipelineprojekt durch die Ostsee er zuvor wohlwollend begleitet hatte,
  • Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), der beim Weltmarktführer für Zeitarbeit, Adecco, als Vorstandsvorsitzender einer Denkfabrik eine neue Wirkungsstätte fand,
  • Rezzo Schlauch (Grüne), Parlamentarischer Staatssekretär unter Clement, der 2005 in den Beirat des Energieversorgers EnBW einzog,
  • Ex-Innenminister Otto Schily (SPD), der Aufsichtsratmitglied bei den Biometrieunternehmen SAFE ID Solution und Byometric Systems AG wurde (als Minister hatte Schily sich für biometrische Ausweise stark gemacht),
  • der frühere Arbeitsminister Walter Riester, der 2009 in den Aufsichtsrat von Union Investment wechselte,
  • der Wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Wend, der nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag als Leiter des Zentralbereichs Politik und Unternehmensverantwortung bei der Deutschen Post DHL anheuerte,
  • der SPD-Bundestagsabgeordnete Dietmar Staffelt, der 2009 als Leiter des Bereichs Politik- und Regierungsangelegenheiten zum Raumfahrt- und Rüstungskonzern EDAS ging,
  • der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Matthias Berninger, der mit dem Nahrungsmittelkonzern Mars einen neuen Arbeitgeber fand. (weitere Seitenwechsler gibt es hier in der Lobbypedia).

In den Reihen von SPD und Grünen haben sich neben den beiden Initiatoren Gerhard Schick und Marco Bülow inzwischen rund ein Dutzend Abgeordnete der freiwilligen Selbstverpflichtung unterworfen. Bei der SPD sind dies die Abgeordneten Michael Groß, Daniela Kolbe, René Röspel, Swen Schulz und Frank Schwabe. Der Grünen-Abgeordnete Wolfgang Strengmann-Kuhn erklärte bei Facebook:

 

 

Bülow und Schick hatten vor einiger Zeit abgeordnetenwatch.de und andere Transparenzorganisationen um eine Bewertung ihres Kodexentwurfes gebeten. Aus unserer Sicht werden mit der Selbstverpflichtung gute Mindeststandards gesetzt, die an der ein oder anderen Stelle aber ambitionierter hätten sein sollen. Wer sich als Abgeordneter selbst dazu verpflichtet, seine Nebeneinkünfte auf Euro und Cent offenzulegen, dem dürfte es nicht schwer fallen sich im Bundestag für eine verbindliche Regelung einzusetzen. Ebenso unberücksichtigt ist bislang die Selbstverpflichtung, sich für eine Offenlegung der Branchen, in denen Unternehmensberater, Rechtsanwälte u.a. tätig sind, stark zu machen.

 

 

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Gestern Abend entwickelte sich bei Twitter dieser Dialog:

 

 

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