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SPD-Abgeordnete schlagen Verbot von Nebeneinkünften und Unternehmensspenden vor

Unternehmensspenden verbieten, Nebentätigkeiten für Abgeordnete untersagen: Dieser Vorschlag kommt von mehreren SPD-Bundestagsabgeordneten. Während bei den Parteispenden insbesondere Union und FDP betroffen wären, würde das Verbot von Nebentätigkeiten vor allem einen SPD-Mann empfindlich treffen: Peer Steinbrück.

von Martin Reyher, 12.10.2011

Millionen Euro fließen jedes Jahr als Spenden an die Parteien, und als besonders spendierfreudig erweisen sich jedes Mal die Unternehmen und Interessenverbände. Natürlich, so sagen sie, geht es ihnen dabei nicht um ihre eigenen Interessen, sondern um „gesellschaftliche Verantwortung“ (DVAG), das Wohl der „Demokratie“ (Clou Container Leasing GmbH) oder die Stärkung der „politischen Willensbildung“ (Berenberg Bank).

Wie bitte?! Unternehmen und Verbände, die sonst Politiker bei parlamentarischen Abenden oder in diskreten Vier-Augen-Gesprächen zu bearbeiten versuchen, die - wie die Fluggesellschaft Air Berlin - Abgeordnete mit Premiumcards ausstatten und im Begleitschreiben "eine glückliche Hand bei politischen Entscheidungen" wünschen, entdecken plötzlich ihr Herz für das Allgemeinwesen?

Etwas überraschend kommt nun aus den Reihen der SPD-Bundestagsfraktion der Vorschlag, Parteispenden von Unternehmen und Verbänden zu verbieten. Dies fordert abgeordnetenwatch.de seit langem. Warum sollen „juristische Personen“, die von Natur aus Eigeninteressen im Blick haben, politische Parteien mit nicht unerheblichen Spendensummen mitfinanzieren? Warum sollen die eigentlichen Auftraggeber der Spenden, die in den Chefetagen der Wirtschaft sitzen, sich hinter dem Namen ihres Unternehmens oder ihres Verbandes verstecken, anstatt - für alle sichtbar - im eigenen Namen eine Partei zu unterstützen?

Das Diskussionspapier, das die Arbeitsgruppe „Demokratie“ innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion kürzlich verfasst hat und das wir weiter unten veröffentlichen, trägt die Überschrift „Demokratie erneuern, Demokratie leben“. Die Autoren bringen zahlreiche Ideen ins Spiel, darunter Bürgerfragen in der Fragestunde des Deutschen Bundestages oder Volksentscheide auf Bundesebene. Doch besonders zwei Vorschläge stechen hervor: Neben der Abschaffung von Parteispenden ist auch die Rede von einem Verbot von Nebentätigkeiten.

Das Problem der Nebentätigkeiten betrifft zwar nur eine kleine Gruppe von Abgeordneten, doch diese bringen nicht selten das gesamte Parlament als raffgierigen Haufen in Verruf. Was denken Bürger, wenn ein Bundestagsabgeordneter wie der frühere Finanzminister Peer Steinbrück - wie von abgeordnetenwatch.de enthüllt - Nebeneinkünfte bezieht, die fünf Mal so hoch sind wie das Gehalt der Bundeskanzlerin? Vermutlich wird niemand auf den Gedanken kommen, dass bei diesem viel beschäftigten Honorarredner, Buchautor und Aufsichtsratsmitglied das Bundestagsmandat im Mittelpunkt seiner Tätigkeit steht (stehen kann!), so wie es das Abgeordnetengesetz eigentlich verlangt.

Und auch diese Frage muss erlaubt sein: Wenn Bundestagsabgeordnete wie die früheren Minister Heinz Riesenhuber und Michael Glos als Berater bei unzähligen Investmentfirmen, Bio-Tech-Unternehmen und Kommunikationsagenturen auf der Gehaltsliste stehen - wie unabhängig können sie dann in ihrer Funktion als Volksvertreter noch sein? Kann man zwei Herren auf einmal dienen, hier der UniCredit Group, dort den Bürgerinnen und Bürgern?

Das sind Fragen, die angesichts der Vorschläge aus den eigenen Reihen nun auch die SPD-Fraktionsspitze beantworten muss. Am Montagmorgen fragte abgeordnetenwatch.de schriftlich bei Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und dem parlamentarischen Geschäftsführer Thomas Oppermann nach, ob sie die Ideen der Arbeitsgruppe - insbesondere das Verbot von Parteispenden und Nebentätigkeiten - teilen und wie sie dieses umsetzen wollen. Sobald die Antworten vorliegen, werden wir sie hier im Blog veröffentlichen.

Auszug aus dem Papier der SPD-Fraktionsarbeitsgruppe "Demokratie":

Folgende Vorschläge für den Bereich Parlament/Regierung scheinen einer näheren Prüfung und ggf. den Versuch einer parteiübergreifenden Konsensbildung im Parlament wert:
  • Einführung von Bürgerinitiativen, Bürgerbegehren, Bürgerentscheid auf Bundesebene (Volksgesetzgebung): „In gesetzlich festzulegenden Grenzen sollen sie die parlamentarische Demokratie ergänzen, und zwar nicht nur in Gemeinden und Ländern, sondern auch im Bund. Wo die Verfassung der parlamentarischen Mehrheit Grenzen setzt, gelten diese auch für Bürgerentscheide.“ (Grundsatzprogramm der SPD, S.32)
  • Einführung einer konsultativen Volksbefragung
  • Einfügung einer Oppositionsklausel ins Grundgesetz, in der die Aufgabe der parlamentarischen Opposition beschrieben wird. In einigen Landesverfassungen (z.B. Hamburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern) gibt es diese schon. Auch die Einfügung eines Artikels, in dem die Aufgabe von Fraktionen bestimmt wird, wäre zu prüfen.
  • Klarere Fassung Art.21/Parteien wirken mit (wer wirkt noch alles mit?)
  • Keine Nebentätigkeiten von Abgeordneten (Bund, EU)
  • Lobbyregister beim Deutschen Bundestag
  • Keine Spenden von Firmen und Verbänden an Parteien
  • Überprüfung des Wahlrechts im Fünf-Parteien-System (Boom der Überhangmandate)
  • Verfassungsfeste Diätenregelung, die ständige Selbstbefassung überflüssig macht (Kopplung an Entwicklung des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens, Inflation, BSP o.ä.)
  • Komplett-TV-Übertragung von Bundestagssitzungen auch abends und nachts; öffentliche Übertragung von Ausschusssitzungen (Konferenzschaltung): d.h. von 365 Tagen könnte Phoenix an 66 Tagen (22x3) Parlamentsfernsehen sein. Begonnen werden sollte mit der öffentlichen Übertragung der Sitzungen des Petitionsausschusses.
  • Gelegentlich „auswärtige“ Ausschusssitzungen, öffentlich
  • Reduzierung der Zahl der Plenumsdebatten, Abschichtung auf öffentlich tagende Ausschüsse
  • Kürzere Reden, ggf. auch vom Platz aus (lebendigere Ästhetik)? Frei zu halten?
  • Statt halbstündiger Unterrichtung durch die Bundesregierung zu einem Kabinettstagesordnungspunkt mittwochs eine Stunde Befragung der Bundesregierung bei Anwesenheit von Kanzlerin/Kanzler (wie in Großbritannien: Prime Minister’s Questions).
  • Zulassung von fünf Bürgerfragen in der Fragestunde des Deutschen Bundestages. Die Frage selbst (einschließlich Absender) wird vom antwortenden Regierungsmitglied verlesen und mündlich beantwortet. Die Abgeordneten haben auch zu diesen Fragen das Nachfragerecht. Darüber hinaus streben wir einen grundlegenden Ausbau der Mitwirkungsmöglichkeiten und eine umfassende Transparenz des Verfahrens im Petitionsrecht an.
  • Noch bessere politisch-bildnerische Begleitung von Berlin-Besuchern durch Bundestag und Bundespresseamt (z.B. Broschüre „Fakten – der Bundestag auf einen Blick“). Vorsicht vor Halb-Verstandenem und Früher-mal-Richtigem!
  • Verständigung auf eine „Abgeordneten-Ethik“
  • Sprachmuster – nicht selbst Politikverdrossenheit das Wort reden (Prof. Zeh):
    • Sagt niemals, es sei ja nur parteipolitisch, was der politische Gegner vorbringt!
    • Schlagt niemals vor, man möge ein bestimmtes Thema aus dem Wahlkampf heraushalten!
    • Hört auf damit, jede Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als schallende Ohrfeige für die im Rechtsstreit unterlegene Seite zu bezeichnen!
    • Missbraucht die Befürchtung, etwas fördere die Parteienverdrossenheit, nicht in der politischen Auseinandersetzung!
    • Erzählt auch nicht zu oft die Sage, früher sei es im Bundestag viel besser gewesen, es habe gewaltigere Redner, bedeutendere Persönlichkeiten und knorrigere Charaktere gegeben! Es ist nur eine Alterserscheinung, so zu reden.
  • Immer die Bedingungen politischen Handelns mit thematisieren – als in der Öffentlichkeit politisch Handelnder
  • Demokratie zu erklären und Verdrossenheitspopulismus entgegenzuwirken, könnte eine der wichtigsten Aufgaben des Bundespräsidenten sein.

In ihrem Papier unterbreitet die SPD-Fraktionsarbeitsgruppe Vorschläge für insgesamt drei Handlungsfelder:

A. Reformen im politischen Betrieb B. Demokratie braucht Demokraten: Grundlagen einer zeitgemäßen Demokratischen Bildung in der Schule C. Demokratie und Medien

Das vollständige Papier "Demokratie erneuern, Demokratie leben" gibt es hier zum Nachlesen (pdf)

Der AG "Demokratie" gehören die Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Bartels (Vorsitzender), Marco Bülow, Edelgard Bulmahn, Sebastian Edathy, Siegmund Ehrmann, Kerstin Griese, Barbara Hendricks, Petra Hinz, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe, Ute Kumpf, Katja Mast, Sönke Rix, Michael Roth, Martin Schwanholz und Rolf Schwanitz an.

Update 14.10.2011: Antwort des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Bundestagsfraktion Thomas Oppermann auf unsere Anfrage vom 10. Oktober, ob die SPD-Fraktionsspitze die Vorschläge der Fraktionsarbeitsgruppe "Demokratie" teilt:

Unsere Fraktion hat den Kollegen Hans-Peter Bartels damit beauftragt die Arbeitsgruppe „Demokratie“ zu leiten und Konzepte zur Erneuerung und Belebung der Demokratie zu erarbeiten. Die öffentlichen Debatten der vergangenen Monate haben klar gemacht, dass dies ein wichtiges Thema ist. Bislang haben wir noch nicht auf einer Fraktionssitzung über die entsprechenden Konzepte beraten und auch noch keine Beschlüsse gefasst. Deshalb bitte ich Sie, sich an meinen Kollegen Hans-Peter Bartels zu wenden.

Update 26.10.2011: Antwort aus dem Fraktionsbüro von Frank-Walter Steinmeier:

Vielen Dank für Ihre Email an Frank-Walter Steinmeier und Thomas Oppermann. Thomas Oppermann hat Ihnen ja bereits geantwortet. Herr Steinmeier kann nur wiederholen, dass die SPD-Fraktion über die entsprechenden Konzepte noch nicht beraten und somit auch noch keine Beschlüsse gefasst hat. Sie werden sich also noch ein bisschen gedulden müssen. Bis dahin kann ich Ihnen allerdings versichern, dass Herr Steinmeier das Engagement von Hans-Peter Bartels und seinen KollegInnen in der Arbeitsgruppe „Demokratie“ begrüßt. Wie Herr Oppermann bereits klargestellt hat: Die öffentlichen Debatten der vergangenen Monate haben klar gemacht, dass die Erneuerung und Belebung unserer Demokratie ein wichtiges Thema ist. Mit freundlichen Grüßen, auch im Namen von Herrn Dr. Steinmeier

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