Dr. Oetker, Henkel und Co.

Die Lobbymacht der "Familienunternehmer"

Mit scharfer Rhetorik und guten Kontakten in die Politik bekämpft der Lobbyverein "Die Familienunternehmer e.V." Gesetzesvorhaben der Regierung. Abgeordnete beklagen das aggressive Vorgehen des Verbandes, hinter dem zahlreiche Weltkonzerne stehen. Interne Dokumente offenbaren seine Strategien. 

von Tania Röttger, 04.04.2023
Robert Habeck (Grüne), Reinhold von Eben-Worlee, (Präsident Familienunternehmer), Christian Lindner (FDP), 2022

Zu Gast bei einer einflussreichen Lobbyvereinigung: Die Minister Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) mit dem Präsidenten des Verbandes der Familienunternehmer, Reinhold von Eben-Worlée (2022)

Wenn der Verein “Die Familienunternehmer e.V.” zu seiner Jahrestagung lädt, fahren vor dem Veranstaltungsgebäude auch mal Regierungslimousinen vor. “Familienunternehmer”, das klingt nach Dorfbäckerei, Fleischereibetrieb oder einem hochspezialisierten Maschinenbauer. Doch hinter dem Namen verbirgt sich einer der einflussreichen Lobbyverbände des Landes.

Das zeigt sich auch an der Gästeliste. Am 20. und 21. April werden die “Familienunternehmer" in Berlin ihre Familienunternehmertage ausrichten. Angesagt hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Laut Programm soll er eine 45-minütige Rede halten, ebenso wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Abends feiert man im “Tipi am Kanzleramt”, der Dresscode verpflichtet zu Smoking und Abendkleid. So war es auch in den vergangenen Jahren: Wenn der Verein einlädt, blocken die wichtigsten Kabinettsmitglieder den Termin in ihrem Kalender.

“Wir nehmen Einfluss!”, verkündet der Verein selbstbewusst

Was macht die “Familienunternehmer” so mächtig? Wie agiert der Verein – und wie sind seine Verbindungen in die Politik? abgeordnetenwatch.de und Zeit Online haben interne Unterlagen ausgewertet und mit Menschen gesprochen, die mit dem Lobbyverband zu tun haben: Abgeordnete, Vertreter:innen von Organisationen, Jurist:innen. Sie schildern übereinstimmend ein zum Teil aggressives Vorgehen.

“Wir nehmen Einfluss!”, verkündet der Verein auf seiner Internetseite selbstbewusst. Im Vorstand sitzen Vertreter:innen von Henkel, Dr. Oetker, Miele und Deichmann – international tätige Unternehmen mit Umsätzen in Milliardenhöhe. Die Unternehmen im Hintergrund erlauben dem Verband, Millionensummen für Lobbyarbeit auszugeben. Allein im Jahr 2021 waren es rund drei Millionen Euro, wie aus dem Eintrag der “Familienunternehmer” im Lobbyregister des Bundestags hervorgeht.

Die “Familienunternehmer” geben vor, für “die Wirtschaft” zu sprechen. “WIR SIND DIE WIRTSCHAFT!” ist eine Broschüre überschrieben. Doch für viele Familienunternehmen ist der eingetragene Verein gar nicht zugänglich. Voraussetzung für eine Mitgliedschaft ist ein Jahresumsatz von mindestens einer Millionen Euro und zehn Mitarbeiter:innen.

“Aggressiver als Waffen- und Chemieindustrie”

Der grüne Bundestagsabgeordnete und Ex-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter hat die Vertreter des Verbandes bei Diskussionsrunden und Treffen im Bundestag erlebt. Er sagt über die “Familienunternehmer”, sie gingen teilweise “aggressiver vor als die Waffen- und Chemieindustrie”. Ihre Haltung sei oftmals: “Die Politik muss den Unternehmen dankbar sein, weil sie ja Jobs schaffen.”

In Stellungnahmen, den Sozialen Netzwerken und in Interviews fällt der Verband mit einer forschen Rhetorik auf. Eine Anhebung des Spitzensteuersatzes für Großverdiener? Für die “Familienunternehmer” “eine fiskale Sterbehilfe”. Unterschiedliche Gehälter von Männern und Frauen, die nicht mehr mit persönlichem Verhandlungsgeschick begründet werden dürfen? Ein “scharfer Eingriff in die Vertragsfreiheit”. Der Plan des Wirtschaftsministers, Wohlstand künftig mit erweiterten Kriterien zu messen, etwa mit sauberem Wasser? Für den Verband “eine Nebelkerze”.

Spitzenpolitiker: Keine Chance gegen die “Familienunternehmer”

abgeordnetenwatch.de und Zeit Online haben interne Protokolle des Vereins eingesehen. Darin sind seine Strategien und seine Arbeitsweise beschrieben – und seine Erfolge. So berichtete Präsident Reinhold von Eben-Worlée im April 2018 von Forderungen des Verbands, die im Koalitionsvertrag der großen Koalition “verankert werden konnten”. Es stünden weitere Gespräche mit hochrangigen Politikern an, etwa mit der damaligen CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. 

Vor der Bundestagswahl 2021 plante der Lobbyverband mehrere Kampagnen mit einer namhaften PR-Firma, so steht es in einem Protokoll. Deren Ziel sollte sein, dem in der Öffentlichkeit positiv belegten Begriff "Vermögenssteuer" eine "gezielte Umbenennung in 'Mittelstands- ' oder 'Exportnationssteuer'" entgegenzusetzen. Das Ganze sollte schließlich mit einer "Anti-grün-rot-rote Kampagne unterfüttert" werden.  

Screenshot aus einem Protokoll der "Familienunternehmer"
Auszug aus Protokoll des Lobbyvereins "Die Familienunternehmer e.V."

In den Dokumenten taucht auch ein Thema auf, das den Verein zuletzt umtrieb: Eine neue Rechtsform für Unternehmen, das sogenannte Verantwortungseigentum, das die Ampel-Regierung laut Koalitionsvertrag vorantreiben will. Die Familienunternehmer warnen davor.

Armin Steuernagel setzt sich mit der “Stiftung Verantwortungseigentum” seit einigen Jahren dafür ein, dass dieses Modell gesetzlich verankert wird – nicht als Pflicht, sondern als Option. Hinter der “Stiftung Verantwortungseigentum” stehen Unternehmen wie Weleda, Einhorn sowie die BMW Foundation Herbert Quandt. Dem Kuratorium gehören die Ökonomen Marcel Fratzscher (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) und Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft an. Früher gehörte auch der FDP-Abgeordnete und heutige Parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium, Florian Toncar, dazu. 

Steuernagel war überrascht, wie scharf auf die Initiative reagiert wurde. “Uns wurde Kommunismus und Feudalismus vorgeworfen. Absurde Vorwürfe für ein liberales, freiwilliges Modell”, sagt er.

In Firmen, die sich nach dem Prinzip des Verantwortungseigentums aufstellen wollen, kommen Profite nicht mehr den Eigentümern zugute, sondern einem vorab definierten Unternehmenszweck. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Bekleidungsfirma Patagonia. Deren Gründer hatte sein Unternehmen im vergangenen Jahr verschenkt – die Gewinne gehen an eine Umweltorganisation, die Kontrolle liegt in einem sogenannten Purpose Trust.

Abgeordnete verstummten – nach Intervention der "Familienunternehmer"

Mit dem Verantwortungseigentum befassten sich die "Familienunternehmer" laut ihres Protokolls im Mai 2021. Anlass war eine Veranstaltung mit "hochkarätiger politischer Besetzung”, zu der es im Protokoll heißt: “Die Runde erörtert dazu das weitere Vorgehen des Verbandes”. Man kam überein, dass nach der Wahl “eine eventuelle Privilegierung dieser Rechtsform verhindert werden” soll. 

Welchen Einfluss der Verband hat, zeigen die Erfahrungen der “Stiftung Verantwortungseigentum”: Zuerst, so beschreibt es die Stiftung, zeigten sich Abgeordnete begeistert vom Modell – und verstummten dann wieder. Meist nach Intervention der “Familienunternehmer”. Sogar Spitzenpolitiker:innen hätten angerufen und gesagt: Solange der Verband der “Familienunternehmer” dagegen sei, hätte das Vorhaben keine Chance. 

Dabei “rebellieren sie gegen eine Neuerung, die nur ein Angebot ist”, sagt der Bundestagsabgeordnete Hofreiter. Er vermutet, dass die “Familienunternehmer” grundsätzlich um ihre steuerlichen Privilegien im Erbschaftsrecht fürchten. Sie wollten am alten Modell festhalten, das Großerben bevorzuge. Auf Anfrage wollte sich der Verband nicht konkret äußern, sondern schrieb: "Bei den unbeantworteten Fragen können Sie davon ausgehen, dass die geäußerten Vermutungen unzutreffend sind."

“Mir wurde von verschiedenen Seiten gesagt: Halt besser die Klappe”

Julia Jirmann vom “Netzwerk Steuergerechtigkeit” sieht das ähnlich. Bisher zahlten Familienunternehmen kaum Steuern auf das geerbte Vermögen. Um dieses Steuerprivileg zu begründen, argumentierten sie gerne, Erbinnen und Erben würden die geerbten Unternehmen vor allem im Sinne der Allgemeinheit und der Arbeitsplätze fortführen. Genau diesem Idealbild entspräche auch die von der Ampel geplante neue Rechtsform, so Jirmann. 

Der Lobbyverband geht bei der Durchsetzung seiner Interessen teilweise ruppig vor, so lautet die Kritik. “Mir wurde von verschiedenen Seiten gesagt: Halt besser die Klappe”, sagt eine hochrangige Juristin. Sie möchte anonym bleiben. Es gebe viele “intensive rechtspolitische Diskussionen", aber diese werde “sehr brutal" geführt. Vermutlich auch, so glaubt eine Professorin, die ebenfalls nicht mit Namen zitiert werden will, weil der Verband der “Familienunternehmer” so einflussreich sei, dass man ihm besser nicht vors Schienbein trete. 

Was sagt der Verein zum Vorwurf der aggressiven Durchsetzung seiner Interessen?

Die “Familienunternehmer” wollen sich zu dem Vorwurf der aggressiven Durchsetzung ihrer Interessen nicht direkt äußern. Auf Nachfrage schrieb die Pressesprecherin auch hier: “Bei den unbeantworteten Fragen müssen Sie davon ausgehen, dass Ihre Fragen unzutreffend sind.” 

Die Juristin meint, der Lobbyverein gehe so vehement gegen das neue Modell des Verantwortungseigentums vor, weil dadurch ihr “sympathisches Label” abgewertet werde. Denn hinter dem Konzept des Verantwortungseigentums steht die Haltung: Niemand hat einen Anspruch darauf, irgendwas zu erben, was er sich nicht selbst erarbeitet hat. 

Einige Firmengründer haben sich bereits für das Verantwortungseigentum entschieden. Etwa der Brillenglashersteller Zeiss oder die Bio-Supermarktkette Alnatura. Sie müssen dazu aufwändige rechtliche Krücken über Stiftungen wählen, weil derzeit eine einfache, zugängliche und gesetzlich abgesicherte Rechtsform fehlt. 

Brief an den Justizminister

Im September 2022 schreiben die “Familienunternehmer” einen Brief an Justizminister Marco Buschmann (FDP). Sein Ministerium hat beim Verantwortungseigentum die Federführung. abgeordnetenwatch.de und Zeit Online haben das Schreiben durch einen Antrag auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes erhalten. Darin warnen die “Familienunternehmer” vor einer "sehr aktiven Lobbygruppe", die “seit Jahren ein eng umrissenes Thema durch Berlin zu treiben versucht”. Gemeint ist die “Stiftung Verantwortungseigentum” von Steuernagel. Der Brief kommt zu dem Fazit: “Es besteht kein Bedarf an einer solchen neuen Unternehmensform.”

Das Lobbyschreiben zeigt, dass die Angelegenheit für die “Familienunternehmer” weiterhin auf der Agenda steht. Der Verband behauptet jedoch das Gegenteil: Man habe das Thema Verantwortungseigentum zwar zunächst thematisiert, überlasse es aber seither “dem Wettbewerb, welche Art von Eigentümerstruktur sich langfristig durchsetzen wird”.

Derzeit prüft das Justizministerium von Buschmann, wie solch ein Konstrukt rechtlich gestaltet werden kann, schreibt die Pressestelle auf Anfrage. 

Klimapolitik? “Planwirtschaftliche Klientelpolitik à la UdSSR”

Auch in der Klimapolitik wirbt der Lobbyverband dafür, dass alles so bleibt, wie es ist. Pläne der Regierung, Industrie und Wirtschaft zu weniger Emissionen zu verhelfen, werden als “Planwirtschaft” kritisiert. Die Zuschüsse für den Einsatz CO2-armer Technologien sind für Vereinspräsident Worleé gar “planwirtschaftliche Klientelpolitik à la UdSSR.” In einem internen Papier heißt es, “dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Klimapolitik dazu führt, dass sich die Parteien mit immer ambitionierten Zielsetzungen gegenseitig übertrumpfen”. Konsequenz für den Verband: “Umso mehr komme es darauf an, eine überschießende Energiepolitik als Kostentreiber zu brandmarken.” 

"Meinungsbildend" auf die FDP gewirkt

Und die Kampagnen scheinen zu verfangen. Laut eines Protokolls habe der Verband in Fragen der Energiepolitik “meinungsbildend sowohl auf die FDP als auch auf die Mittelstandsvereinigung der CDU” gewirkt. 

Im strategischen Beirat der “Familienunternehmer” sitzen Personen, die die Klimakrise verharmlosen. Etwa der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler, der sich einmal selbst als „Klimaskeptiker“ bezeichnete und das “Prometheus-Freiheitsinstitut” gründete. Das Institut werde, so sagte es Schäffler in einem Interview mit der FAZ, “von ein paar Familienunternehmen finanziert”. Auch im Beirat: Ulrike Ackermann, die sich selbst als “einzige Freiheitsforscherin” und die Debatte um Klimaschutz als “hysterisch” bezeichnet.

In vielen Äußerungen des Vereins scheint der Wunsch mitzuschwingen, das Modell des alten Deutschlands mit wenigen tonangebenden und meist fossilen Großkonzernen fortzuführen. In einem aktuellen Strategiepapier heißt es etwa, Deutschland brauche Kohle- und Atomenergie, um Unternehmen günstigen Strom anbieten zu können. “Die ideologischen Scheuklappen müssen abgelegt werden”, schreiben sie – der Ausstieg aus der Braunkohle und Nuklearenergie müsse rückgängig gemacht werden. Solar- und Windkraft werden hingegen nicht einmal benannt. Und das, obwohl sie laut einer Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags inzwischen auf dem europäischen Markt den günstigsten Strom erzeugen. 

Die "Familienunternehmer" fürchteten eine Gerechtigkeitsdebatte

Vor der Bundestagswahl 2021 fürchtete Verbandspräsident Eben-Worlée laut einem internen Papier, dass die “Gerechtigkeitsdebatte” wieder Fahrt aufnehmen könnte. Grund dafür waren Berichte von OECD und IWF, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland immer weiter auseinander gehe – unter anderem auch, weil sich der Reichtum des Landes in den Händen einiger weniger konzentriere. Der Verband beschloss, ein “Gegengutachten” in Auftrag zu geben und ein “Unternehmer-Gesicht in einschlägigen Diskussionen zu positionieren”. 

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Die “Familienunternehmer” werden wahrgenommen. Viele ihrer Pressemitteilungen werden in Zeitungen zitiert, ihre Videos viel gesehen. Der mit Abstand erfolgreichste Clip ist gerade einmal elf Sekunden lang. Er stammt aus dem Wahlkampf von 2021 und wurde mehr als 800.000 Mal angeklickt. 

Mit dem Film setzte der Verein um, was er sich in seiner Kampagnenplanung vorgenommen hatte: Eine Schmähung der Vermögensteuer. Der Titel des Films lautet: “Vermögenssteuer ist Mittelstandsbremse”.

[Kampagnenvideo der "Familienunternehmer". Zum Ansehen muss es ggfs. erst über den Schieber aktiviert werden]

Dass die SPD die Wahl gewann, dürfte dem Lobbyverband nicht gefallen haben. Im Wahlkampf waren die “Familienunternehmer” mit den Sozialdemokraten hart ins Gericht gegangen und hatten den “Abschied einer Volkspartei” prophezeit. “Sogar das 'Recht auf Arbeit' soll verwirklicht werden”, heißt es in einem “Memo” zum SPD-Wahlprogramm. “Das mag manchen an die 'DDR' erinnern.” 

In zweieinhalb Wochen treffen der Lobbyverein und der Wahlgewinner Olaf Scholz bei den Familienunternehmertagen in Berlin aufeinander. Den heutigen Bundeskanzler hatten die “Familienunternehmer” im Wahlkampf noch mit zwei Anführungszeichen verhöhnt: als “'Kanzler'-Kandidat”.

Mitarbeit: Annika Joeres (Zeit Online)


Dieser Text ist in Kooperation mit Zeit Online erstanden. 

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