Frage an Yvonne Ploetz von Jan S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Ploetz,
auch wenn das Thema kein bundespolitisches ist:
Stimmen Sie und Ihre Partei den Plänen der Landesregierungen von SPD und Grünen zu, das Sitzenbleiben beziehungsweise auch die Schulnoten abzuschaffen. Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang das Leistungsprinzip, und bewerten Sie die Meinung, dass sich Menschen, die sich in der Schule nicht anstrengen mussten, dies später im Leben, zum Beispiel im Arbeitsmarkt, auch nicht können?
Mit freundlichen Grüßen
Jan Schomaker
Sehr geehrter Herr Schomaker,
Sie haben Recht: Schulnoten und Sitzenbleiben sind eher Themen der Landespolitik. Dennoch möchte ich Ihnen auf Ihre Fragen persönlich antworten.
Sitzenbleiben ist vornehmlich ein Problem der Sekundarstufe I also der Klassenstufen 5 bis 10. Von allen Sitzenbleibenden bleiben mehr als 70 Prozent in der Sek. I sitzen. Die meisten davon wiederholen die Klassen 8 und 9, wenn die Kinder 13, 14 Jahre alt sind in der Pubertät. Das heißt in einem Alter, das einen großen körperlichen, emotionalen und geistigen Entwicklungsschub für die Kinder bedeutet, der sie auch mit neuen Herausforderungen konfrontiert.
Nach einer Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung verbessert sich weder die kognitive Entwicklung der Sitzenbleiben, noch würden die im ursprünglichen Klassenverband
verbliebenen Schülerinnen und Schüler vom Sitzenbleiben der anderen profitieren. Weshalb sollte solch ein unwirksames Instrument entgegen besseren Wissen weiter eingesetzt werden? Wenn Sitzenbleiben also abgeschafft werden sollte, darf man immer noch freiwillig die Klasse wiederholen. Man muss es dann allerdings nicht mehr.
Es gibt seit Jahrzehnten die Forderung, dass Schulnoten aussagekräftiger gemacht werden und durch individuelle Berichte zur Lernentwicklung ergänzt bzw. ersetzt werden. Es ist nichts dagegen zu sagen, dass damit individuelle Fähigkeiten und Lernfortschritte dargestellt werden. Zum Beispiel das Berliner Gemeinschaftsschul-Modell: hier hat die Regierungskoalition von SPD und DIE LINKE beschlossen, dass Noten bis einschließlich des 8. Schuljahrs vergeben werden können, aber nicht müssen.
Statt lediglich abstrakte Ziffernnoten zu vergeben, die ja Leistungsbeurteilung auf nur sechs Abstufungen verengt, werden qualifizierte Zeugnisse erstellt, statt in der Masse unterzugehen, werden die Leistungen der einzelnen Kinder gewürdigt. Berichte zur Lernentwicklung, individuelle Rückmeldungen, Feedback-Gespräche, schriftliche „Beurteilungen“ – z.B. mit Zielvereinbarungen mit den Schülern, etc. – ermöglichen gezieltere Förderung einzelner Kinder, sie vermitteln den Eltern eine plastischere Darstellung über die Lernfortschritte ihrer Kinder.
Wenn nur auf gute Schulnoten hin gelernt wird, dann verkümmern Neugier und Kreativität. Stattdessen werden Abschreiben und Auswendiglernen die Mittel zum Schulerfolg. Meiner Ansicht nach sollte man nicht nur auf andere schielen, wer besser oder schlechter ist, sondern die Lernfortschritte der einzelnen Kinder wahrnehmen, um gezielt auf deren Fähigkeiten und Interessen einzugehen.
In der Physik bezeichnet Leistung die aufgewandte Energie über eine bestimmte Zeit. In der Schule heißt Leistung allzu oft Arbeit, Mühe und Anstrengung. Da fragt sich für wen? Und mit welchem Ziel sollen die Kinder die Mühen auf sich nehmen?
Soziale Leistungen, für einander einstehen, neue Lösungen hervorbringen, dass ist die Leistung, die ich verlange, damit nicht Vereinzelung und Ellenbogenmentalität vorherrschen, sondern gemeinsame Lösungen für neue Probleme gefunden werden können. Was heute angesagt ist, muss es nicht in 20 Jahren sein. Schülerinnen und Schüler müssen also heute lernen, wie sie mit veränderten Bedingungen und mit neuen Herausforderungen umgehen können. Das heißt eine der gewichtigen Aufgaben der Schule ist es, den Kindern und Jugendlichen den Raum zu gewähren, eine eigene Haltung und Meinung zu entwickeln und zu äußern. Dafür lernen wir.
Zwischen der heutigen Anstrengung, die Kinder in der Schule aufbringen, und dem Erfolg und der Anerkennung im späteren Leben, gibt es keinen direkten Zusammenhang. Albert Einstein soll ein schlechter Schüler gewesen sein und selbst bestimmte mathematische Probleme seiner speziellen Relativitätstheorie haben ihm wohl Schwierigkeiten bereitet. Dennoch ist er einer der bekanntesten Physiker geworden.
Kinder haben spezielle Interessen und Bedürfnisse, Fähigkeiten und Probleme. Die sollten wir ernst nehmen, darauf sollten Eltern und Lehrende eingehen. Das ist meines Erachtens die wesentliche Problemstellung vor der wir als Verantwortliche und Erwachsene stehen.
Mit besten Grüßen
Yvonne Ploetz