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Yusuf Dogan
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Frage von Ingo G. •

Frage an Yusuf Dogan von Ingo G. bezüglich Gesundheit

Guten Tag Herr Yusuf Dogan.

Seit dem 01.07 2011 bekommen Berliner Kassenpatienten -- auf Grund eines Beschlusses des Landesschiedsamtes nicht mehr ihre Medikamente, an die sie mitunter Jahrelang gewöhnt waren.

Meine Kardiologische Praxis muss ihr Medikamentenbudget um 70% senken. ( von 116€ auf 39€ ). Als 78 jährigen Rentner stehen mir nun zeitraubende Umstellungen auf die Billig - Medizin bevor.

Wie kommt es , das die verantwortliche Senatorin , die Ihrer Partei angehört und die die Aufsicht über das Landesschiedsamt hat, im Wahljahr eine derartige neoliberale Politik gegen Kassenpatienten betreibt ?

Mit freundlichen Grüssen
Ingo Grossmann

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Grossmann,

vielen Dank für ihre Frage. Sie sprechen damit ein sehr komplexes Thema an. Ich habe mich dazu bei einem Sachkundigen informiert und will versuchen, einigermaßen kompakt zu antworten.

Zunächst einmal vorweg:
Wir geben in der Bundesrepublik schon seit Jahren mehr Geld für Arzneimittel aus, als für die ambulante ärztliche Behandlung. Die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben sich 2008 auf 29,2 Milliarden Euro erhöht. Dies entspricht einer Steigerung von 5,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wie dem „Arzneimittel-Report 2009“ zu entnehmen ist.

Rund 50 000 Medikamente sind in der Bundesrepublik zugelassen. Viele Medikamente sind ohne nachgewiesene oder von zweifelhafter Wirkung  und zusätzlich zu teuer.

Wenige kostenintensive Arzneimittelgruppen allein verursachen dabei 65 Prozent der Mehrausgaben. Angiotensinhemmer, Antidiabetika sowie Immun- und Tumortherapeutika ließen z.B. 2008 die Kosten um 1,4 Milliarden Euro steigen.

Ohne Einbußen bei der Versorgungsqualität könnten ca. 3,4 Mrd. Euro eingespart werden, würden die behandelnden Ärzte nach klärendem Gespräch mit dem Patienten konsequent preiswerte Generika verordnen und auf teure patentgeschützte Analogpräparate und Arzneimittel mit umstrittener Wirkung verzichten.

Die LINKE fordert seit Jahren eine Positivliste gegen dieses unkritische Verordnungsverhalten, kann sich damit aber politisch nicht durchsetzen.

Diese Positiv-Liste war eines der Wahlversprechen der ehemals rot-grünen Koalition auf Bundesebene. Es wurde von Ulla Schmidt nicht durchgesetzt. Die Pharmaindustrie hat sich mit 400 Mio. DM freigekauft

Zur ganzen Wahrheit gehört es allerdings auch, zu erwähnen, dass jährlich verordnete Medikamente im Wert von für 3,4 Mrd. € durch die Patienten ungenutzt im Müll landen. Ein zusätzliches Argument für eine bessere Verschreibungsdiziplin.

Nun zu ihrer eigentlichen Frage:

Die entsprechenden Vereinbarungen über die Richtgrößen für Arzneimittel gehen zurück auf den 6. Absatz des § 84 im Sozialgesetzbuch V. Auch im Land Berlin sind wir an diese bundesgesetzlichen Regelungen gebunden.

MItnichten ist es hier also unsere verantwortliche Gesundheits-Senatorin Katrin Lompscher, die eine „neoliberale“ Politik gegen Kassenpatienten betreibt.

Hier wird Bundesgesetz umgesetzt.

Arzneimittelrichtgrößen werden jährlich auf dem Verhandlungsweg ohne Einflussnahme der Politik zwischen den Kassen und der Kassenärztlichen Vereinigung festgelegt. Bei den Verhandlungen für das Jahr 2011 konnte zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin und den Krankenkassen keine Einigung erzielt werden. Das daraufhin von den Krankenkassenverbänden angerufene Landesschiedsamt, dass aus einem unparteiischen Vorsitzenden, zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern, vier Vertretern der Ärzte und sieben Vertretern der Krankenkassen paritätisch zusammengesetzt ist, folgte mit seinem Beschluss den Forderungen der Krankenkassenverbände gegen die Stimmen der KV-Vertreter. Nachdem die bisher gültigen Richtgrößen seit Jahren nicht aktualisiert worden waren, kam es dabei aktuell zu zum Teil erheblichen Umverteilungen. Die Entscheidung ist differenziert zu betrachten.
So verfügen Internisten, die sich auf onkologische Patienten spezialisiert haben, jetzt fast über das vierfache Arzneimittelbudget pro Patient, während bei Kardiologen die Richtgrößen um mehr als 70 Prozent gekürzt wurden. Im Durchschnitt müssen sich die Berliner Ärzte auf Kürzungen ihrer Richtgrößen von 15 Prozent einstellen.
In den 28 Richtgrößengruppen für Arzneimittel gibt es insgesamt 17 mal Absenkungen im Durchschnitt um 32 % und 11 mal Budgetanhebungen im Schnitt um 141 %. Die Absenkung der Richtgrößen für Fachgruppen wie z. B. die Allgemeinmediziner und Kinderärzte sollte dabei eben nicht (!) zu Versorgungseinschränkungen führen, weil z. B. Allgemeinmediziner und Kinderärzte allein durch die Preissenkungen der letzten Jahre eigentlich entlastet worden sind.
Anders sieht es bei Fachgruppen wie z. B. Neurologen und Psychiatern oder Hautärzten aus: Viele der durch diese Fachärzte bei leitliniengerechter Behandlung verordneten Medikamente haben noch Patentschutz und lassen sich nicht durch generische Arzneimittel ersetzen.
Hier ist es also nur sachgerecht und folgerichtig, dass für diese Arztgruppen die Richtgrößen künftig höher sind.

Auch wird gewährleistet, dass Ärzte, die Patienten behandeln, die aufgrund ihrer spezifischen Erkrankung (z. B. HIV, Multiple Sklerose, Bluter) besonders teure Arzneimittel benötigen, diese als Praxisbesonderheiten geltend machen können - d. h. diese Verordnungskosten auch bei einer extrem hohen Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts dem Arzt nicht „zur Last gelegt“ werden.

Die KV hat in einer Information für die Patienten selber darauf hingewiesen, dass diese ihre lebensnotwendigen Medikamente selbstverständlich weiterhin auf Kassenrezept erhalten. Patienten, denen Verordnungen mit dem Verweis auf das Budget verweigert werden, sollten dies zurückweisen und sich den individuellen medizinischen Grund konkret erläutern lassen.
Die Einholung einer Genehmigung von der Krankenkasse ist nicht statthaft und verstößt gegen geltendes Recht. Ärzte, die sich nicht korrekt verhalten, sollten den Krankenkassen benannt werden.

Ich hoffe, ihre Frage damit beantwortet zu haben.