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Frage von Nissen P. •

Frage an Wolfgang Wodarg von Nissen P. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Wodarg

wie sicherlich auch ihnen nicht entgangen ist leidet Deutschland unter einer enormen Staatsverschuldung. Die genaue Summe zu nennen schenke ich mir, da es sich erstens um eine Zahl handelt die für mein mathematisches Verständnis real nicht mehr fassbar ist, und sie sich zweitens bekanntlich im Sekundentakt erhöht. 1. Wann, wie und von wem sollen diese Schulden jemals getilgt werden?
2. Ist ihrer ehrlichen Meinung nach eine Rückzahlung des gigantischen Schuldenberges überhaupt jemals möglich bzw. wird sie vielleicht von den verantwortlichen Politikern längst gar nicht mehr angestrebt?
3. Da ja abgesehen von einigen "Ölscheichtümern" sämtliche Staaten unter einer ähnlichen Schuldenlast leiden, wieso ist es nicht möglich, daß im Interesse der gesamten Weltbevölkerung sämtliche Staatsschulden bspw zum 1.1.2006 von allen Staatsoberhäuptern in einem gemeinsamen feierlichen Akt für nicht existent erklärt werden?

Im Wahlprogramm ihrer Partei (wie aber auch bei allen anderen) finde ich darauf keine befriedigende Antwort. Sie stimmen mir doch sicher zu, daß es Volksverdummung wäre, zu behaupten, die Staatseinnahmen würden sich durch wirtschaftliches Wachstum so astronomisch steigern lassen, daß dadurch eine komplette Rückzahlung möglich wäre.

Mfg
Peter Nissen

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Antwort von
dieBasis

Sehr geehrter Herr Nissen,

bevor ich Ihre sehr berechtigte Frage konkret beantworte, möchte ich ein paar Fakten zusammenfassen, die eine notwendige Grundlage zur Beurteilung des Problems darstellen.

Historisch waren Kriege und Wirtschaftskrisen die wesentlichen Antriebskräfte für steigende Verschuldung. Die Phase des Wirtschaftswachstums vom Ende des 2. Weltkrieges bis Anfang der 1970er Jahre ermöglichte in den meisten Industrieländern einen Schuldenabbau. Danach ist die Verschuldung in fast allen OECD-Ländern bis 1996 rasant angestiegen; seitdem sinkt sie leicht. Wichtiger Grund für den starken Anstieg deutscher Staatsschulden in den 1990er Jahren war die Wiedervereinigung. Der Durchschnitt der OECD-Staaten lag 2001 bei 64,6% (bei starken Unterschieden: Australien 20,9%, Japan 132,6%, Deutschland 60,2% nach OECD-Kriterien). Verschuldung ist nicht nur eine Erscheinung der Industrienationen, sondern noch extremer der Entwicklungsländer und ganzer Wirtschaftsräume.

Die Verschuldung des Staates verteilt sich auf inländische und ausländische Gläubiger. Die Verschuldung gegenüber diesen beiden Gläubigergruppen ist unterschiedlich zu beurteilen. Während Inlandsschulden zu einer Vermögensumverteilung innerhalb der Volkswirtschaft führen, fließt bei Zins- und Tilgungszahlungen bei Auslandsschulden Liquidität in eine andere Volkswirtschaft ab. Der deutsche Staat ist zu ca. 60% bei inländischen Gläubigern verschuldet, der Rest (also ungefähr 40%) der deutschen Verschuldung sind Auslandsschulden. Insbesondere die Banken finanzieren die deutsche Staatsverschuldung. Daneben sind es Lebensversicherungen, die die Beiträge der Versicherungsnehmer in Staatsanleihen anlegen. Aber auch Privatleute und Firmen erwerben Bundesschatzbriefe, kommunale Schuldverschreibungen und andere Wertpapiere, die der Staat ausgibt. Diese Papiere werden auf dem Rentenmarkt gehandelt. Dieser ist für den Staat von ungeheurer Bedeutung. Denn der Staat tilgt nicht wirklich, er schuldet immer nur um: Woche für Woche zahlt er Anleihen in Milliardenhöhe zurück und muss dafür sofort neue Anleihen aufnehmen. Wenn die Gläubiger das Vertrauen verlieren, dass alles pünktlich zurückgezahlt wird, werden sie neue Anlagen nicht zeichnen: Dem Staat ginge binnen Wochen das Geld aus; die Gehälter im öffentlichen Dienst, die Renten, die Sozialhilfe, alles könnte nicht mehr vollständig und pünktlich bezahlt werden.

Staatsschulden in eigener Währung können theoretisch in unbegrenzter Höhe aufgenommen werden. Allerdings gestaltet sich die Emission von Staatsschuldtiteln für einen bereits hoch verschuldeten Staat in der Regel äußerst schwierig, da die Finanzmärkte eine Rückzahlung der aufgenommenen Schulden für sehr fragwürdig erachten (Bonität) und dem Staat somit liquide Mittel entweder gar nicht mehr oder nur noch zu sehr hohen Zinsen anbieten werden. Der verschuldete Staat rutscht so in einen Teufelskreis aus immer höheren finanziellen Verpflichtungen (Zinsen und Tilgung bereits bestehender Schulden) und einem immer begrenzteren Zugang zum Finanzmarkt. Diese Spirale endet mit der Zahlungsunfähigkeit des Staates (Staatsbankrott), sofern sich die finanzielle Situation des Staates nicht über andere Wege (z. B. stark ansteigende Steuereinnahmen) merklich verbessert.

Der deutsche Staat darf nicht unbegrenzt Schulden machen. Nach Art. 115 GG besteht ein Parlamentsvorbehalt und eine inhaltliche Begrenzung (die Kredite dürfen nicht die Summe der Investitionen übersteigen). Außerdem mussten vor der Einführung des Euro u. a. die folgenden, im Maastricht-Vertrag von 1992 festgelegten EU-Konvergenzkriterien erfüllt sein: Das Haushaltsdefizit darf maximal 3,0 Prozent des BIP betragen und die Gesamtverschuldung darf 60,0 Prozent des BIP nicht überschreiten. Die am Euro teilnehmenden Länder haben sich verpflichtet, dieselben Kriterien im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts auch nach der Euro-Einführung einzuhalten. Diese als Maastricht-Kriterien bezeichneten Grenzen sind willkürlich gesetzt worden und werden seitens Deutschlands und auch anderer Länder seit 2002 nicht mehr eingehalten. Die 60-Prozent-Grenze stellte den zum Zeitpunkt der Maastricht-Verhandlungen (1991) durchschnittlichen Verschuldungsgrad der damaligen Beitrittskandidaten dar. Man unterstellte dabei ein durchschnittliches nominales Wachstum der Sozialprodukte von etwa fünf Prozent, das heißt drei Prozent reales Wachstum und zwei Prozent Inflation. Danach dürfte die Nettokreditaufnahme nur bei 60 Prozent der Sozialproduktzunahme (also drei Prozent) liegen, wenn der Schuldenstand gleich bleiben sollte.

Die Beurteilung der Bekämpfung der Staatsverschuldung durch Sparmaßnahmen unterliegt häufig einer sogenannten Rationalitätsfalle. Was auf den ersten Blick plausibel klingt, kann für die Volkswirtschaft bedenkliche Folgen haben: Wenn der Staat seine Ausgaben kürzt indem er beispielsweise Transferzahlungen an die Industrie und Haushalte in Form von Förderungen und Subventionen kürzt, hat dies nicht zwangsläufig nur vorteilhafte Auswirkungen auf die Ausgabenseite des Staatshaushaltes: Auf die tatsächliche und/oder wahrgenommene Einkommensminderung der Haushalte können diese mit einer Verminderung des Konsums und einer Erhöhung der Sparneigung reagieren. Dies hat zur Folge, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sinkt und zu einem sinkenden oder negativen Wirtschaftswachstum führt, wodurch sich gleichzeitig die Steuereinnahmen des Staates vermindern. Die öffentliche (Neu-) Verschuldung kann als wirtschaftspolitisches Instrument daher "richtig" oder "falsch" eingesetzt werden. Von grundlegender Bedeutung für eine zutreffende Analyse der ökonomischen Wirkungen der Staatsverschuldung ist die Differenzierung nach konjunkturellen und strukturellen Ursachen. Innerhalb der konjunkturellen Verschuldung muss darüber hinaus zwischen konjunkturbedingten und antizyklischen Defiziten unterschieden werden.

Lieber Herr Nissen, eine einfache Lösung für das Problem der Staatsverschuldung gibt es also nicht. Das Beispiel der USA und auch Kanadas zeigt aber, dass eine drastische Zurückführung auch innerhalb eines überschaubaren Zeitraums geleistet werden kann, wenn die Konjunktur mitspielt. Diese Situation war in den letzten Jahren bei uns nicht gegeben und ob die neoliberalen Rezepte, die den kurzfristigen Erfolg in diesen Staaten erst ermöglicht haben, von den Menschen in Europa akzeptiert werden, darf bezweifelt werden, zumal sie mit dem prekären Phänomen der Erwerbsarmut für breite Bevölkerungsschichten einhergehen. Wir müssen uns realistischerweise zunächst darauf konzentrieren die (Neu-) Verschuldung zurückzufahren, um so die Gesamtverschuldung und die damit einhergehende Zinslast auf einem bestimmten Niveau einzufrieren. Erst nach einer stabilen Konjunkturbelebung kann die Tilgung angegangen werden.

Ich persönlich glaube, dass eine Umverteilung von unten nach oben, wie die CDU/CSU sie für Deutschland projektiert, der falsche Weg für ein nachhaltiges Wachstum ist. Wir müssen die Menschen mitnehmen auf dem harten Reformpfad, der noch vor uns liegt. Prekäre Arbeitsverhältnisse, die nicht die Existenz sichern, schaffen neue Probleme und soziale Hypotheken und die Hauptbetroffenen sind die Kinder, für die dann weder Geld noch Zeit zur Verfügung steht.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Dr. Wolfgang Wodarg, MdB