Frage an Wolfgang Wieland von Thomas N. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Wieland,
am 02.12.1991 hielten Sie in einem Interview mit der taz die "sogenannte Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit durch Strafverfahren weder für geboten noch für möglich" und verwiesen dabei auf die fehlende Gefahr wiederholter Menschenrechtsverletzungen durch Tätern wie Mielke, Honecker und Co.
Würden Sie auch heute - wo durch wissenschaftliche Forschung das gesamte Ausmaß der SED-Diktatur deutlich geworden ist - dieser Aussage zustimmen? Wie stehen Sie zur weiteren Aufarbeitung der zweiten Diktatur auf deutschem Boden?
Für Ihre Antwort bereits im Vorfeld herzlichen Dank!
Ihr Thomas Ney
Sehr geehrter Herr Ney,
ich denke, die Lektüre des Interviews aus dem Jahre 1991 zeigt, dass den Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein damals vor allem die Sorge um die Opfer motivierte. Als seinerzeitiger Vorsitzender brachte ich dieses Hauptanliegen zum Ausdruck: Die Opfer müssen rehabilitiert und wirksam entschädigt werden. Sie brauchen ferner die Sicherheit, nie wieder ihren Peinigern in hoheitlicher Funktion gegenüber stehen zu müssen.
Zugleich bevorzugten wir ein Tribunal, um – etwa entsprechend den Wahrheits– und Versöhnungskommissionen in Südafrika – zu einer Aufarbeitung der DDR – Vergangenheit zu kommen. Der strafrechtlichen Aufarbeitung standen wir überaus skeptisch gegenüber. Das Strafrecht konnte nicht das leisten, was sich die Opfer davon versprachen. Eine Fokussierung der Vergangenheitsbewältigung auf die Täter musste zwangsläufig dazu führen, dass die Aufarbeitung der SED-Diktatur sich in einer Aburteilung der Täter erschöpfte. Die Opfer und deren berechtigte Ansprüche auf Rehabilitierung und Entschädigung drohten so aus dem Blick zu geraten. Diese Gefahr hat sich leider auch realisiert.
Allein, nach Tische ist man klüger. Rückblickend betrachtet haben die Strafgerichte die Mauerschützen in der Regel zu Freiheitsstrafen mit Bewährung verurteilt und dadurch dem Resozialisierungsgedanken Rechnung getragen. Nur in Fällen exzessiver Gewalt gab es höhere Strafen. Es sind, anders als wir befürchtet hatten, nicht nur die Schützen selber verurteilt worden, sondern vereinzelt auch deren Vorgesetzte bis hin zu den Schreibtischtätern im Politbüro. An die Volkskammerabgeordneten ging man jedoch nicht heran. Dennoch hat sich die Rechtsprechung insgesamt viel positiver entwickelt, als ich es ihr 1991 zugetraut hätte.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Wolfgang Wieland