Frage an Wolfgang Weiß von Matthias G. bezüglich Energie
Sehr geehrter Herr Weiß,
ich verfolge Ihre Antworten in kanditatenwatch.de schon seit Wochen und möchte sie zu folgenden Themenkomplex befragen:
Der Energiemix in Deutschland ist sehr zu Gunsten der Braun- und Steinkohle ausgebaut und auch die Atomenergie spielt eine wichtige Rolle. Trotz der ökologischen Steuerreform befindet sich also das Volumen erneuerbarer Energien in Deutschland auf einem erschreckend niedrigen Niveau. In Wahrheit wird die Ökosteuer zum Stopfen der Rentenlöcher benutzt. Der beschlossene Atomausstieg bei zeitgleich steigenden Energieaufwand ist sogesehen eine schwierige Aufgabe. Nun meine Fragen:
1. Wie stehen Sie zum Atomausstieg?
2. Wie könnte Ihrer Meinung nach die ökologische Steuerreform so verändert werden, dass sie nicht nur zum Stopfen der Rentenkasse benutzt wird?
Alle 2 Sekunden verschwindet derzeit Urwald von der Größe eines Fußballfeldes. (Quelle: Greenpeace Wahlkompass 2005) Noch erschreckender wird dies durch die Tatsache, dass dies auch durch Brandrodung geschieht um neues Weide- /Ackerland zu gewinnen auf denen zum Beispiel genmanipuliertes Soja in Brasilien angebaut wird. Aber auch die Verwendung von Tropenholz für Papier, Essstäbchen oder Möbeln ist gradezu zynisch.
3. Wie könnte eine nachhaltige Bewirtschaftung in den Urwäldern gefördert werden?
4. Wie würden Sie Verbraucher informieren, dass diese durch den Besuch bestimmter Fast-Food Restaurants oder Kauf von bestimmten Möbeln indierkt den Bestand von Urwäldern gefährden?
Diese Frage gehört zwar nur noch begrenzt zur Energie aber sie verbindet Menschenrechte, Ökologie und Wirtschaft. Die Ausbeutung von Arbeitskräften in den In-Entwicklung-gehaltenen Staaten wird uns nicht nur durch die Kleidungsstücke "made in china" - derzeit in Hamburg beim Zoll zurückgehalten - bewusst.
5. Unterstützen Sie das Konzept des fairen Handels?
6. Wie würden Sie die Produktion lokaler Lebensmittel fördern? (Künast)
Mit Dank und freundlichen Grüßen,
Matthias Gerstner
Sehr geehrter Herr Gerstner,
Ihr Fragenpaket hat es wirklich in sich - aber es sind auch wichtige Fragen, auf die ich gerne eingehen möchte.
Zu Frage 1 "Atomausstieg": Der Atomausstieg muss erklärtes Ziel deutscher Energiepolitik bleiben! Der Ausstieg aus dieser gefährlichen Technik wurde mit vielen Zugeständnissen an die etablierten Energiekonzerne verbunden, und auch das Tempo geht mir persönlich zu langsam, aber es ist ein fest verankertes Ziel, alle deutschen Kernkraftwerke in einem absehbaren Zeitraum abzuschalten. Das verringert die Menge des radioaktiven Abfalls (der trotzdem noch jede Menge Probleme schafft: bis zum heutigen Tag gibt es weltweit kein Endlager für radioaktiven Müll!), beendet den "Atommülltourismus" quer durch Europa zu den Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield und La Hague und verkleinert die Gefahr durch Terrorismus und Unfälle, vor denen auch die angeblich so sicheren deutschen KKWs nicht gefeit sind. Der andere Effekt ist noch wichtiger: die Kraftwerkskapazitäten, die durch den Atomausstieg ausfallen, können zum einen durch erneuerbare und umweltfreundliche Energietechniken ersetzt werden, zum anderen werden Anreize verstärkt, Energie effizienter einzusetzen und energiesparende Techniken zu etablieren (Stichwort "Einsparkraftwerk"). Ich verweise diesbezüglich auf das hervorragende Buch von E.U. v. Weizsäcker / A. u. L. Lovins "Faktor Vier".
Zu Frage 2 "Änderungen ökologische Steuerreform": Ich persönlich glaube, dass die sogenannte "Ökosteuer" erst der Anfang einer überfälligen ökologischen Steuerreform ist! Bisher ist es noch ein recht grobes Instrument: es gibt zu viele Ausnahmeregelungen und auch die Zielrichtung ist noch nicht so richtig abgesteckt. Bisher konzentriert sich die Ökosteuer auf die Reduktion der Lohnnebenkosten, um menschliche Arbeit billiger zu machen und die sozialen Sicherungssysteme zu stützen, parallel dazu wird Energie verteuert. Das ist vom Ansatz her richtig. Aber manches ist nicht schlüssig, z.B. Ökosteuer auf Solarstrom, der doch umweltfreundlich erzeugt wird, oder Ausnahmeregelungen für Aluminiumschmelzwerke, die wirklich wahre Energievernichter und Dreckschleudern sind. Die ökologische Steuerreform muss nicht nur die Arbeit (bzw. Wiedereinstellung) von Menschen begünstigen und die Arbeit von Maschinen verteuern, sie muss auch helfen, die notwendigen Umstellungsprozesse in der Wirtschaft und in der Energieerzeugung zu beschleunigen: durch direkte Leistungen aus den Mehreinnahmen der Ökosteuer (die man besser als CO2-Steuer bezeichnen sollte, denn letztlich geht es um die Reduktion von klimaschädigenden Kohlendioxidemissionen) z.B. im Niedriglohnsektor ("Schaffner statt Fahrkartenautomat!"), durch das Herstellen eines wirklichen Wettbewerbs, in dem auch die externen Kosten von Produkten mit berücksichtigt sind (Kohlestrom mit hoher CO2-Steuer vs. Strom aus Geothermie-Anlagen ohne zusätzliche Steuerbelastung, da klimaschonend und umweltfreundlich).
Zu Frage 3 "Urwaldschutz": Da muss ein ganzes Massnahmenbündel greifen. Zuerst: die Einfuhr und Verarbeitung von Holz aus illegalem Holzeinschlag darf kein Kavaliersdelikt mehr sein. Hier müssen drakonische Strafen und Zwangsmassnahmen greifen! Umweltminister Trittin hat mit einem Gesetzesentwurf in diese Richtung bei der holzverarbeitenden Industrie in Deutschland ja schon Wellen der Empörung ausgelöst. Aber es gibt keinen anderen Weg. Die Zertifizierung von Holz und Holzprodukten hilft ebenfalls weiter. Das FSC-Siegel stellt sicher, dass das damit markierte Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft und nicht aus Urwaldzerstörung stammt. Zu guter Letzt müssen wir den Menschen in der Dritten Welt zeigen, dass mit einer nachhaltigen Nutzung ihrer Wälder, ggf. mit der Aufforstung devastierter Flächen und einer vernünftigen Bewirtschaftung vorhandener Sekundärwälder, die eine Zunahme der Masseleistung und Vielfalt zum Ziel hat, mehr für die Bevölkerung zu gewinnen ist, als Kahlschlagwirtschaft und Plünderung von Urwäldern. Das kann geschehen durch Ausbildung und Information, das muss geschehen durch strikte Kontrolle der "Gegenseite": Holzmafia und Konzerne, die auf schnellen Profit aus sind und leider allzu oft mit Krediten US-amerikanischer, japanischer oder europäischer Geldhäuser ausgestattet für hohe Renditen sorgen sollen. Wir brauchen deshalb auch eine wirksame Kontrolle international agierender Konzerne und Banken!
Zu Frage 4 "Verbraucherinformation": Verbraucher wollen ja nicht nur wissen, wie "schädlich" ein Produkt ist, das sie kaufen oder konsumieren. Sie wollen auch wissen, ob ein Produkt "nützlich" ist. Mit dem "Blauen Engel" wurde ein Umwelt-Label im Bereich von Papierprodukten geschaffen, das positive Assoziationen weckt. Beim FSC-Siegel sind auch viele positive Fakten mit eingebunden, z.B. dass bei der nachhaltigen Bewirtschaftung auch ein bestimmter Anteil der Gesamtfläche der Natur überlassen bleibt. Ich sehe in aussagekräftigen und transparenten Zertifizierungssystemen eine gute Chance der Verbraucherinformation. Werden entsprechende Labels installiert, können sich auch Restaurantketten und Möbelhäuser darauf einstellen, ihre Zulieferer auf "positive" Standards festlegen und ihren Beitrag leisten, zu einer nachhaltig orientierten Wirtschaft zu kommen. Produkte mit einem negativen Label werden dann konsequenterweise zu Ladenhütern und damit zu einem wirtschaftlichen Risiko. - Das setzt aber auch mündige Verbraucher und Konsumenten voraus, die sich nicht ausschließlich nach dem Motto "Geiz ist geil!" oder "Hauptsache billig!" orientieren.
Zu Frage 5 "Fairer Handel": Die Antwort ist kurz - ja, ich unterstütze dieses Konzept! "Fair Trade"-Produkte werden in unserem Haushalt bevorzugt gebraucht, und ich freue mich, dass sogar in großen Warenhaus-Ketten immer mehr von diesen Produkten in den Regalen zu finden sind. Wenn man dann noch in den Regalen informative Flyer oder Schriften finden würde, die über erfolgreiche Projekte berichten, die mit dem Konzept des "fairen Handels" finanziert wurden, wär´s noch besser.
Zu Frage 6 "Lokale Lebensmittel": Die Produktion lokaler Lebensmittel geht zwangsläufig einher mit deren lokaler Konsumtion. Wir müssen alles tun, um regionale Märkte zu schaffen, den Abstand zwischen Erzeuger, Verarbeiter und Verbraucher zu verringern. Das fängt mit Direktvermarktung vom Bauernhof um die Ecke an und hört mit der Kaufentscheidung im Supermarkt auf, wo man die Milch vom nächsten Milchhof kauft und nicht die Tütenmilch aus dem hunderte Kilometer entfernten Ort X in den Einkaufswagen packt. Das Grundproblem ist, dass Transport immer noch zu billig ist! Ein weiteres Problem ist die Preisdrückerei durch Massenfertigung bzw. Massenproduktion. Da ist der Käse aus der kleinen Sennerei einfach teurer. Aber dem kann und muss man durch eine konsequent angewandte ökologische Steuerreform entgegen wirken (das Wort "Steuer" kommt ja eigentlich von "steuern" = lenken, und so sollte es ja auch sein). "Lokale Lebensmittel" und regionale Märkte bedeuten für mich auch die Revitalisierung von Erzeugerringen und Genossenschaften - nicht die "großen Dinger", die sich heute zum Teil breit gemacht haben, sondern die kleinen Selbsthilfeeinrichtungen, wie sie früher vorhanden waren und - leider Gottes oft durch staatlichem Druck - der "Fusionitis" zum Opfer fielen oder brutal vom Markt gedrängt wurden. Mehr darüber ist in dem Klassiker der kritischen Landwirtschafs-Literatur "Die subventionierte Unvernunft" von Hermann Priebe zu lesen.
Vielen Dank für Ihre Fragen, Herr Gerstner! Sie gaben mir Gelegenheit, mich zu Dingen zu äußern, die auch zu einem großen Teil meine persönlichen Anliegen sind.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Weiß