Frage an Wolfgang Schäuble von Volker M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Schäuble!
Man spricht ständig von Integration von "Migranten".
Mir scheint jedoch dass die meisten Migranten hier eigentlich nicht das Thema sind.
Wir haben, meiner Erfahrung nach, ein ernstes Integrationsproblem mit einer großen Gruppe der hier lebenden Türken.
Islamische Türkenorganisationen wie Ditib und Milli Görüs haben in Deutschland eine riesige Anhängerschaft. Etwas Vergleichbares gibt es bei keiner anderen Nationalität in Deutschland.
Der türkische Ministerpräsident Erdogan nannte bei seinem Besuch in Deutschland Assimilation ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Es gab vor dem Besuch eine riesige Plakataktion in Köln und Umgebung, bei der u.a. der türkische Halbmond auf der Deutschen Nationalflagge abgebildet wurde. Die Mehrheit dieser Plakate waren rein in türkischer Sprache verfasst, sodass kein Nichttürke in Deutschland sie lesen konnte.
Jede eingewanderte Nation hatte anfänglich Schwierigkeiten und blieb zuerst unter sich.
Durch diese politischen Organisationen und Türkenvereine jedoch, durch die ungesteuerte Masseneinwanderung in Parallelgesellschaften innerhalb einer bestehenden Gesellschaft und durch eine naive, bis gänzlich vermiedene Integrationspolitik hat sich die normale, anfängliche Abgrenzungsphase von Ausländern bei der großen Gruppe der türkischen Einwanderer als Dauerzustand verfestigt.
Türkeistämmige ohne Bezug zu diesen politischen Türkenvereinen leben heute mit uns Deutschen zusammen, lernen so automatisch gutes Deutsch, feiern mit uns Feste und wir kommen uns menschlich näher.
Warum fördert Ihr Organisationen wie DITIB, die in meinen Augen Abgrenzungsinstitutionen sind?
Warum wird Kritik am politischen Islam als "Islamphobie" pathologisiert?
Grüße aus Köln
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http://www.morgenpost.de/content/2003/08/21/bezirke/624175.html
Sehr geehrter Herr Mertens,
es ist nicht zu bestreiten, dass die Rede des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan in Köln Passagen enthielt, mit denen die Bundesregierung nicht einverstanden war und ist. Frau Bundeskanzlerin Merkel brachte dies auch gegenüber der türkischen Regierung deutlich zum Ausdruck.
In Deutschland garantiert das Grundgesetz sowohl die individuelle als auch die kollektive Religionsfreiheit. Daher sind Religionsgemeinschaften und auch religiöse Vereine frei, sich nach ihren Vorstellungen zu organisieren. Was die Organisationsstruktur der Deutsch-Türkischen Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) betrifft, so bin ich mir der Tatsache bewusst, dass sie personell und strukturell eng mit türkischen staatlichen Institutionen verbunden ist. Zum Beispiel arbeiten in den Moscheen der DITIB Imame, die von der türkischen Religionsbehörde nach Deutschland entsendet werden. Gleichwohl ist es aus integrationspolitischen Erwägungen wünschenswert, wenn in der Mehrzahl der hiesigen Moscheevereine Imame arbeiteten, die in Deutschland ausgebildet und sozialisiert sind. Deshalb arbeiten wir auch in der Deutschen Islam Konferenz gemeinsam mit den Ländern daran, die Voraussetzungen für eine Imamausbildung in Deutschland zu schaffen.
Im Übrigen möchte ich auf Anlage 2 des Zwischenresümees der Deutschen Islam Konferenz zur Einführung islamischen Religionsunterricht in Deutschland verweisen. In dieser heißt es:
"VIII. Durch ausländische Staaten beeinflusste Verbände
Dass die Definition der Grundsätze des Religionsunterrichts i.S.d. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG den Religionsgemeinschaften obliegt, ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates. Danach darf nicht der Staat den Inhalt religiöser Bekenntnisse festlegen; vielmehr sind diese Grundsätze staatsunabhängig durch die Religionsgemeinschaften selbst zu bestimmen. Auch ausländischen Staaten kann nicht das Recht eingeräumt werden, die Grundsätze der Religionsgemeinschaften i.S.d. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG zu definieren. Dies würde bedeuten, einem ausländischen Staat Hoheitsrechte einzuräumen, die der deutsche Staat nach der Regelung des Grundgesetzes selbst nicht hat. Ein Religionsunterricht, dessen Grundsätze nicht Ausdruck religiöser Selbstbestimmung, sondern wesentlich durch einen anderen Staat beeinflusst sind, entspricht nicht dem Grundgesetz. Eine Gemeinschaft, die durch einen anderen Staat so beeinflusst wird, dass ihre Grundsätze nicht Ausdruck ihrer religiösen Selbstbestimmung sind, kann daher nicht Kooperationspartner der Länder beim Religionsunterricht sein. Freilich schließt das nicht aus, dass ausländische Würdenträger Einfluss in einer Religionsgemeinschaft haben, auch wenn sie gleichzeitig staatliche Ämter bekleiden, wie dies in Staatskirchensystemen nicht unüblich ist. Entscheidend ist in einem solchen Fall aber, dass dieser Einfluss als Ausdruck des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaft auf deren Selbstbestimmung beruht, nicht aber auf einseitig obrigkeitlicher Bestimmung durch den Staat."
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Dr. Wolfgang Schäuble, MdB