Frage an Wolfgang Methling von Katja S. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Methling!
Wie habe ich es zu verstehen, dass die Linkspartei.PDS im Landtag des Landes Brandenburg zur Zeit heftig gegen eine Änderung des dortigen Polizeigesetzes protestiert. Die dort geplanten Änderungen betreffen unter anderem die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen, und die Ermöglichung der automatischen Kennzeichenerfassung durch die Polizei. Die PDS im Landtag Brandenburg nennt diese vorhaben "gravierende Eingriffe in die Bürgerrechte" und erwägt für den Fall des Beschlusses durch den Landtag eine Verfassungsbeschwerde.
In MV hat die PDS vor einigen Wochen zusammen mit SPD und CDU eine Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes des Landes MV beschlossen, die den jetzt geplanten Änderungen in Brandenburg bis ins Detail gleicht, weil beide Gesetzesentwürfe anscheinend in Hamburg abgeschrieben worden sind.
Wie darf ich diese besondere Dialektik zwischen Regierungsbeteiligung und Opposition verstehen?
Die PDS-MV stelle diese Operation auch noch als Erfolg da, weil ja im Gegenzug ein Informationationsfreiheitsgesetz ausgehandelt worden sei.
Jedoch muss man sich schon fragen was das eine mit dem anderen zu schaffen haben soll. Und wo der Zwang liegen soll sich auf eine Änderung des SOG einzulassen, die ja nicht zwingend notwendig war.
Sehen Sie es wirklich als entscheidenden Fortschritt, dass ich nachdem ich z.B. präventiven Telekommunikationsüberwachung (§34a SOG) unterzogen worden bin, eventuell danach mittels Informationsfreiheitsgesetz versuchen kann Auskunft über den Zweck dieser Massnahme zu erlangen?
War die PDS nicht 1990 angetreten um auch aus Erfahrung um die eigene Geschichte radikal für Bürger- und demokratische Rechte zu streiten?
Können Sie verstehen, dass die Umstände den Verdacht nähren könnte, dass hier demokratische Rechte der Bürger/innen dem unbedingten Willen geopfert wurden die Koalition vor der Landtagswahl nicht zu gefährden?
Was denken Sie?
Ein wenig ratlos
K. Schulze
Sehr geehrte Frau Schulze,
vielen Dank, dass sie sich mit Ihrer Ratlosigkeit an mich wenden und damit genau dem folgen, was wir mit einem Informationsfreiheitsgesetz bezwecken wollten: die Bürgerinnen und Bürger sollen einen direkten Zugang (nicht durch Parteien, Pressesprecher und Redakteure gefilterten) zu Informationen erhalten und im Zweifel auch gegenüber der von Ihnen "bezahlten und beauftragten" Verwaltung und Politik durchsetzen können. Damit konnte das bisherige obrigkeitsstaatliche Prinzip durchbrochen werden, dass in der Regel Amtsverschwiegenheit oder Amtsgeheimnis das oberste Gebot, Auskunftsrechte nur die Ausnahme sind und ohnehin nur Beteiligte oder Betroffene Einsichtsrechte haben.
Die Bürgerin oder der Bürger muss aber diese Ausnahmerechte erst einmal kennen und diese konkret begründet vortragen. Dies führte doch regelmäßig dazu, dass Informationen im Verborgenen blieben, Rechte nicht durchgesetzt werden konnten ... (Dies zeigt auch das von Ihnen gewählte Beispiel: nach allen Polizeigesetzen haben sie auch ohne Informationsfreiheitsgesetz als Betroffene schon lange ein Auskunftsrecht - §48 SOG M-V, § 24 DSG M-V -, nur wusste und nutzte dieses kaum jemand).
Nunmehr gilt ein anderes Prinzip: Jede und Jeder hat das Recht, alle Informationen von allen Behörden zu erhalten, das Prinzip Amtsverschwiegenheit gilt dann nicht mehr, sondern nur noch Daten- und Geheimnisschutzrechte. Diese Ausnahmen muss die Verwaltung allerdings begründen. Gerichte und der unabhängige Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit können diese Entscheidung überprüfen und das Recht auf Information durchsetzen. Ich halte dies, auch bei aller berechtigten Kritik an der noch mangelhaften Ausgestaltung des gesetzlichen Anspruches, für einen wichtigen Fortschritt, weil er die Position der Bürgerin/des Bürgers gegenüber der Verwaltung in allen Bereichen und allen Verfahren grundlegend verbessert.
Die Forderung nach einer solchen gesetzlichen Regelung hat die Fraktion Linke Liste/ PDS bereits im Dezember 1991 in den Landtag eingebracht, gerade vor dem Hintergrund der von Ihnen angemahnten Erfahrungen mit der Bedeutung und dem Missbrauchspotential staatlicher Informations- und damit Meinungshoheit.
Bei der Informationspolitik fängt für uns Demokratisierung an. Dies sehen jedoch nicht alle so, auch nicht (im Gegensatz zur Bundes-SPD) unser Koalitionspartner im Land. Deshalb konnten wir eine entsprechende Vereinbarung bisher in keinem Koalitionsvertrag erreichen. Und auch das Bundes-IFG hätte bis heute in M-V zu keiner entsprechenden Reaktion geführt, wie die Rede des (SPD-)Innenministers zu diesem Thema auf der Fachtagung unseres Datenschutzbeauftragten ( http://www.datenschutz-mv.de/content/taetberi/tb7/7_c0_3.html#a27 ) noch im Sommer 2006 bestätigte. Es war also ein Konsens nicht in Sicht.
Auf der anderen Seite wollte und forderte die SPD eine Novellierung des SOG M-V mit einer ganzen Reihe von sehr populistischen und unserer Meinung nach überflüssigen, ja sogar verfassungswidrigen Verschärfungen. Da auch hierzu kein Konsens in Sicht war, gab es also zwei Möglichkeiten: beide Partner legen die Hände in den Schoß und warten auf das nächste Wahlergebnis oder beide versuchen einen Kompromiss zu schließen. So einfach ist der Zusammenhang, er war mehr zeitlich und aufgrund der Zuständigkeiten bedingt, kaum inhaltlich. Selbstverständlich wäre es schöner gewesen, wir hätten die SPD und ihren Innenminister von unseren Auffassungen überzeugen können.
Das Ergebnis liegt nun vor und wird von Wählerinnen und Wählern zu bewerten sein. Das finde ich fair und demokratisch. Dass der Innenminister diesen Kompromiss auch nach außen vertritt und vor dem Landtag erklärt, in dieser Frage dazu gelernt zu haben, finde ich beachtenswert. Die Frage bleibt jedoch offen: war es das wert?
In welchen Punkten wurde das SOG verändert:
Sicher haben Sie von dem Mordfall Caroline gehört. Hier war es erforderlich, das Handy des (späteren) Opfers zu orten. Es konnte zu diesem Zeitpunkt niemand wissen, ob eine Straftat überhaupt vorliegt. Es handelte sich also um eine präventive Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme, die jetzt für 5 Jahre gesetzlich erlaubt wurde (§ 34a). Ebenso wurde es der Polizei erlaubt, mit so genannten IMSI-Catchern die Handynummern von Straftätern zu ermitteln und die Verbindungen zu unterbrechen, wenn das Handy bspw. als Zündeinrichtung für Sprengsätze oder zur Kommunikation mit Mittätern verwendet wird. Mit der Änderung in § 27 wird es künftig möglich sein, Drohanrufe, Bombendrohungen u.ä. auch dann aufzuzeichnen, wenn diese nicht auf Notrufnummern, sondern bei anderen Teilnehmern (Journalisten, Schuldirektoren o.ä.) auflaufen.
Die Überwachung öffentlich zugänglicher Orte ist in § 32 zwar (für 5 Jahre befristet) neu geregelt worden, aber auch unter gleich hohen Hürden wie bisher. Zusätzlich aufgenommen haben wir eine Unterrichtungspflicht des Landesbeauftragten für Datenschutz über jede einzelne Anlage, sodass hier die Zulässigkeit ständig unabhängig überprüft werden kann. § 32 Absatz 5 ermöglicht es künftig, offen an Fahrzeugen der Polizei bei Personen oder Fahrzeugkontrollen Videoaufzeichnungen anzufertigen. Das schützt Polizisten und Bürgerinnen und Bürger, da die Einrichtungen manipulationssicher aufzeichnen. § 33 Absatz 6 soll es erlauben, die Gespräche von Tatverdächtigen mit ihren Anwälten zu belauschen, wenn immer noch eine Gefahr für das Leben anderer besteht, bspw. in Entführungsfällen, wo das Opfer noch nicht gefunden wurde. § 43a ermöglicht ebenfalls, zeitlich auf 5 Jahre befristet, den Einsatz automatischer Kennzeichenlesesysteme bspw. in Entführungsfällen oder im Umkreis von Großdemonstrationen zur zielgerichteten Überprüfung von Fahrzeugen im Einzelfall. Mit § 52 hat die Polizei nunmehr die Möglichkeit, eine Person - in der Regel prügelnde Partner/Mitbewohner - der Wohnung und des angrenzenden Bereiches zu verweisen und nach § 53 ist es möglich, einen Verdacht auf Infektion, bspw. durch Blutübertragung bei einer Gewalttat, auch zwangsweise bei dem vermutlichen Infektionsträger durch Blutentnahme durch einen Arzt zu überprüfen.
Sicher, alle diese Befugnisse bergen auch ein Missbrauchspotential in sich, aber sie sind auch jederzeit gerichtlich überprüfbar. Und sicher kann man zu all den von mir genannten Anwendungsfällen genauso gute Gegenargumente aufzählen und der Auffassung sein, dass die SOG-Änderung nicht notwendig war.
Keinesfalls war und ist es jedoch so, dass mit diesem Gesetz die Bürger- und Freiheitsrechte dem Koalitionsfrieden geopfert wurden. Und ich werde mich auch an einer Instrumentalisierung der Innenpolitik weder in die eine noch in die andere Richtung beteiligen. Als Linkspartei haben wir mit der wesentlichen Entschärfung der ursprünglichen Vorhaben unseren Beitrag zur Versachlichung der Diskussion geleistet, ohne auf unsere Kritik und unsere Bedenken zu verzichten. Es ist für mich auch nicht ehrenrührig einzuräumen, dass jeder Schritt vorwärts in einer Koalition auch ein unliebsames Eingeständnis erfordern kann. Gerade im Bereich der inneren Sicherheit sind die Differenzen zwischen SPD und PDS offensichtlich.
Ich vertraue darauf, dass die in beiden Gesetzen vorgesehene Evaluation (Bewertung) uns - wie auch der SPD - Erkenntnisgewinn bringt und sich vielleicht innerhalb der nächsten 5 Jahre die Auffassung der Linkspartei.PDS auch durch ein mit der anstehenden Wahl gewachsenes Gewicht durchsetzen kann. Und im Übrigen ist die Anerkennung des Standpunktes des Anderen eine demokratische Tugend, ohne die Zusammenarbeit nicht möglich ist.
Ich hoffe, Ihnen mit der Beantwortung ihrer Frage einige Anregungen und vielleicht auch neue Informationen gegeben zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Methling