Frage an Wolfgang Kubicki von Walter B. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Kubicki,
mir geht es bei meiner Frage um das Soziale im Verständnis der FDP, wenn es um die freie soziale Marktwirtschaft geht.
Ich zitiere mal aus einem Artikel der Zeitung des SoVD (Januar 2012):
Spätestens mit der Einführung des Gesundheitsfonds wurde die Abkehr von der Solidarität politisch zementiert. Damals legte die Bundesregierung einen einheitlichen Beitragssatz per Rechtsverordnung fest. Während der Anteil der Arbeitgeber mittlerweile eingefroren wurde, zahlen die Versicherten zusätzlich zu ihrem Anteil noch immer einen sogenannten Sonderbeitrag in Höhe von 0,9 Prozent. Von paritätischer Finanzierung kann keine Rede mehr sein. Das gilt umso mehr, als künftige Kostensteigerungen allein von den Versicherten getragen werden müssen (Zitat Ende).
Jetzt geht es um die Praxisgebühr, 2004 eingeführt von der rot-grünen Bundesregierung. Die 10 Euro im Quartal haben den beabsichtigten und zweifelhaften Erfolg nicht gebracht. Jetzt möchte, wenn ich alles richtig verstanden habe, der derzeitige Bundesgesundheitsminister (FDP) eine Praxisgebühr von 5 Euro pro Arztbesuch einführen. Nach Festschreibung der Beitragssätze für die Arbeitgeber (Bundesgesundheitsminister FDP), ein weiterer Schlag gegen das (soziale) Gesundheitswesen. Mir drängen sich zwei Fragen auf.
1. Ist die freie soziale Marktwirtschaft nur sozial, wenn Gesetze dies regeln? Muss man also diese Gesetze ändern?
2. Wie stehen Sie persönlich zur Einführung einer Praxisgebühr bei jedem Arztbesuch.
Sehr geehrter Herr Boller,
zunächst möchte ich Ihnen für Ihre Fragen und das damit zum Ausdruck kommende Interesse an meiner Position beziehungsweise an der Position der FDP danken.
Sie greifen einen komplexen Sachverhalt auf, der die Grundpfeiler sowohl unseres Gesundheitssystems als auch die unserer sozialen Marktwirtschaft betrifft.
Lassen Sie mich Ihre Ausführungen um einige zentrale Aspekte ergänzen:
Ihre Feststellung, dass der Koalitionsvertrag auf Bundesebene eine Überprüfung der Praxisgebühr vorsieht (Seite 88 Koalitionsvertrag FDP/CDU), da die erhoffte Steuerungswirkung nicht eingetreten, die Zahl der Arztbesuche in Deutschland im internationalen Vergleich weiterhin sehr hoch ist und zudem unnötige Bürokratie geschaffen wurde, ist korrekt.
Allerdings ist es nicht richtig, dass die FDP eine Praxisgebühr pro Arztbesuch einführen will. Überlegungen, die Praxisgebühr pro Arztbesuch zu erheben, stammen ausdrücklich nicht aus dem liberal geführten Bundesgesundheitsministerium. Es handelt sich vielmehr um einen Vorschlag aus der Union. Die FDP hingegen lehnt diese Idee ab. Wir setzen vielmehr auf mehr Eigenverantwortung der Versicherten, z.B. durch mehr Transparenz bei den Behandlungskosten. Nur durch die Stärkung der Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger im Sinne einer gesundheitsbewussten Lebensweise und nicht einer staatlichen Reglementierung kann es zu einem Paradigmenwechsel in unserem Gesundheitswesen kommen. Es muss gelingen, unser Gesundheitswesen verstärkt präventiv auszurichten. Prävention sorgt für besseren Gesundheitsschutz jedes Einzelnen und mindert gleichzeitig den Kostendruck in unserem Gesundheitswesen. Eine angemessene Eigenbeteiligung, so wie sie heute besteht, ist Teil unseres solidarischen Krankenversicherungssystems.
In einem weiteren Punkt möchte ich Ihre Ausführungen ergänzen und richtigstellen: Der Beitragssatz wurde sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer festgeschrieben (die nicht paritätische Finanzierung wurde im Übrigen von einer Sozialdemokratin eingeführt). Krankenkassen, die nicht wirtschaftlich arbeiten, müssen jetzt ihr Defizit durch Zusatzbeiträge decken. Jedem Versicherten ist es dabei unbenommen, zu einer Kasse zu wechseln, die keine Zusatzbeiträge erhebt. Die Zusatzbeiträge, die auch einen unbürokratischen Sozialausgleich beinhalten, waren notwendig, um wieder ein wenig Wettbewerb in das Gesundheitssystem zu bringen, damit überhaupt eine positive Entwicklung im Kostenbereich ermöglicht wird. Von einem "Schlag" gegen unser Gesundheitswesen kann in diesem Zusammenhang nicht gesprochen werden. Es ist doch vielmehr hervorzuheben, dass liberale Gesundheitsminister dafür gesorgt haben, dass das Gesundheitssystem insgesamt nicht kollabiert. Schließlich hatte die Vorgängerregierung durch ihre verfehlte Politik für ein Milliardendefizit gesorgt. Durch das Gesetz zur solidarischen und nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung ist der Umstieg in eine stabile, nachhaltige und soziale Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung gelungen. Unser Gesundheitssystem wird dadurch wieder leistungsstark. Im Gegensatz zu früheren Reformen im Gesundheitswesen konnten durch diese Reform zudem Leistungskürzungen für Versicherte vermieden werden. Flankiert wird diese Reform durch weitere Maßnahmen. Durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz wird die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sichergestellt. Weiterhin wurde dafür gesorgt, dass Patientinnen und Patienten im Krankheitsfall die besten und wirksamsten Medikamente zur Verfügung stehen. Jüngst wurde zudem durch die Verabschiedung des Versorgungsstrukturgesetzes die flächendeckende und bedarfsgerechte medizinische Versorgung sichergestellt. Zielorientierte Maßnahmen wurden ergriffen, um dem zunehmenden Ärztemangel vor allem in ländlichen Gegenden zu begegnen. Gerade für Schleswig-Holstein ist diese Reform von großer Bedeutung.
Die Zielsetzung Ihrer ersten Frage erschließt sich mir nur bedingt, da hierzu weitergehende Präzisierungen erforderlich wären. Ich möchte jedoch betonen, dass wir in einem Rechtsstaat leben, dessen Kern eine demokratische Gesetzgebung bildet. Gesetze geben den Rahmen für unser Zusammenleben. Sofern Veränderungen herbeigeführt werden sollen, so ist dies ein für unser Demokratieverständnis selbstverständlicher Vorgang, der demokratisch herbeigeführt wird.
Ich danke Ihnen nochmals für Ihr Interesse und hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weitergeholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Kubicki