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Wolfgang Gerhardt
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Frage von Ralf O. •

Frage an Wolfgang Gerhardt von Ralf O. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Gerhardt,

1) Wie bewerten sie die neue Nuklearstratgie der USA? Ist das nur Abrüstungsgedöns, da nukleare Waffen in unserer heutigen Zeit an Bedeutung verloren und nichtatomare, vor allem nichtmilitärische Bedrohungen zugenommen haben--also eher ein Nebenschauplatz, der überbewertet wird? Bedeutet der neue Passus, dass die USA andere Staaten bei konventionellen, chemischen oder biologischen Angriffen gegen die USA und ihre Verbüdnete nicht atomar zurückschlagen werden, nicht eine gewisse Einladung zu solchen Attacken oder sind die zu erwartenden Reaktionen furchterregend genug, dass es auch keine nukleare Abschreckung mehr braucht? Deutschland scheint blind auf den amerikanischen Atomschirm zu vertrauen und auch in Russland keine potentiellen Gefahren mehr zu sehen. Was aber, wenn ein Schirinowski in Russland an die Macht käme--dann wäre die Nuklearstrategie und amerikanische Atomwaffen wieder sehr zentral, oder?

2) Wie bewerten sie die Bestrebungen Chinas, Japans und Südkoreas eine Ostasiatische Gemeinschaft, eventuell unter Ausschluss der USA gründen zu wollen? Sind die OAG und der neue Asiatische Währungsfonds nicht Zeichen einer verstärkten panasiatischen Kooperation? Wäre dies nützlich für Deutschland/Europa ?

3) Wie verlässlich halten Sie die Türkei unter Erdogan noch als NATO-Mitglied? Wäre es für Russland nicht Ziel, die Türkei aus der NATO herauszulösen? Die Neuorientierung der Türkei nach Nahost, der gemeinsame Kooperationsrat mit Syrien, die abgesagten NATO-Manöver Anatolian Eagle, die Äusserungen zu Israel und Sudan, der Vorschlag einen eigen Islamischen Gerichtshof gründen zu wollen--führt dies nicht von der NATO weg? Wie bewerten Sie die Gerichtsprozesse gegen die kemalistische Geheimorganistaion Ergenekon in der Türkei--ist dies ein politischer Prozess zur Schwächung des Kemalismus und des Militärs, um einen islamischen Staat zu errichten oder aber ein Schritt hin zu Rechtsstaatlichkeit ?

Mit freundlichen Grüßen
Ralf Ostner

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Ostner,
haben sie verbindlichen für Ihre Mal. Ihre Fragen beantworte ich wie folgt:

zu Frage 1: Die neue Nuklearstrategie geht in die richtige Richtung. Eine Voraussetzung für die Abschaffung der Atomwaffen ist, dass ihre strategische Bedeutung in den jeweiligen nationalen Verteidigungsdoktrinen verringert wird. Ein Einsatz von Atomwaffen ist ja nur in einer absoluten Extremsituation denkbar, von der wir heute, Gott sein Dank, sehr, sehr weit entfernt sind. Deshalb hat jede Diskussion über die Einsatzvoraussetzungen auch immer einen sehr irrealen Zug.
Deutschland vertraut keineswegs blind auf den amerikanischen Atomschirm, sondern sehr sehenden Auges: Die Verteidigungsgarantie der NATO war die Voraussetzung dafür, dass Deutschland auf Atomwaffen verzichtet hat.
Ich gehe davon aus, dass kein Land der Welt freiwillig Selbstmord begeht. Nichts anderes wäre der Einsatz von Atomwaffen aber. Deshalb hätte ich in dieser Hinsicht auch keine Angst vor einem etwaigen radikalisierten Russland. Da würden sich uns ganz andere Prolbeme stellen, etwa im Bereich der Energieversorgung. Anders sieht es aus, wenn spaltbares Material, oder sogar eine Bombe, in die Hände von Selbstmordterroristen fällt. Dann würde Abschreckung natürlich nicht mehr funktionieren. Umso begrüßenswerter ist die Initiative von Präsident Obama, diese Entwicklung zu verhindern.

zu Frage 2: Es gibt in Südostasien verschiedene Entwicklungen zu einer stärkeren Kooperation. Grundsätzlich finde ich das begrüßenswert. Wir werden auf Dauer mehr regionale Zusammenschlüsse brauchen, schlicht und ergreifend, weil globale Probleme wie Klimaerwärmung oder Finanzkrise auch nur global lösbar sind, es sich aber gezeigt hat, das Konferenzen mit 200 Teilnehmerstaaten kaum zu effizienten Ergebnissen führen. Wenn hier regionale Zusammenschlüsse zu einer besseren globalen Abstimmung führen, dann begrüße ich das.
Problematisch ist eher, dass Europa in Asien den Anschluss zu verlieren droht. so ist etwa ein geplantes Freihandelsabkommen der EU mit der ASEAN gescheitert. Das macht mir Sorgen. hier zeigt sich der große Nachteil, dass die EU außenpolitisch noch lange nicht mit einer Stimme redet. Daran müssen wir arbeiten.

zu Frage 3: Niemand in der Türkei will die NATO verlassen. Schon allein deshalb, weil die Türkei überhaupt keine gleichwertige Alternative hätte. Weder Russland noch die arabischen Staaten des Nahen Ostens sind auch nur im entferntesten in der Lage, das Sicherheitsniveau zu bieten, das die NATO bietet. Es ist richtig, dass die Türkei ihre außenpolitischen Initiativen breiter streut. Das ist aber keine Abkehr von der NATO, sondern findet darüber hinaus statt.
Was die Prozesse in der Türkei angeht, so wird das intensiv zu beobachten sein. Wenn die Türkei Fortschritte beim EU-Beitritt haben will, dann müssen diese Verfahren strikt nach rechtsstaatlichen Standards durchgeführt werden.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Gerhardt MdB