Frage an Wolfgang Gehrcke-Reymann von Robert S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Gehrcke,
Sie haben die humanitäre Intervention der int. Gemeinschaft zum Schutze libyscher Zivilisten kritisch kommentiert. Sie bemängelten, dass jeder Einsatz von Gewalt falsch sei und Gaddafi statt dessen durch Sanktionen zu stoppen sei. Hierzu habe ich folgende Fragen:
1. Die Mandatierung einer humanitären Intervention durch den Sicherheitstrat durch Resolution 1973 ergibt ein klares völkerrechtliches Mandat zum Schutz libyscher Zivilisten, auch mit milit. Gewalt. Die Entscheidung stand vor dem Hintergrund eines kurz bevorstehenden Sturms auf die Stadt Benghazi durch Streitkräfte Gaddafis, der sich bekanntlich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem IStGH in Den Haag wird verantworten müssen. Gaddafi hat verbal und durch Taten verdeutlicht, dass er keine Rücksicht auf Leib und Leben unschuldiger Zivilisten nehmen wird. Nur durch ein militärische Eingreifen konnte ein bevorstehendes Massaker mit wahrscheinlich tausenden unschuldigen Männern, Frauen und Kindern erfolgreich vermieden werden.
Frage: Wie hätten im gegebenen Fall bevorstehende Verbrechen gegen die Menschlichkeit OHNE eine militärische Intervention verhindert werden können? Welche zivilen Mittel standen zur Verhinderung eines kurz bevorstehenden Massakers Ihrer Meinung nach zur Verfügung? Hätte die Welt dieser Tragödie tatenlos zusehen sollen?
2. Sanktionen und diplomatischer Druck sind wichtige Instrumente, die jedoch nur mittel- bis langfristige Wirkung zeigen. Ein Schutz der konkret in Libyen von Mord und Vertreibung bedrohten Zivilisten wäre hiermit nicht erreichbar gewesen. Mich interessiert, auf welcher Grundlage Sie das Gegenteil im Bundestag behauptet haben.
Krieg ist niemals "gut". Manchmal ist Krieg aber leider die "am wenigsten schlechte" Option. Wenn Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit drohen, sollte auch Ihre Fraktion ein milit. Eingreifen nicht prinzipiell ausschließen.
MfG,
Robert Schütte
(Vorsitzender, GENOCIDE ALERT e.V.)
Sehr geehrter Herr Schütte,
ich stimme mit Ihnen darin überein, dass Libyen Frieden, Demokratie und Menschenrechte benötigt. Ich bezweifle allerdings, dass dieser Krieg des Westens, hauptsächlich getragen durch die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien, diese hehren Ziele zum Zweck hat oder hatte.
Es war die Propaganda des Westens, die behauptet hat, in Libyen drohe ein Genozid an der Zivilbevölkerung. Inwieweit dies zutrifft, war von Anfang an nicht bewiesen und die Zweifel daran sind gewachsen. Tatsache ist, dass in Libyen ein Bürgerkrieg im Gange war und ist, bei dem beide Seiten – Regierungstruppen und Rebellen- kriegerische Gewalt einsetzen, auch gegen Zivilisten. Die Demokratiebewegung, die in den anderen nordafrikanischen und arabischen Ländern strikt auf Gewaltlosigkeit setzte, hat es wohl auch in Libyen gegeben. In dem ausbrechenden Bürgerkrieg hatte sie keine Chance mehr.
Die libysche Armee hat mehrere Städte erobert, verloren und zurückerobert, Berichte von Massakern an der Zivilbevölkerung sind nicht nur nicht bewiesen, sondern werden von glaubwürdigen Zeugen vor Ort bezweifelt. Mittlerweile gehen jeden Tag Meldungen durch die Presse, dass auch die NATO-Bombardierungen zivile Opfer fordern, im Übrigen auch in Afghanistan und Pakistan. Wenn wir diese beiden Länder in die Betrachtung einbeziehen, wird deutlich, wie verlogen die Propaganda vom Schutz der Zivilbevölkerung Libyens war.
Der libysche Bürgerkrieg weist eine komplexe Gemengelage auf. Es ist nicht so, dass auf der einen Seite die Armee Gaddafis steht und auf der anderen Seite das Volk, das von Gaddafis Armee bedroht wird. Hier kämpfen Stämme und Stammesbündnisse gegeneinander. Beide Seiten, Regierungstruppen und Rebellen, setzen kriegerische Gewalt ein. Auffällig ist, dass in den westlichen Medien fast ausschließlich die Gefahr eines Massakers an Zivilisten in der Rebellenhochburg Bengasi durch Gaddafis Armee und Milizen aufgeführt werden, aber Massaker der Rebellen an den Gaddafi-Loyalen wurden und werden kaum thematisiert. Ebenso wenig die zahlreichen Morde an Fremden, Arbeitern und Flüchtlingen, vornehmlich Schwarzafrikaner, denen Kollaboration mit Gaddafi vorgeworfen wurde.
Der Westen hat Verhandlungslösungen, die von der Afrikanischen Union und der Türkei befördert wurden, von Anfang an torpediert und durch seinen Angriff unmöglich gemacht. Auch jetzt erteilt er jeder Verhandlungslösung eine Absage. Er unterstützt nicht die Rebellen, sondern verfolgt eigene Interessen, indem er die Rebellen unterstützt. Nach meiner Einschätzung handelt es sich beim Krieg gegen Libyen um einen typischen neokolonialen Krieg um Öl, Uran, Wasser und geostrategischen Interessen. Gaddafis Herrschaft war blutig und die Bevölkerung hatte jedes Recht, sie zu beenden. Was sich jetzt abzeichnet, ist eine dem Westen hörige Regierung, die das libysche Öl privatisiert und es Frankreich und Großbritannien oder anderen, die daran Interesse haben, überlässt. Unter staatlicher Kontrolle nimmt der Libysche Staat den gesamten Preis pro Barrel ein, bei einer Privatisierung beträgt der staatliche Anteil zwischen 13 und 25 Dollar pro Barrel. Eine Privatisierung kann nicht im Interesse des libyschen Volkes sein.
Die Nato-Bomben auf Gaddafi und die empfundene Bedrohung durch die Rebellen führt inzwischen zu einer Stärkung der Position Gaddafis; obwohl die meisten Menschen weit davon entfernt sind ihn zu lieben, zu akzeptieren, empfinden sie ihn unter der gegenwärtigen Konstellation als das kleinere Übel. Interessant ist, was die spanische Tageszeitung EL PAIS schreibt: In Tripolis breite sich eine Stimmung unter den Menschen aus, die dazu führt, dass diejenigen, die bisher mit der Opposition sympathisiert haben, ihre Meinung ändern. Sie zweifeln an den Absichten der Opposition in Benghazi. "Ich habe an den Demonstrationen, die den Rücktritt von Ghaddafi forderten, teilgenommen. Ich habe das Regime und seine Lügen satt. Ich will eine Demokratie, aber das ist nicht, was die Menschen in Benghazi wollen. Sie interessiert nur ihr eigenes Hoheitsgebiet", sagt ein Ladenbesitzer, der lieber anonym bleiben will, El PAIS. Die Meinung der Menschen aus Tripolis laut des Berichtes von EL Pais sind: "Sie sind Krieger und grausam. Sie denken nicht , nach Tripolis zu kommen, um Gaddafi zu entfernen und eine Demokratie zu installieren, sondern sie wollen eine eigene Diktatur errichten, diesmal unter der Vorherrschaft von Benghazi. Wenn sie hier die neue Regierung stellen, werden sie noch grausamer sein als die gegenwärtige", sagte ein Taxifahrer aus Tadschura. Das sei auch die Meinung der meisten, auch jener, die für die Abreise von Gaddafi Mitte Februar demonstrierten, sagte der gleiche Mann aus Tadschura.
Lisa Anderson, eine Expertin für Libyen und Präsidentin der American University in Kairo, bezweifelt, dass die Aufständischen in Benghazi als "Pro-Demokratie-Kämpfer" seien. Sie fürchtet eine Spaltung des Landes. Nach ihrer Analyse wurden zwei Revolutionen in Libyen gleichzeitig geboren, eine demokratische, die bereit war, das Land aus ihrem tribalen Gehege zu befreien, und ein tribale, die ihre Rechte im östlichen Gebiet Libyens einfordert. Mittlerweile ist ein wichtiger Teil der zivilen Infrastruktur in Libyen zerstört worden und die Zahl der Opfer unter den Zivilisten nimmt dramatisch zu. Verhandlungen werden von den westlichen Kriegsparteien weiter hintertrieben.
Eine neue Regierung in Libyen, die die Interessen der Menschen vertreten kann, kann und muss aus einem Kompromiss, der zwischen den Bürgerkriegsparteien durch Verhandlungen erwächst, hervorgehen. Ich wünsche mir solche Verhandlungen und nicht Bomben aus Flugzeugen und Beschuss aus Helikoptern.
Mit Krieg ist kein Frieden zu schaffen, nur Tod und Zerstörung. Frieden schafft man ohne Waffen, mit Gesprächen und Verhandlungen. Die Chancen wurden von Anfang an ignoriert, verleugnet, hintertrieben und vertan. Für mich gilt: Frieden gibt es nur durch Frieden. Niemals werde ich einem Kriegseinsatz zustimmen, sei er auch noch so raffiniert „begründet“.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Gehrcke