Frage an Wolf Liebetrau von Karl-Heinz D. bezüglich Bildung und Erziehung
Der Leistungsdruck auf unsere Kinder nimmt ständig zu.
Während vor ca. 30 Jahren noch ein mittelmäßiger Abschluss ausreichend war, eine gute Chance auf eine gute praktische oder akademische weitere Ausbildung zu bekommen, ist heute meistens ein sehr gutes Abschlusszeugnis erforderlich, um zu einem Assessment-Center zugelassen zu werden, das man mit gutem Ergebnis bestehen muss, um den angestrebten Ausbildungsplatz zu bekommen.
Das gleiche Erlebnis hat man bei der Führerscheinprüfung. Für den Führerschein Klasse 3, den man vor 30 Jahren nach etwa 15 Fahrstunden und relativ einfachen theoretischen Fragebogen bestand, muss man heute die Fahrerlaubnisse A1, B, C1, BE, C1E, M und L mit etwa doppelt so vielen Fahrstunden und sehr komplexen theoretischen Prüfungen machen. Das kostet mehr Zeit und mehr Geld.
Das ist sicher beides auch gut so, denn die Anforderungen in Beruf und Straßenverkehr sind heute wesentlich höher als vor 30 Jahren.
Allerdings wird im allgemein bildendenden Schulwesen ein anderer Weg gegangen. Zur Fahrschulprüfung braucht man doppelt so viel Zeit wie vor 30 Jahren, die Zeit bis zum Abitur wird um 1 Jahr verkürzt, und das obwohl sich das Wissen der Menschheit in weniger als 10 Jahren verdoppelt.
Dadurch beginnt in der Grundschule der Leistungsdruck im 1. Schuljahr. Der Spaß am Leben bleibt auf der Strecke.
Für Kinder die diesem Leistungsdruck nicht standhalten fehlen Förder-Lehrkräfte und die vorhandenen Lehrkräfte arbeiten teilweise mit einem Ausbildungsstand von vor 30 Jahren.
Was wollen Sie tun, um die Ausbildung unserer Kinder zu verbessern?
Wie soll die verbesserte Ausbildung finanziert werden?
Sehr geehrter Herr Dahlke,
im Eifer des „Gefechtes“ sind mir Ihre sehr wichtigen Fragen irgendwie durchgerutscht. Dafür bitte ich um Nachsicht.
Was Sie beschreiben, habe ich damals auch selbst erlebt: ein „mittelmäßiger“ Abschluss war durchaus akzeptiert. Jedoch mit der Zeit haben Unternehmen ihre Einstellungsvoraussetzungen angehoben, sodass sogar für viele Lehrberufe nunmehr das Zeugnis der Reife (Abitur) verlangt wurde.
Damit verschob sich das Anforderungsprofil nach und nach zu Ungunsten mittlerer Abschlüsse.
Diese Entwicklung war und ist schädlich, für jede Art Aus- und/oder Weiterbildung.
Im Laufe der Jahre haben große Konzerne dann langsam eine Korrektur vorgenommen, und heute werden die Voraussetzungen für eine Tätigkeit darauf ausgerichtet, welche Eignung ein Bewerber, eine Bewerberin mitbringen sollte. Die absolvierte Ausbildung wird gegen das zukünftige Tätigkeitsprofil abgeglichen. Niemand soll für seinen Beruf unpassend qualifiziert sein.
Ihre beispielhafte Schilderung zur Erlangung der Fahrerlaubnis scheint mir in diesen Kontext nicht recht zu passen. Sie schreiben ja selbst, dass zum einen aufgrund erheblich gewachsener Verkehrsdichte die Anforderungen an einen Fahrzeugführer seit 30 Jahren viel komplexer geworden sind. Andererseits mag auch, das kann ich nur vermuten, eine gewisse Lobbyarbeit dazu beigetragen haben, dass heute andere Anforderungen gestellt werden, die entsprechend vergütet werden müssen. Über die Qualität will ich mich hier nicht verbreiten.
Zurück zur schulischen Ausbildung. Unsere Position ist glasklar:
Wie Sie in den Programmen unserer Piratenpartei nachlesen können, stehen wir ausdrücklich und ohne Wenn und Aber für ein Abitur nach 13 Schuljahren.
Wir stehen für Ganztagsschulen und bevorzugen Integrierte Gesamtschulen (IGS). Wir stehen ein für Förderprogramme, für Integration, für Betreuung und gemeinsames Lernen.
Ihre beiden abschließenden Fragen sind leicht, aber auch ganz besonders schwer zu beantworten.
Solange unsere Gesellschaft und die gegenwärtige Politik es dulden, dass Bildung und Ausbildung zwar wohlfeil als gemeinsame Forderung -zumal vor Wahlen- auf den Lippen geführt wird, aber die Umsetzung fehlt, solange Schule und Bildung dezentral, und noch verstärkt als Folge der Föderalismus-Reform, in Länderhoheit liegen, auch ein Großteil der finanziellen Verantwortung, solange wird sich auf diesem Feld keine Besserung ergeben.
Solange es Parteien gibt, die ihre potentiellen Wähler mir Steuerermäßigungen „locken“, anstatt die reichlich vorhanden Mittel anders, als bisher, einzusetzen, solange werden die, die unsere Gesellschaft in Zukunft formen und führen sollen, die jungen Leute, die Schüler, die Lehrlinge, die Studenten, die Berufsanfänger, von Politik und Gesellschaft im Stich gelassen.
Hier hülfe nur radikales Umsteuern von Geld und Kompetenzen. In Ministerien, in Unis, in Schulen.
Bei der herrschenden Situation habe ich für absehbare Zeit leider nur geringe Hoffnung. Es sei denn, Schüler, Eltern, Lehrer und die für die Lehrerausbildung Verantwortlichen fänden endlich zusammen und sagten endlich der Politik, was sie von ihr halten.
Sie sehen, Lösungen wären möglich. Wir Piraten allein allerdings würden uns hoffnungslos überschätzen.
Viele Grüße
Wolf Liebetrau