Frage an Winfried Nachtwei von Tillmann S. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Nachtwei,
als kleinen Nachtrag zu meiner Anfrage vom 5. Dezember möchte ich Sie aufmerksam machen auf die Veröffentlichungen zum NATO-Gipfel in Edinburgh. Jaap de Hoop Scheffer betont die Wichtigkeit des Engagements, die Schwierigkeiten, die Taliban. Mit keinem Wort werden die Warlords genannt. Dasselbe gilt für Allan Gates, der sich über das fehlende deutsche Engagement beschwert und eine Änderung der Afghanistan-Strategie einfordert, bestimmt nicht im Hinblick auf die Warlords. Niemand interessiert sich für das Schicksal des Journalisten Sayed Yaqub Ibrahimi, des Mitarbeiters des von der EU geförderten International Institute for War and Peace Reporting, der die Warlords im Norden so sehr angegriffen hat, daß man seinen Bruder unter konstruierte falsche Anklage gestellt hat: Diesem droht ein Todesurteil durch einen Rat warlordhöriger islamischer Geistlicher. Unterstreicht das nicht die Wichtigkeit meiner Anfrage in Bezug auf Warlords, Zivilgesellschaft und Straflosigkeit?
Tillmann Schmalzried, Göttingen
Sehr geehrter Herr Schmalzried,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage zur Rolle der „Warlords“ in Afghanistan sowie zu meiner Haltung zur Bekämpfung der Straflosigkeit für ehemalige Kriegsverbrecher. Vielen Dank auch für Ihr zweites Schreiben über Abgeordnetenwatch, in dem Sie nochmals auf den Zusammenhang von Warlords, Zivilgesellschaft und Überwindung der Straflosigkeit hinweisen und mich dankenswerter Weise auf das Schicksal des Journalisten Sayed Yaqub Ibrahimi aufmerksam machen. Wie bereits telefonisch besprochen, beabsichtige ich, mich in dieser Angelegenheit schriftlich an die Bundesregierung zu wenden. Vielen Dank schon einmal für die Informationen per E-Mail.
Die Diskussion hier in der Öffentlichkeit bezüglich der Rolle der Warlords in Afghanistan ist in der Tat wenig differenziert. Die Warlords werden in der Öffentlichkeit wohl immer wieder im Kontext der Risikofaktoren mit genannt, aber nicht genauer dargestellt. Anders sieht es vor Ort aus, wo wir bei Briefings recht genau zu verschiedenen Machthabern und Warlords informiert werden und wo die Gradwanderung ihnen gegenüber deutlich wird. Viele von ihnen üben als sogenannte „spoiler“, als Friedensstörer einen enormen Einfluss auf den Stabilisierungs- und Friedensprozess in Afghanistan aus. Mittlerweile haben sie auch eine komfortable Position in Parlament und Regierung zurück gewonnen. Das Anfang dieses Jahres vom afghanischen Parlament verabschiedete Amnestiegesetz arbeitet ihnen direkt in die Hände. Es sieht vor, dass Kriegsverbrechen vor 2002 nicht verfolgt werden sollen. Erst auf Druck vor allem der afghanischen Zivilgesellschaft, aber auch von Karzai und den Vereinten Nationen konnte das Gesetz abgeschwächt werden. Den Opfern soll der Weg der Individualklage offen bleiben. Das Gesetz steht zudem im Widerspruch zum nationalen Versöhnungsplan, der von der afghanischen Menschenrechtskommission, der Regierung in Kabul und der UNO im Jahr 2005 verabschiedet wurde. Dort waren auch Strafgerichte für Kriegsverbrecher geplant. Bislang ist das Amnestiegesetz allerdings noch nicht rechtskräftig. Deutlich wird daraus, dass in Afghanistan wie in vielen anderen Post-Konfliktgesellschaften auch ein reiner Konfrontationskurs zu „Vorbelasteten“ des alten Regimes kontraproduktiv sein kann, verfügen sie doch häufig noch über genügend Einfluss, um eine friedliche Entwicklung zu torpedieren.
Auch wenn die Situation in Afghanistan regional sehr unterschiedlich ist, so sind insgesamt die staatlichen Strukturen und Kapazitäten noch viel zu schwach ausgeprägt. Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Garantien ist unzureichend. Noch immer dominiert vielfach traditionelles Gewohnheitsrecht, existieren unterschiedliche Rechtssysteme. Gewaltverbrechen, insbesondere Gewalt gegen Frauen, werden mangels formeller rechtlicher Strukturen und mangelndem Rechtsbewusstseins häufig nicht geahndet. Gerade in den Provinzen stehen dem Bemühen der Regierung informelle konservative Kräfte entgegen. Warlords und lokale Kommandeure kontrollieren noch immer weite Teile des Landes, in einigen Provinzen im Norden und Westen des Landes ersetzen sie sogar quasi die lokale Autorität. Hinzu kommt, dass Korruption, Vetternwirtschaft und Stammesproporz sowie zahlreiche Verflechtungen mit der Drogenwirtschaft zu einem Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Karzai-Regierung geführt haben. Bisherige Aufbau- und Entwicklungserfolge werden dadurch gefährdet und das Land weiter destabilisiert.
Zur Stärkung der afghanischen Zivilgesellschaft gibt es Konzeptionelles, Programme und Projekte von verschiedenen Gebern, von der Bundesregierung von Anfang an. Das kann von der Förderung unabhängiger Medien über gesellschaftliches Peacebuilding bis zum Tribal Liason Office gehen. Im Einzelnen sind das manchmal bewundernswerte Anstrengungen. Von Strategie würde ich angesichts der vielen Akteure, des vielen Nebeneinanders, der Kluft zwischen Herausforderungen und bescheidenen Ressourceneinsätzen aber nicht reden.
Zur Überwindung von Straflosigkeit: Wir wissen nur allzu gut, dass Rechtssicherheit, transparente Verfahren und der effektive Schutz von Individualrechten die Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung und einen dauerhaften Frieden sind. Wir wissen aber auch, dass es ein allgemeingültiges Konzept wie wir Gesellschaften, - in denen die Menschen durch Krieg, Vertreibung und massive Menschrechtsverletzungen schwer traumatisiert worden sind und in denen die Bevölkerung das Vertrauen in den Staat und seine Schutzfunktion verloren hat bzw. nie hatte, - dabei unterstützen können, verlässliche Institutionen aufzubauen und das Vertrauen der Menschen in diese wieder herzustellen, nicht geben kann. Dafür ist die Situation in Konflikt- und Postkonfliktgesellschaften viel zu komplex, sind die Konflikte und Herausforderungen viel zu vielschichtig und zahlreich: Es geht um Frieden und Sicherheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit, um Wahrheitsfindung, Versöhnung und soziale Neuordnung. Das lässt sich weder allein mit einem Ansatz, der nur die Sicherheit in den Vordergrund stellt, noch mit einem Ansatz der nur auf den Aufbau rechtstaatlicher Institutionen setzt, gewährleisten. Keine Frage auch, dass es ohne eine starke Zivilgesellschaft als Träger des Aufbau- und Transformationsprozesses keinen dauerhaften Frieden geben kann. Die Stärkung der Zivilgesellschaft kann aber kein Ersatz für den Aufbau staatlicher Strukturen sein.
Worauf es mir dabei aber auch ankommt, wir dürfen uns durch die Schwierigkeiten, die Vielzahl der Herausforderungen und auch mancher Rückschläge nicht entmutigen lassen. Afghanistan ist nicht verloren, wie auch die jüngste Umfrage der ARD eindrücklich zeigt (diese ist auf meiner Homepage unter www.nachtwei.de abrufbar). Was wir brauchen sind intelligente Lösungen, ist eine Verbindung der verschiedenen Ansätze und eine Vielzahl von Maßnahmen und Handlungsansätzen, sonst kann es keinen dauerhaften Frieden und keine nachhaltige Entwicklung in Afghanistan geben. Dass noch vieles zu tun ist, vor allem für einen effektiven Polizei- und Justizaufbau und gleichzeitig für einen wirkungsvollen Menschenrechtsschutz, und wir daher unser Engagement für Afghanistan verstärken und ausbauen müssen, ist richtig. Dazu müssen wir in dem nächsten Jahr kommen. Wir wollen, dass die Bundesregierung eine Vorreiterrolle einnimmt und in der EU und der NATO darauf drängt, in dem so wichtigen Bereich des zivilen Aufbaus endlich voranzukommen.
Ich hoffe ich habe Ihre Fragen hinreichend beantwortet.
Mit freundlichen Grüßen
Winfried Nachtwei, MdB