Frage an Willi Brase von Werner B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Brase,
meine Fragen:
1. Glauben Sie, dass die gewählten Vertreter in den Parlamenten die Interessen derer vertreten, die Sie gewählt haben?
2. Glauben Sie, dass Ihre Partei (SPD) noch als Volksparei bezeichnet werden kann? Der Anteil der "Arbeiter" dürfte inzwischen sehr geworden sein. Die LINKEN greifen die Sorgen und Nöte der Bevölkerung auf. Ihrer SPD sind die Interessen der Industrie seit Schröder wichtiger
3. Warum ist Ihr ehemaliger Parteichef Lafontaine plötzlich ein verachtenswerter Nobody? Als SPD-Mitglied hatte er keine unwesentlich andere Positionen vertreten?
4. Warum laufen Ihrer Partei auch langjährige Mitglieder in Scharen davon? Kann es sein, dass der SPD das "Volk" abhanden gekommen ist? Wen meinen Sie zu vertreten, wenn die SPD noch nicht einmal ihre eigenen Mitglieder überzeugen kann? Ist Ihnen die Verbindung zum Volk abhanden gekommen?
5. Warum folgen die Vertreter Ihrer Partei nicht ihrem "Gewissen" sondern stimmen entsprechend den Befehlen der Parteispitze ab und lassen sich so als Stimmvieh im Parlament mißbrauchen? Neuer Chef, neue Meinung, neues Abstimmverhalten.
6. Können Sie mir ein Thema (Problem) nennen, welches die Parteien in den letzten 10 Jahren abschließend gelöst haben? Wieso wird das Thema Rente, Gesundheit, Arbeitslosigkeit, Bildung, Ausbildung usw. usw. seit zig Jahren immer wieder diskutiert und im Ergebnis bleibt immer nur Stückwerk übrig?
7. Arbeitslosigkeit: Wieso verlassen hochausgebildete Menschen unser Land? Warum sind in Deutschland tausende Ingenieure arbeitslos und trotzdem wird nach Fachkräften gerufen? Wieviel Volkskapital wird verschwendet, wenn diese Menschen bei uns studieren und anschließend durch unsere Arbeitsmarktpolitik ins Ausland getrieben werden? (Ich selber habe nach über 580 erfolglosen Bewerbungen in Deutschland bereits nach drei Bewerbungen in der Schweiz einen neuen Arbeitsplatz gefunden)
usw. usw. usw. ich könnte noch viele Fragen stellen.
MfG
Werner Bernshausen
Sehr geehrter Herr Bernshausen,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 31.05.2008. Gerne beantworte ich einige Ihrer Fragen.
Zu Ihrer ersten Frage möchte ich gleich ganz klar mit „Ja“ antworten. Ich denke, dass die gewählten Volksvertreter die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vertreten.
Die SPD ist immer noch die Partei mit dem größten Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmeranteil in der Wählerschaft. Lassen sie mich nur zwei arbeitsmarktpolitische Instrumente einer sozialdemokratische Politik nennen, die sich konkret um die Sorgen und Nöte der Bürgerinnen und Bürger kümmert: beispielsweise die Verlängerung der Altersteilzeit und die aufgestockten Mittel für eine vermehrte Ausbildungsbereitstellung für junge Menschen.
Oskar Lafontaine trat 1999 ohne Begründung zurück. Seine politische Aufgabe, verantwortlich zu handeln, ist er mit seinem Rücktritt nicht gerecht geworden. Den Vorsitz der SPD „setzt man nicht einfach in den Sand“.
Ich bedaure sehr die Verluste von Mitgliedern. Die SPD ist leider aus eigenen Gründen in einer schwierigen Lage: Uneinigkeit und unterschiedliche Interessenslagen innerhalb der Partei sind nicht förderlich für das Halten von Mitgliedern. Nach wie vor halte ich es strategisch für falsch, dass meine Partei nach der rotgrünen Regierungszeit nicht in ruhiger und sachgerechter Art und Weise die Wirkungen der Agenda 2010 aufgearbeitet hat. Die Agenda-Politik war in Teilbereichen gut für Unternehmen, aber schlecht für Betroffene wie beispielsweise ALG II-Empfänger und wirkte sich auch negativ auf die SPD aus. Nur mit einer schonungslosen Analyse und Aufarbeitung der rot-grünen Regierungszeit hätte manches Negative verhindert werden können. Letztendlich wird es aber nur mit der SPD gelingen, vernünftige Lebens- und Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchzusetzen.
Jeder Abgeordnete ist allein seinem Gewissen verpflichtet. Betrachtet man das Abstimmungsverhalten bei verschiedenen Entscheidungen des Bundestages lässt sich eine große Bandbreite erkennen. Viele Abstimmungsverhalten innerhalb der SPD-Fraktion wichen von der Mehrheitsmeinung der SPD ab. Allerdings kann ein Politikbetrieb auch nur funktionieren, wenn die jeweiligen Fraktionen sich bei bestimmten Fragen einigen und mit einer geschlossenen Meinung in die Bundestagsdebatten einziehen. Dieses übereinstimmende Abstimmungsverhalten bei manchen Themen ist kein spezifisches Wesen der SPD, sondern in allen Fraktionen vertreten.
Lassen sie mich nur ein paar Themen nennen, welche die SPD in den letzten Jahren angegangen hat:
- Die Arbeitslosigkeit sinkt konstant und die Arbeitslosenquote im Mai 2008 ist mit 7,8 Prozent erstmals seit November 1992 wieder unter 8 Prozent.
- Durch Pisa haben wir im Bildungsbereich neue Anstöße erhalten; erkennbare Fortschritte konnten umgesetzt werden, die jedoch noch weiter reichen könnten.
- Die Zahl der Ausbildungsplätze hat sich durch mehr finanzielle Aufwendungen erhöht.
- Die SPD konnte eine zehnprozentige Erhöhung des Bafög durchsetzen.
- Durch den Abschluss des Hochschulpaktes wird es mehr Studienplätze geben.
- Der Einkommenssteuersatz von 25,9 Prozent wurde um 50 Prozent auf 15 Prozent gesenkt.
- Aus klima- und umweltpolitischen Gründen konnte ein Gesetz für den Vorrang erneuerbarer Energien umgesetzt werden.
Laut des Berichtes zur Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007 ist die Arbeitslosenquote von Ingenieuren im Zeitraum von 2003 bis 2006 um 48 Prozent gesunken, d.h. überdurchschnittlich im Gegensatz zu der allgemeinen Arbeitslosenquote. Zudem sind im Ingenieurbereich die Arbeitslosigkeitsmeldungen durch Stellenwechsler mit ins Kalkül zu setzen, so dass man sich gerade bei dieser Berufsgruppe der Vollbeschäftigung nähert. Dennoch gibt es immer noch das Paradoxon von arbeitslosen Ingenieuren und einer Fachkräfteknappheit. Ein Grund hierfür ist, dass ein großer Teil der arbeitslosen Ingenieure älter als 50 Jahre ist. Gerade ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten in der Technikbranche als schwer vermittelbar. Viele Unternehmen stellen jedoch keine entsprechenden Fortbildungsangebote für Ingenieure bereit. Andererseits hat sich die Notwendigkeit von Weiterbildung in den Köpfen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern häufig auch noch nicht durchgesetzt. Es ist nicht nur Aufgabe der Politik, sondern auch der gesamten Gesellschaft, diese Arbeitsmarktproblematik in den Griff zu bekommen. Es tut mir sehr leid, dass Menschen wie Sie, ihr Wissen nicht hier in Deutschland anwenden können.
Im meinem Heimatbezirk Siegen Wittgenstein können Sie bei Betrachtung der Heimatpresse sehen, dass ich mich vehement für existenzsichernde Löhne einsetze, um u. a. auch den Arbeitsplatz Deutschland wieder attraktiv zu gestalten und damit ein Abwandern ins Ausland zu verhindern.
Mit freundlichen Grüßen
Willi Brase