Frage an Willi Brase von Clemens M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Brase.
Ich bin 1 CONTERGAN-OPFER + sehe mich zunehmender Diskriminierung -bezügl. der PKW-Förderung durch entsprechende Kostenträger- ausgesetzt! Obwohl ich auf 1 PKW dringendst angewiesen bin, werden mir die Umrüstkosten (ca. 16.000 € nach "system franz") immer wieder mit der Begründung versagt + somit abgelehnt, förderungswürdig sei nur die Teilhabe am Schul-/Berufleben), nicht aber die Teilhabe am Sozialleben (ich beziehe eine 100 %-ige Erwerbsminderungsrente)!!! Ich möchte explizit von Ihnen persönlich + der SPD wissen, ob + wie Sie (und die SPD) zu dieser Problematik stehen + ob Sie persönlich (+ die SPD) etwas daran ändern wollen!?! Für 1 Antwort wäre ich sehr dankbar + verbleibe mit freundlichen Grüßen - Clemens Müller
Sehr geehrter Herr Müller,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage. Bitte entschuldigen Sie die verspätete Antwort -- ich musste noch recherchieren.
Seit mehr als einem Jahr stehen Politikerinnen von SPD und CDU/CSU in Verhandlungen mit Betroffenen und deren Verbänden, der Verursacherfirma Grünenthal, der Contergan-Stiftung für behinderte Menschen und der Bundesregierung. Vieles ist bereits umgesetzt oder in der Umsetzung begriffen:
Die monatliche finanzielle Unterstützung (früher "Rente") ist nicht -- wie noch Anfang 2008 vorgesehen -- nur um 5% angehoben, sondern verdoppelt worden. Der Höchstsatz beträgt seit dem 01. Juli 2008 1.090 Euro (früher: 545 Euro).
Gleichzeitig wurde neu geregelt, dass diese monatliche Unterstützung nicht auf andere Zahlungen wie Erwerbsminderungsrenten, SGB-II-Zahlungen oder Sozialgeld angerechnet wird.
Wir haben das Straßenverkehrsgesetz geändert, so dass es jetzt für die Geschädigten einen - längst überfälligen - Anspruch auf einen Behindertenparkplatz gibt.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat mit einem Rundschreiben zur Verordnung und Bewilligung von Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen deutlich gemacht, dass im Sinne der contergangeschädigten Menschen bei der Verordnung von medizinischen Heil- und Hilfsmitteln der Rahmen voll ausgeschöpft und Ausnahmetatbestände genutzt werden sollten.
Wir haben einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, mit dem wir mehr Forschung über die Lebenssituation der Betroffenen erreichen und hieraus Schlüsse für wirkungsvollere Hilfen und Hilfsmittel ziehen wollen.
**Was jetzt ansteht:
Jetzt steht der nächste große Schritt an. Denn die Koalition hat sich auf weitere Verbesserungen für contergangeschädigte Menschen geeinigt. Das entsprechende Zweite Gesetz zur Änderung des Contergan-Stiftungsgesetzes ist Ende März in den Deutschen Bundestag eingebracht worden. Es soll noch am 01. Juli 2009 in Kraft treten.
Im Mittelpunkt dieses Gesetzes steht eine *jährliche Sonderzahlung*, die noch in diesem Jahr zum ersten Mal an die Betroffenen fließen soll. Diese neue Leistung wird über einen Zeitraum von 25 Jahren jeweils einmal jährlich ausgezahlt. In ihrer Höhe wird sie sich am Grad der Behinderung orientieren. Mit der Sonderzahlung wollen wir dauerhaft und nachhaltig helfen. Wir wollen den Betroffenen damit einen größeren finanziellen Spielraum verschaffen, den sie ganz nach ihren eigenen Bedürfnissen nutzen können.
Diese Sonderzahlung wird einerseits finanziert durch eine Zahlung in Höhe von 50 Millionen Euro, zu der sich die Firma Grünenthal freiwillig verpflichtet hat. Diese Mittel sollen in die Conterganstiftung für behinderte Menschen eingezahlt werden. Zum anderen kommen für die Sonderzahlung 50 Millionen Euro aus dem bestehenden Vermögen der Conterganstiftung hinzu. Die dann insgesamt zur Verfügung stehenden 100 Millionen Euro werden nebst Erträgen im Laufe der nächsten 25 Jahre an alle Leistungsberechtigten ausgezahlt.
Hinsichtlich Ihrer Frage zur Eingliederungshilfe -- also Ihrem Antrag beim Sozialamt für die Finanzierung eines Autosumbaus -- muss ich Ihnen mitteilen, dass die Ansicht des Sozialleistungsträgers nach dem SGB XII leider richtig ist. Die Hilfen für einen Kfz-Umbau oder seine Anschaffung hängen am Bedarf für die Teilhabe am Arbeitsleben. Hierfür ist die Rentenversicherung zuständig. Als SPD fordern wir -- und das wird voraussichtlich auch in unserem Regierungsprogramm stehen -- dass Menschen nach Ihrem Bedarf Assistenz und Hilfsmittel erhalten und das in allen Bereichen der sozialen Teilhabe.
Einen Anspruch könnten Sie derzeit eventuell aus Artikel 20 der UN-Konvention ableiten, die fordert, dass der Zugang zu hochwertiger Mobilität (also nicht nur öffentliche Verkehrsmittel) gefördert werden muss und Menschen mit Behinderung generell Zugang zu erschwinglicher Mobilität haben müssen. An dieser Stelle wäre es Sache des zuständigen Gerichtes, wie es diese aktuell gültige Regelung auslegt. Die UN-Konvention kann ich ihnen gerne zukommen lassen, wenn Sie mir bitte eine E-Mail an willi.brase@bundestag.de schicken.
Mit herzlichen Grüßen
Willi Brase