Frage an Wiebke Esdar von Rune F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Esdar,
ab dem 25. Mai gilt die DSGVO und obwohl diese bereits vor gut fast 2 Jahren in Kraft getreten ist gibt es bis zum heutigen Tag keinerlei Anpassungen seitens der Regierung und dass obwohl es einen Regelungs- und Anpassungsauftrag an die nationalen Gesetzgeber in den Mitgliedsstaaten der EU bei zu erwartenden besonderen Härten und unzumutbaren Einschränkungen gab.
Durch diese Untätigkeit der Regierung wird es freien Journalisten/Fotografen quasi unmöglich gemacht ihren Aufträgen nachzugehen und von Veranstaltungen wie z.B. Sportevents oder Konzerten zu berichten oder auch eine Hochzeit zu dokumentieren. Das kommt doch in gewisser Weise Zensur gleich, und nichts wird dagegen unternommen.
Der europäische Gesetzgeber hat doch genau aus diesem Grund eine Öffnungsklausel in der DSGVO (Art. 85 DSGVO), verbunden mit dem angesprochenen Regelungs- und Anpassungsauftrag.
Zitat aus einem Artikel zum Thema*:
„In Art. 85 Abs. 2 DSGVO findet sich eine Pflicht, Abweichungen und Ausnahmen zur DSGVO zur Gewährleistung der Freiheit der Meinungsäußerung zu journalistischen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken zu schaffen. In Art. 85 Abs. 1 DSGVO findet sich sogar eine eigenständige, noch weitergehende Öffnungsklausel.“
Ohne Einwilligung darf personenbezogenes Bildmaterial (Fotos) im Rahmen des KUG so nur noch von der so genannten „institutionalisierten“ Presse und dem Rundfunk sowie den für sie arbeitenden Journalisten und Unternehmen angefertigt und genutzt werden. Dieser Umstand ist unzumutbar und bedroht die Arbeit von freien Journalisten/Fotografen und anderen Personen die im Zuge ihrer Arbeit digitales Bildmaterial erstellen müssen (Blogger, PR- und Werbeagenturen etc.) und nicht bei klassischen Medien aktiv sind.
Wann wird endlich etwas gegen die Art der Zensur unternommen? Hier besteht dringest Handlungsbedarf.
Mit freundlichen Grüßen
R. F.
Sehr geehrter Herr F.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage zur seit Mai geltenden Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO). Die Beantwortung hat etwas Zeit benötigt, da ich mich zunächst mit den Fachleuten unserer Fraktion umfassend zur Thematik ausgetauscht habe. Für Ihre Geduld möchte ich Ihnen daher schon jetzt herzlich danken.
In den vergangenen Wochen und Monaten haben mich zahlreiche Zuschriften von Fotografinnen und Fotografen aus Bielefeld sowie des Branchenverbandes Freelens erreicht. Darin kam oftmals die Sorge zum Vorschein, dass Bildmaterial in der Öffentlichkeitsarbeit nur noch mit der Einwilligung der abgebildeten Personen erlaubt sei, weil die Politik in Deutschland es versäumt habe, die Öffnungsklausel in Art. 85 Abs. 2 DS-GVO zu nutzen. Es wird darüber hinaus befürchtet, das über viele Jahre in Deutschland bewährte Kunsturhebergesetz (KUG) solle eingeschränkt oder gar aufgehoben werden. Ausgangspunkt für die verstärkte Aufregung war ein bekannt gewordener Entwurf des zweiten Datenschutzanpassungsgesetzes. Dieses dient der Anpassung der nationalen bereichsspezifischen Vorschriften an die Vorgaben der DS-GVO und befindet sich derzeit noch in der Ressortabstimmung. Dieses sehr umfangreiche Artikelgesetz sah zwischenzeitlich vor, das Kunsturhebergesetz (KUG), welches Vorschriften für die Verbreitung und Veröffentlichung von Fotografien enthält, nicht aufrechtzuerhalten bzw. in seiner Reichweite erheblich einzuschränken. Es handelte sich allerdings lediglich um einen Vorentwurf, der unseres Wissens wieder verworfen wurde.
Im Folgenden möchte ich Ihnen nun gerne - auch die von Ihnen geäußerten - Sorgen und Befürchtungen nehmen.
Die europäische Datenschutzgrundverordnung ist - nach einer zweijährigen Übergangsfrist - ab dem 25. Mai 2018 in allen Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar. Sie löst die Datenschutz-Richtlinie von 1995 ab, die in den Mitgliedstaaten teils sehr unterschiedlich umgesetzt worden war; in Deutschland durch das Bundesdatenschutzgesetz.
Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hat Deutschland mit dem Datenschutzanpassungs- und Umsetzungsgesetz bereits das Wichtigste zur Durchführung der DS-GVO und gleichzeitig zur (teilweisen) Umsetzung der Datenschutzrichtlinie im Bereich Polizei und Justiz verabschiedet. Mit der DS-GVO und dem BDSG-neu ist eine weitest gehende Harmonisierung des Datenschutzrechts in Europa gelungen. Bürgerinnen und Bürger erhalten ein effektives Instrument zur Durchsetzung ihrer Rechte; für die Unternehmen gibt es aufgrund des einheitlichen Rahmens mehr Rechtssicherheit und durch das Marktortprinzip gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Akteure auf dem europäischen Markt.
Dabei wurde das Rad im Datenschutzrecht mit der DS-GVO durchaus nicht neu erfunden, die öffentliche Wahrnehmung ist allerdings eine andere. Vielen wird erst jetzt aufgrund der medialen Berichterstattung bewusst, welche datenschutzrechtlichen Rechte, aber auch Pflichten es gibt, die doch schon seit vielen Jahren in Deutschland bestehen.
Um nun konkret auf Ihre Situation als Fotograf einzugehen, leite ich Ihnen nachfolgend eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz im Wortlaut weiter, die die Frage umfassend beantwortet, ob die DSGVO die Rechtslage in Bezug auf Fotografien ändert:
„Das Anfertigen von Fotografien wird sich auch zukünftig auf eine - wie bislang schon - jederzeit widerrufbare Einwilligung oder alternative Erlaubnistatbestände wie die Ausübung berechtigter Interessen (Art. 6 Abs. 1 Buchst. f) DS-GVO) stützen können. Diese Erlaubnistatbestände (nach geltender Rechtslage Art. 7 der geltenden EU-Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG in Verbindung mit den nationalen Umsetzungsgesetzen) decken seit vielen Jahren datenschutzrechtlich die Tätigkeit von Fotografen ab und werden in Art. 6 DS-GVO fortgeführt. Die Annahme, dass die DS-GVO dem Anfertigen von Fotografien entgegenstehe, ist daher unzutreffend.
Für die Veröffentlichung von Fotografien bleibt das Kunsturhebergesetz auch unter der ab dem 25. Mai 2018 anwendbaren Datenschutz-Grundverordnung erhalten. Es sind keine Änderungen am Kunsturhebergesetz (KunstUrhG) oder gar eine Aufhebung des Gesetzes mit Blick auf die DS-GVO vorgesehen. Die Ansicht, das KunstUrhG werde durch die DS-GVO ab dem 25. Mai 2018 verdrängt, ist falsch. Das KunstUrhG stützt sich auf Artikel 85 Abs. 1 DS-GVO, der den Mitgliedstaaten nationale Gestaltungsspielräume bei dem Ausgleich zwischen Datenschutz und der Meinungs- und Informationsfreiheit eröffnet. Es steht daher nicht im Widerspruch zur DS-GVO, sondern fügt sich als Teil der deutschen Anpassungsgesetzgebung in das System der DS-GVO ein. Eine gesetzliche Regelung zur Fortgeltung des KunstUrhG ist nicht erforderlich.
Die grundrechtlich geschützte Meinungs- und Informationsfreiheit fließt zudem unmittelbar in die Auslegung und Anwendung der DS-GVO ein, insbesondere stellen sie berechtigte Interessen der verantwortlichen Stellen nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f) DS-GVO dar. Die DS-GVO betont, dass der Schutz personenbezogener Daten kein uneingeschränktes Recht ist, sondern im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegen andere Grundrechte abgewogen werden (Erwägungsgrund 4). Zu den von der DS-GVO in diesem Zusammenhang genannten Grundrechten zählt ausdrücklich auch die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit.“
Nicht-juristisch-technisch ausgedrückt bleibt also festzuhalten:
Auch mit der Anwendbarkeit der DS-GVO ab dem 25. Mai 2018 können (datenschutzrelevante) Fotografien, die nicht in Ausübung journalistischer Tätigkeit oder zu ausschließlich privaten und familiären Zwecken, sondern für künstlerische oder kommerzielle Zwecke entstehen, rechtmäßig angefertigt und verbreitet/veröffentlicht werden. Dabei wird in den meisten Fällen das Einholen einer Einwilligung nicht erforderlich sein. Wir gehen davon aus und setzen uns dafür ein, dass auf die Verbreitung von solchen Fotografien weiterhin die Regelungen des Kunsturhebergesetzes (KUG) Anwendung finden und dieses nicht aufgehoben wird. Die Frage, ob ein Foto überhaupt gemacht oder gespeichert werden darf, ist keine unmittelbare Frage des KUG, sondern richtet sich auch jetzt schon nach allgemeinem Datenschutzrecht, soweit damit die Verarbeitung personenbezogener Daten verbunden ist, bzw. ist Ergebnis einer Interessenabwägung zwischen den betroffenen Grundrechten. Eine entsprechende Interessenabwägung ist für nicht-öffentliche Stellen (Fotograf ist keine öffentliche Stelle/Behörde) eine nach DS-GVO weiterhin bestehende Möglichkeit.
Grundsätzlich erfüllt das Fotografieren sehr häufig den Kunstbegriff und ist dadurch grundrechtlich geschützt. Die Kriterien für eine entsprechende Abwägung von Grundrechten, die auch bislang schon zu berücksichtigen waren und die das Ergebnis einer ausdifferenzierten Rechtsprechung in diesem Bereich sind, wird man auch weiterhin zugrunde legen können.
Sehr geehrter Herr F., ich hoffe, ich konnte durch meine Ausführungen Klarheit über die Ausgestaltung der DS-GVO in Deutschland bringen. Wie schon ausgeführt, gehen wir davon aus, dass bzgl. der Verbreitung/Veröffentlichung von datenschutzrelevanten Fotografien weiterhin die Regelungen des KUG – als nationale Ausgestaltung von Art. 85 Abs. 2 DS-GVO – Anwendung finden können und werden uns dafür einsetzen, dass dies auch so bleibt.
Freundliche Grüße
Wiebke Esdar