Frage an Werner Hoyer von Reinhard P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Hoyer,
am 14. März verabschiedete die UNO-Vollversammlung eine Resolution, die die Zugehörigkeit der Republik Berg-Karabach zu Aserbaidschan bestätigte. Deutschland enthielt sich zusammen mit rund drei Viertel der UNO-Mitglieder der Stimme.
1. Sind Sie mit dem Abstimmungsverhalten der Bundesregierung einverstanden? Warum?
2. Halten Sie eine spätere Anerkennung der Republik Berg-Karabach (parallel zur Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovas) für denkbar oder wünschenswert?
3. Unter welchen Umständen halten Sie eine Eingliederung Berg-Karabach in die Republik Aserbaidschans für möglich?
Berg-Karabach ist seit 20 Jahren faktisch unabhängig bzw. mit Armenien assoziiert. Stimmen Sie zu, dass nach so langer Zeit eine Eingliederung in einen (zudem verfeindeten) Nachbarstaat nicht mehr zumutbar ist? Immerhin hat Berg-Karabach noch nie zu Aserbaidschan gehört, zur Zeit der Sowjetunion war es ein autonomes Gebiet, das von Baku aus verwaltet wurde, aber kulturelle Eigenständigkeit hatte.
Vielen Dank für Ihre Antwort
Reinhard Pohl
Sehr geehrter Herr Pohl,
für Ihre Anfrage hinsichtlich meiner Meinung zum Status der Region Berg-Karabach danke ich Ihnen recht herzlich. Gerne möchte ich versuchen, Ihre umfangreichen – und teilweise recht spezifischen – Fragen zu beantworten.
Wie die Bundesregierung vertritt auch die FDP-Bundestagsfraktion die Meinung, dass die territoriale Integrität Aserbaidschans zu achten und zu bewahren ist – bis die Minsker Gruppe der OSZE eine von allen Konfliktparteien akzeptierte Lösung des Konfliktes findet. Die territoriale Integrität eines unabhängigen und völkerrechtlich anerkannten Staates ist ein hohes völkerrechtliches Gut, das lediglich unter ganz bestimmten und eng abgegrenzten Umständen zur Disposition steht.
Daher sind wir mit dem Abstimmungsverhalten der Bundesregierung bei der von Ihnen angesprochenen Resolution der UN-Vollversammlung generell einverstanden. Die faktische Enthaltung begründete sich meinen Informationen nach lediglich daraus, dass die Frage der territorialen Integrität Aserbaidschans mit weiteren Punkten verknüpft war, denen die Bundesrepublik so nicht zustimmen konnte.
Die FDP-Bundestagsfraktion unterstützt die Bemühungen der Minsker Gruppe sowie sämtliche dort getroffenen, einvernehmlichen Lösungsansätze auf ganzer Linie. Diese von der OSZE einberufene Verhandlungskommission wird weithin als einzig legitimes Gremium zur Lösung des Konfliktes angesehen.
Eine Parallele zu der von Ihnen angesprochenen Unabhängigkeit des Kosovo sehe ich im Falle Berg-Karabachs jedoch nicht. Beim Kosovo handelt es sich um einen Fall "sui generis". Die Anwesenheit der internationalen Gemeinschaft bzw. die internationale Kontrolle durch KFOR seit fast einem Jahrzehnt haben den Kosovo zu einem einmaligen Völkerrechtssubjekt werden lassen. Dies ist weder in Berg-Karabach noch in Abchasien oder Transnistrien der Fall.
Berg-Karabach ist zurzeit völkerrechtlich gesehen ein Teil Aserbaidschans und muss daher nicht in diese Republik "eingegliedert" werden, wie Sie es formulieren. Dennoch genießt die Region schon heute größtmögliche Autonomie und ist de facto unabhängig. So wählt, wie Sie sicherlich wissen, die Bevölkerung beispielsweise bereits ihren eigenen Präsidenten.
Generell möchte ich jedoch zu bedenken geben, dass ich eine rein historische Argumentation für den falschen Ansatz halte, der in den allermeisten Fällen zu kurz greift. Historische Legitimierungen können – wie wir im Kosovo schmerzlich erfahren durften – von allen Konfliktparteien zu ihren Gunsten verwendet, verbrämt oder verklärt werden. Neben der historischen gibt es eben auch eine aktuell völkerrechtliche Sicht ethnischer Konflikte, die meist eine objektivere Wahrnehmung der Konflikte zulässt.
Generell bleibt der deutschen Außenpolitik nicht viel mehr, als alle Beteiligten des Konfliktes zur Besonnenheit aufzurufen. Eine kriegerische Auseinandersetzung würde sämtliche bereits vollzogene Bemühungen um eine friedliche Lösung zunichte machen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Werner Hoyer