Frage an Volker Beck von Hannelore H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
wehrter herr beck
wieso weigert man sich in unserem land die berechtigten forderungen ehemaliger heimkinder auf angemessene entschädigung und wiedergutmachung zu akzeptieren.man spricht zwar ständig über den holocoust,aber vor diesen mißständen verschließt man einfach die augen und ohren.es wäre an der zeit,diese mißstände einzuräumen und entsprechend wiedergutzumachen.
mfg
H. Henneberger
Sehr geehrte Frau Henneberger,
unter Leitung der früheren Bundestagsvizepräsidentin und bündnisgrünen Abgeordneten Antje Vollmer nahm letzten Dienstag in Berlin der Runde Tisch seine Arbeit auf, der Licht in das Dunkel der Heimerziehung bringen soll, eines der dunkelsten Kapitel der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Der Bundestag hatte die Einrichtung des Gremiums Ende 2008 in seltener Einmütigkeit beschlossen, nachdem sich im Petitionsausschuss das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen abgezeichnet hatte.
Zur Erläuterung und zum Hintergrund:
Am 26.11.2008 hat der Petitionsausschuss in einer öffentlichen Sitzung, in Anwesenheit des Bundestagspräsidenten Dr. Lammert (CDU) und der Vizepräsidentin des Bundestages a.D. Dr. Antje Vollmer (Grüne) seine Schlussfolgerungen zu dieser Thematik vorgelegt und einen Beschluss über das weitere Vorgehen gefasst.
"Der Petitionsausschuss sieht und erkennt erlittenes Unrecht und Leid, das Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Kinder- und Erziehungsheimen in der alten Bundesrepublik in der Zeit zwischen 1945 und 1970 widerfahren ist und bedauert das zutiefst", heißt es in dem Beschluss.
Das Anerkenntnis erlittenen Unrechts und Leids durch den Beschluss des Petitionsausschusses ist ein bedeutsames Signal an die Opfer, in die Gesellschaft hinein und an die Träger und ehemaligen Träger der Heime. Der große Einsatz, den die grünen Mitglieder im Petitionsausschuss, Josef Winkler und Monika Lazar, in dieser Sache gezeigt haben, hat am Ende zu einem interfraktionellen einstimmigen Beschluss des Ausschusses geführt, der den Betroffenen weiterhelfen wird. Der Bundestag hat den Beschluss des Petitionsausschusses am 4.12.2008 bestätigt und sich damit zu eigen gemacht.
Jetzt sollten sich auch die Bundesländer als Zuständige für die Heimaufsicht, die Kommunen, die in vielen Fällen für unrechtmäßige Einweisungen verantwortlich waren, sowie die ehemaligen Träger der Heime und die darin tätig gewesenen Vereinigungen ihrer Verantwortung stellen und sich für das geschehene Unrecht entschuldigen und mit aller Kraft an einer raschen Hilfe für die Betroffenen mitarbeiten.
Alle Gespräche und Anhörungen im Petitionsausschuss haben ergeben, dass nicht nur seitens der Betroffenen sondern auch seitens der Träger Bereitschaft zur Aufarbeitung besteht. Die einstimmige Beschlussempfehlung des Petitionsausschuss ist ein wichtiger Beitrag, die Aufarbeitung zu koordinieren. Der Petitionsausschuss hat mit dem bisherigen Verfahren, vor allem mit dem frühen Anhören der betroffenen ehemaligen Heimkinder, einen ungewöhnlichen Weg bestritten. Im Laufe der Bearbeitung der Petition hat sich aber gezeigt, dass der Versuch eine Lösung für die Betroffenen zu finden, weit über das hinausgeht, was das übliche parlamentarische Verfahren leisten kann.
Fraktionsübergreifend besteht Konsens darüber, dass die Anliegen der Heimkinder, d.h. Aufarbeiten der Geschehnisse und Erlangen von Genugtuung im Rahmen eines runden Tisches - der wie gesagt diese Woche seine Arbeit aufgenommen hat - nunmehr einer Lösung zugeführt werden.
Wir erwarten, dass das eindeutige Votum des Bundestages der verspätete Startschuss zu einer raschen, zielgerichteten und an den Bedürfnissen der Opfer dieser Menschenrechtsverletzungen ausgerichteten Aufarbeitung der Vergangenheit auf der einen Seite und einer angemessenen Würdigung und Entschädigung derselben auf der anderen Seite sein wird.
Das Erfahrene wiegt für die Betroffenen schwer. Das wurde bei einer Anhörung des Petitionsausschusses deutlich, in der ehemalige Heimkinder berichteten. Viele ehemalige Heimkinder leiden noch heute unter dem Erlebten, sind in vielen Fällen traumatisiert und haben die damaligen Erlebnisse bis heute nicht verarbeiten können. Sie brauchen immer noch professionelle Hilfe. Erst nach und nach brachen Betroffene nach Veröffentlichungen in den Medien das Schweigen.
Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, ob Gewalt und Ausbeutung in Heimen systematisch stattfand, oder in einer Vielzahl von Fällen oder lediglich in "Einzelfällen". Dass es Gewalt und Ausbeutung in Heimen gegeben hat, ist hingegen unstreitig. Unabhängig von der Quantität zählt für uns jedes Schicksal. Bei den Verantwortlichen in öffentlichen und privaten Stellen finden die Betroffenen aber scheinbar noch immer nicht ausreichend Gehör.
Die Aufarbeitung der früheren Missstände und die konkrete Hilfe für die Opfer dieser Zustände ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Mit dem Beschluss des Petitionsausschusses sind die Bearbeitung der Petition und das Anliegen der Petenten für den Deutschen Bundestag keineswegs abgeschlossen. Die Bundesregierung muss dem Deutschen Bundestag regelmäßig berichten, wie sie den Beschluss umsetzt. Darüber hinaus sind die Fraktionen aufgefordert, den Beschluss bei ihrer parlamentarischen Arbeit zu beachten. Wir werden die Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestags durch die Bundesregierung genau beobachten und sofern nötig auf seine Einhaltung drängen. Die Anregungen und Ergebnisse des Runden Tisches werden wir intensiv verfolgen und gegebenenfalls in parlamentarische Initiativen umsetzen. Dass es gelungen ist, Dr. Antje Vollmer fraktionsübergreifend für den Vorsitz des Runden Tisches vorzuschlagen, ist ein besonderer Vertrauensbeweis an unsere ehemalige Vizepräsidentin des Bundestages, der uns sehr erfreut hat.
Bitte lesen Sie auch unseren Fraktionsbeschluss aus dem Jahr 2007 zu diesem Thema:
http://www.gruene-bundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/180/180420.beschluss_heimkinder.pdf
Einen Vergleich mit dem Holocaust halten wir in diesem Zusammenhang i.ü. schon aufgrund der unterschiedlichen Dimensionen für nicht statthaft.
Mit freundlichen Grüßen
Büro Volker Beck