Frage an Volker Beck von Albrecht K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Beck,
vielen Dank für Ihre schnelle und ausführliche Antwort. Dabei sind mir allerdings zwei Punkte aufgefallen:
1. Die von Ihnen beanstandeten 40 Fragen stellen gerade einmal 12% der insgesamt 330 Fragen dar. Zum Bestehen des Einbürgerungstests müssen aber nur 50% der Fragen richtig beantwortet werden. Darüber hinaus kann der Test beliebig oft wiederholt werden.
2. Alle 330 Fragen und die richtigen bzw. falschen Antworten sind den Migrantenvereinigungen bekannt. Das Bestehen des Tests reduziert sich damit auf ein reines Auswendiglernen, ein tieferes Verständnis der Zusammenhänge ist nicht notwendig. Darüber hinaus werden staatliche Vorbereitungskurse angeboten. Im Hinblick darauf, welche Rechte mit einem deutschen Paß vergeben werden, sind die Hürden also nicht besonders hoch.
Leider sind Sie auf den zweiten Teil meiner Frage nicht eingegangen. Kanada verwendet z.B. ein Punkteschema, in dem Einwanderer nach den Kriterien Ausbildung, Sprachkenntnisse, Erfahrung, Alter, Nachweis eines Beschäftigungsverhältnisse und Anpassungsfähigkeit bewertet werden: http://www.cic.gc.ca/english/immigrate/skilled/apply-factors.asp
Für die Einwanderung müssen mindestens 67% der Maximalpunktzahl erreicht werden; die Tests z.B. für Sprachkenntnisse sind sehr streng. Darüber hinaus müssen ausreichende finanzielle Mittel nachgewiesen werden (10.000 CAD für eine Person).
Wäre ein solches System nicht auch für Deutschland sinnvoll, um genau die Einwanderer auszuwählen, die wir benötigen, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können?
Mit freundlichen Grüßen
Albrecht Klein
Sehr geehrter Herr Klein,
tut uns leid, dass wir im Dschungel des Einwanderungstests ihre Frage zum Punktesystem glatt übersehen haben.
Wir brauchen endlich ein modernes, den Erfordernissen einer globalisierten Weltwirtschaft entsprechendes Zuwanderungsrecht.
Dies bedeutet den Einstieg in die demographische Zuwanderung über die Einführung eines Punktesystems.
Das Punktesystem nach diesem Modell ist ein hochflexibles Steuerungsinstrument: Zuwanderer mit Bleibeabsicht können sich nach Maßgabe klarer Kriterien bewerben, die vom Einwanderungsland nach dessen eigenen Interessen festgesetzt und immer wieder neu den eigenen Bedürfnissen angepasst werden können.
Die Kanadier, aber auch die Australier haben beste Erfahrungen mit diesem System gemacht, ebenso die Briten. In Deutschland hingegen wurde es von der Union und den unionsgeführten Ländern als bloßes Instrument zur Öffnung von Einwandererströmen in die Sozialsysteme mißverstanden und solange bekämpft, bis es schließlich aus dem Zuwanderungsgesetz gestrichen werden mußte.
Ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild war schon von der "Unabhängigen Kommission Zuwanderung" unter Leitung von Rita Süssmuth vorgeschlagen und mit Abstrichen auch in den ersten Gesetzentwurf des Zuwanderungsgesetzes übernommen worden.
So enthielt das im Jahr 2002 von der damaligen rot-grünen Koalition beschlossene Zuwanderungsgesetzes zunächst in §20 AufenthG ein sog. Auswahlverfahren zur Steuerung der demografischen Zuwanderung (vgl. BGBl. 2002 Teil I vom 25. Juni 2002, S. 1946ff).
Mit dem damaligen §20 des Aufenthaltsgesetzes wollte der rot-grüne Gesetzgeber die Bundesregierung dazu ermächtigen, "/durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates die Bedingungen für die Teilnahme an dem Auswahlverfahren, die allgemeinen Kriterien für die Auswahl der Zuwanderungsbewerber sowie die Bewertung durch ein Punktesystem und Einzelheiten des Verfahrens festzulegen.
(...) Für die Auswahl der Zuwanderungsbewerber ist zumindest die Bewertung der folgenden Kriterien vorzusehen:/
1. Alter des Zuwanderungsbewerbers;
2. schulische und berufliche Qualifikation sowie die Berufserfahrung des Zuwanderungsbewerbers (...);
3. Familienstand des Zuwanderungsbewerbers,
4. Sprachkenntnisse des Zuwanderungsbewerbers (...)".
Leider hat die Union -- entgegen ihrer eigentlichen Beschlusslage aus dem Jahr 2001 -- unseren Vorschlag zu Fall gebracht.
Wir Grünen hatten uns -- auch in den 2002-2004 andauernden Verhandlungen um das Zuwanderungsgesetz -- immer wieder intensiv für ein Punktesystem zur demografischen Zuwanderung eingesetzt.
Hierbei waren uns zwei Punkte immer wichtig:
· Die Frage der Politischen Steuerung: Das letzte Wort sollte aus unserer Sicht beim deutschen Bundestag liegen. Das Auswahlverfahren selber sollte vom BAMF durchgeführt werden (nachdem das BAMF zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit gemeinsam eine Höchstzahl für die Zuwanderung im Auswahlverfahren festgesetzt hatte) Die diesem Verfahren aber zugrunde liegende Rechtsverordnung der Bundesregierung, sollte der Zustimmung des Bundestages bedürfen.
· Zum anderen war uns aus gleichstellungspolitischen Gründen z. B: aber auch der folgende Passus im damaligen §20 Abs. 3 AufenthG wichtig, wonach bei der Bewertung insbesondere der Bildungsvoraussetzungen und der beruflichen Qualifikationen "/Unterbrechung der Berufstätigkeit oder längere Ausbildungsdauer auf Grund der Wahrnehmung von Familienpflichten wie Kindererziehung oder häusliche Pflege keine nachteilige Bewertung zur Folge haben" sollte/". Zudem sollte "bei der Auswahl der Zuwanderungsbewerberinnen und Zuwanderungsbewerber ein den Bewerbungen entsprechender Anteil von Frauen und Männern" ausgewählt werden.
Infolge der Blockadehaltung bei der Union steht die Migrationspolitik in Deutschland heute immer noch ohne zentrales und flexibles Steuerungsinstrument da, während die Ab- und Auswanderung qualifizierter Kräfte kontinuierlich wächst und die Zuwanderung solcher Kräfte schrumpft.
Das im vergangenen Jahr mit dem EU-Richtlinienumsetzungsgesetz beschlossene minimale Herunterschrauben der Einwanderungshindernisse für Selbstständige und Hochqualifizierte ist bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein.
Es wäre endlich an der Zeit für einen migrationspolitischen Befreiungsschlag, der den Steuerungsbereich für Zuwanderung entschieden erweitert und die Abschottung beendet.
Mit der geltenden Gesetzeslage findet der globale Kampf um die klügsten Köpfe weiter ohne Beteiligung Deutschlands statt.
Mit freundlichen Grüßen
Büro Volker Beck