Frage an Volker Beck von Ursula N. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Beck,
die Überschrift Menschenrechte und humantiäre Hilfe hätte eigentlich besser zu meiner Frage gepasst. Ich habe gestern in den Abendnachrichten gehört, dass GRÜNE gegen die Verbindlichkeit der Patientenverfügung ist.
Die Richtigkeit dieser Meldung vorausgesetzt, besorgt mich diese Nachricht, da sich selber eine Patientenverfügung habe. Der Gedanke, dass etwas über 600 Personen in diesem Land darüber entscheiden wollen, ob ich selber für mein Lebensende etwas verfügen kann, macht mir Angst.
Es kann einfach nicht angehen,dass mir die Bestimmung meines Todes von mir völlig fremden Menschen aus der Hand genommen wird. Dazu hat kein Politiker auf der Welt das Recht. Dies geht eindeutig in die ganz privaten Angelegenheiten einer Person und ist nicht durch Gesetze und andere Regularien zu fixieren.
Ich verstehe, dass mit Patientenverfügungen u. U. auch Missbrauch getrieben werden kann - das kann er mit politischen Ämtern auch und dennoch werden diese nicht zur Diskussion gestellt.
Können Sie mir mitteilen, wie nun der aktuelle Stand ist? Muss ein Arzt meine Verfügung beachten oder werde ich von der Politik dazu verdonnert, evtl. elendig dahinzusiechen? Palliativmedizin wirkt nicht überall. Wäre es als Entscheidungfindung nicht sinnvoll, dass die Entscheidungsträger einige Zeit vor Ort wären und z. B. Knochenkrebspatienten im Endstadium erleben könnten?
Ihrer Nachricht sehe ich gern entgegen. Vielen Dank und freundliche Grüße.
Ursula Nurkowski
Sehr geehrte Frau Nurkowski,
derzeit wird im Bundestag debattiert, wie ein Gesetz zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen ausgestaltet werden kann. Das Thema Selbstbestimmungsrecht am Lebensende reicht tief in den Bereich individueller Wertvorstellungen jedes einzelnen Menschen, ist von persönlichen Erfahrungen geprägt und hat auf die Entscheidungsfreiheit eines Menschen an seinem Lebensende große Auswirkungen. Gemeinsamkeiten und Differenzen lassen sich hier nicht entlang der sonst üblichen politischen Konfliktlinien festmachen. Die Fraktionen des Bundestags haben deshalb den Fraktionszwang in dieser Frage aufgehoben. Innerhalb der grünen Fraktion gibt es unterschiedliche Auffassungen zu diesem schwierigen Thema.
Grundlegend lässt sich feststellen: Das Selbstbestimmungsrecht gehört zum Kernbereich der grundgesetzlich geschützten Würde und Freiheit des Menschen. Auch bei medizinischen Eingriffen hat niemand das Recht, gegen den Willen eines Patienten oder einer Patientin eine Behandlung durchzusetzen; ansonsten macht er oder sie sich strafbar.
Schwierig wird es, wenn eine Einwilligungsfähigkeit nicht mehr gegeben ist. Diese Situation stellt hohe ethische Anforderungen an alle Beteiligten. Um Selbstbestimmung auch in dieser Situation zu ermöglichen, kann unter anderem eine Patientenverfügung verfasst werden. Es herrscht unter Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern sowie Patientinnen und Patienten jedoch große Unsicherheit, wie mit Patientenverfügungen im klinischen Alltag umgegangen werden soll. Wir Grünen haben deshalb das gemeinsame Ziel, das Selbstbestimmungsrecht am Lebensende zu stärken und Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen.
Die Unterschiede in den Auffassungen finden sich in der grundlegenden Frage nach der Gültigkeit von Patientenverfügungen: Soll sie nur eingeschränkt gelten? Oder soll der einmal zum Ausdruck gebrachte Wille immer gelten?
Die einen sagen: Ja, wenn ein aktuell einwilligungsfähiger Mensch lebensverlängernde Maßnahmen ablehnen kann, muss dieser Wille auch geachtet werden, wenn er im Voraus für eine bestimmte Situation geäußert wurde, in der keine Äußerungsfähigkeit mehr gegeben ist. Achtet man den Willen nämlich nur im Falle eines tödlichen Verlaufs des Leidens, dann bedeutet das im Umkehrschluss eine Zwangsbehandlung, die nicht erlaubt ist. Voraussetzung ist natürlich, dass die in der Verfügung beschriebene Situation mit der konkreten Situation übereinstimmt und es keine Anzeichen einer Willensänderung gibt.
Andere sagen: Nein, denn im Fall der Einwilligungsunfähigkeit darf eine Patientenverfügung nicht gleichgesetzt werden mit der bewussten Erklärung des Patienten oder der Patientin in einer aktuellen Behandlungssituation. Eine solche Entscheidung kann nicht im Voraus gefällt werden, weil die Betroffenen gar keine realistischen Voraussagen machen können, wie ihr Befinden, wie die Rahmenbedingungen tatsächlich sein werden, wenn der in der Patientenverfügung vorausgesagte Fall eintritt. Außerdem können sie in der konkreten Situation die Aussagen des behandelnden Artzes nicht mehr in ihre Entscheidung einbeziehen. Ein alleiniges mechanistisches Abstellen auf einen in der Vergangenheit niedergelegten Willen kann dazu führen, dass im Ergebnis dem Patientenwillen sogar zuwider gehandelt wird.
Diese Argumente müssen in den nächsten Monaten klug gegeneinander abgewogen werden. Wie auch immer der Deutsche Bundestag sich entscheidet, für uns steht fest:
Unabhängig davon, wie sich einzelne grüne Abgeordnete in der Frage der Regelung der Patientenverfügung engagieren, sind sich alle einig, dass die Rahmenbedingungen für ein Sterben in Würde verbessert werden müssen. In dem von Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Antrag „Leben am Lebensende“ (Drs.-Nr. 16/5134 bzw. 16/9942neu) setzen wir uns für eine individuelle Sterbebegleitung mit einem hohen Maß an Selbstbestimmung für die Betroffenen ein. Dazu gehören für uns vor allem die Stärkung der Palliativmedizin und Schmerztherapie sowie die Weiterentwicklung der Hospizbewegung. Die Sterbebegleitung muss darauf ausgerichtet sein, vor allem durch die Linderung von Schmerzen und anderen Krankheitsbeschwerden, den PatientInnen so viel Lebensqualität wie möglich zu erhalten, um ihnen auf diese Weise auch ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen. Gerade schwerstkranken Menschen muss nicht nur die bestmögliche medizinische Hilfe, sondern auch die bestmögliche psychologische bzw. psychotherapeutische Unterstützung zuteil werden.
Liebe Frau Nurkowski, niemand ist gegen eine Verbindlichkeit von Patientenverfügungen. Sondern es wird nach einem Weg gesucht, wie Missbrauch und Missverständnisse vermieden werden können, gerade weil es um so eine weitreichende Entscheidung geht. Außerdem müssen Schutzregelungen eingezogen werden, damit die neuen gesetzlichen Regelungen nicht auch automatisch für Menschen gelten, die gar keine Patientenverfügung haben, oder die zwar eine Patientenverfügung wollen, aber keine, die um jeden Preis verbindlich ist, sondern bei der sie wollen, dass nicht nur ein Blatt Papier entscheidet, sondern dazu auch noch ein Mensch, der ihnen nahe steht und dem sie vertrauen. Und es muss verhindert werden, dass nicht ein indirekter Zwang zur Patientenverfügung entsteht, so dass z.B. nur noch Menschen in Pflegeheimen aufgenommen werden, die eine Patientenverfügung geschrieben haben...
Mit freundlichen Grüßen
Büro Volker Beck