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Volker Beck
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Frage von Johannes G. •

Frage an Volker Beck von Johannes G. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Hallo Herr Beck -
auf welche Weise kann die Grüne Partei Ihrer Meinung nach zur Minderung der Arbeitslosigkeit beitragen, falls sie wieder Mit-Regierungsverantwortung tragen sollte? Bisher waren alle Versuche ja nicht so überzeugend... und wenn man meint, das läge an der Blockadehaltung des Bundesrates - was sollte sich daran ändern? Die wäre dann doch immer noch da.

mit freundlichen Grüßen

Johannes Gabriel

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Gabriel,

die bisherigen Arbeitsmarktreformen verbessern die Arbeitsvermittlung, die Betreuung und Beratung und die Förderung der Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Für die Beendigung des Phänomens der Massenarbeitslosigkeit sind dies notwendige Schritte. Sie reichen jedoch nicht aus. Darüber hinaus ist ein Beschäftigungswachstum notwendig, das neue Chancen am Arbeitsmarkt eröffnet und mit unseren Vorstellungen einer gerechten und zukunftsfähigen Gesellschaft vereinbar ist. Es ist deshalb wichtig, sich zu fragen, wo neue Beschäftigungschancen liegen und wie sie erschlossen werden können. Dabei muss es für Deutschland einerseits um hochqualifizierte Arbeitsplätze in Wissenschaft, Forschung und wissenszentrierten Dienstleistungen gehen. Andererseits ist es aber auch dringend erforderlich, neue Beschäftigungschancen für diejenigen zu schaffen, die besonders von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Für Menschen mit keiner oder einer veralteten Berufsausbildung, für Alleinerziehende und für Ältere ist das Risiko, dauerhaft keine Beschäftigung zu finden, mehr als sechsmal so hoch wie für Menschen mit einer akademischen Ausbildung. Dieses erhöhte Risiko steigt seit 30 Jahren immer weiter. Unsere Gesellschaft steht mit dem demographischen Wandel, der ökologischen Herausforderung, der zunehmenden Wissensorientierung, der digitalen Entwicklung und dem medizinischen Fortschritt vor großen gesellschaftlichen Herausforderungen. Wir wollen diese als Chancen nutzen.

*Ökonomie und Ökologie verbinden*

Bündnis 90 / Die Grünen haben Ökonomie und Ökologie als erste zusammen gedacht und zusammen gebracht. Mit unserer Politik der ökologischen Modernisierung haben wir hunderttausende neue Arbeitsplätze geschaffen. Erneuerbare Energien sind viel arbeitsplatzintensiver als die Atom- oder Kohleenergie. Bereits heute finden mehr als 130.000 Menschen Arbeit im Bereich Erneuerbare Energien. Deutschland ist bei den erneuerbaren Energien weltweit führend. Durch die Entwicklung neuer Technologien im Energiebereich kann Deutschland Produkte, Dienstleistungen und Wissen exportieren. Wir wollen mehr dieser zukunftsfähigen Arbeitsplätze schaffen. Denn es ist ja kein Geheimnis, dass wir in vielen Produktionsbereichen angesichts der niederigen Herstellungskosten in Ländern wie z.B. China auf Dauer nicht konkurrenzfähig bleiben können. Wir brauchen daher auch mehr Investitionen in Forschung und Bildung, um Innovationen vorantreiben zu können.

*Lohnnebenkosten stabilisiert*

Durch die Reformen in den sozialen Sicherungssystemen haben wir den Anstieg der Ausgaben gebremst. Ohne die Ökosteuer wäre der Beitrag zur Rentenversicherung um 1,7 Prozentpunkte höher.

*Die Forschung gestärkt und Existenzgründung erleichtert*

Die Förderung der Forschung durch den Bund haben wir von 1998 bis 2004 um fast 40 Prozent gesteigert. So haben wir unseren Teil dazu beigetragen, den Anteil der Mittel für Forschung und Entwicklung im gesamten Bruttoinlandsprodukt auf 2,5 Prozent zu steigern. Hier werden die Grundlagen für die Arbeitsplätze der Zukunft gelegt. Die Exzellenzinitiative fördert die Forschung an den Hochschulen und setzt Anreize, in Exzellenzclustern über die Grenzen der Institutionen hinaus zu denken und zu forschen. Aber wir haben nicht nur an die öffentlich finanzierte Forschung gedacht, sondern auch die Rahmenbedingungen für forschungsintensive Unternehmen verbessert: Wir haben mit dem Dachfonds für Venture Capital, den Startfonds- und dem High-Tech-Gründerfonds die Bedingungen für "Venture Capital" verbessert, und Start-ups gefördert. Für Existenzgründer gibt es auch mehr Spielraum beim Aufbau ihres Unternehmens. Für sie ist es seit 2004 möglich, Arbeitnehmer anstatt wie bisher zwei Jahre nun vier Jahre lang befristet einzustellen. Damit wird Existenzgründern die Entscheidung zu Einstellungen erleichtert und sie können flexibel auf die Entwicklung ihres Unternehmens reagieren.

*Haushaltsnahe Minijobs und Midijobs eingeführt*

Wir haben die geringfügige Beschäftigung reformiert. Haushaltsnahe Minijobs haben wir durch ein unbürokratisches Meldeverfahren und stark verringerte Sozialversicherungsbeiträge attraktiv gemacht. Von rund 25.500 Jobs in Haushalten vor der Reform im April 2003 ist die Zahl der haushaltsnahen Minijobs bis zum Jahresende 2004 auf über 100.000 angestiegen. Auch die gewerblichen Minijobs sind stark angewachsen. Die mangelnde soziale Absicherung der Minijob Inhaber bleibt allerdings die Achillesverse dieser Regelung. Mit der Einführung der Midijobs haben wir dafür gesorgt, dass die Sozialversicherungsbeiträge oberhalb der Grenze von 400 € und bis zur Grenze von 800 € nur langsam ansteigen. Damit wurde die Teilzeitmauer eingerissen und der Einstieg in Beschäftigung erleichtert. Nach ersten Statistiken der BA gab es 8 Monate nach Einführung der Midijobs bereits 670.000 solcher Beschäftigungsverhältnisse. Dreiviertel der Midijobs sind von Frauen besetzt, sie sind mehrheitlich in Klein- und Mittelbetrieben im Dienstleistungssektor entstanden und werden oft als Teilzeittätigkeit ausgeübt. Die Midijobs erhöhen die Beschäftigung in arbeitsintensiven Dienstleistungen und ermöglichen Frauen eine erhöhte Beteiligung am Arbeitsmarkt, bei gleichzeitiger voller sozialer Sicherung. Das starke Wachstum der Minijobs und der Midijobs seit der Reform im April 2003 dokumentieren eindrucksvoll, dass die Entlastung von Abgaben besonders im Niedriglohnbereich erfolgreich Beschäftigung schaffen und Schwarzarbeit in legale Beschäftigung umwandeln kann.

*Wie geht es in dem Bereich weiter?*

Deutschland hat großen Aufholbedarf im Bereich der Dienstleistung, insbesondere der personen- und haushaltsnahen Dienstleistungen. Die Gesundheitswirtschaft ist eine der wichtigen Wachstumsbranchen der Zukunft. Dort können bis 2020 rund 600.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Auch nachhaltiger Tourismus wird ein zunehmend wichtiger Faktor für den lokalen Arbeitsmarkt. Durch neue Wohnformen und veränderte Bedarfe profitiert auch das örtliche Handwerk von einer alten Gesellschaft und ihren neuen Bedürfnissen. Wenn wir diese Beschäftigungsfelder erschließen wollen, ohne wie von CDU/CSU und FDP gefordert einen Niedriglohnsektor zu installieren, stellt sich unweigerlich die Frage nach einer beschäftigungsfreundlichen Ausgestaltung der Sozialversicherungssysteme. Für die Nutzung der brachliegenden Potentiale müssen wir in der Finanzierung unseres Sozialstaats umsteuern. Neben einer gerechteren Verteilung der Beiträge zur Sozialversicherung durch die Bürgerversicherung müssen wir in Zukunft die soziale Sicherung stärker über Steuern finanzieren. Wir wollen dabei das Gesamtvolumen von Abgaben und Steuern nicht anheben, sondern das Verhältnis der beiden neu bestimmen. Wir wollen weg von Abgaben auf Arbeit hin zu Steuern und einer stärkeren Belastung höherer Einkommen. Das schafft Arbeit.

Die hohen Lohnnebenkosten erweisen sich insbesondere dort als Bremse für neue Arbeitsplätze, wo außerhalb der klassischen Industrie gearbeitet wird. Überall dort, wo der Mensch im Mittelpunkt des Schaffens steht, führen die hohen Lohnnebenkosten regelmäßig dazu, dass Arbeit schwarz durchgeführt wird oder Arbeitsplätze gar nicht erst entstehen. Im internationalen Vergleich sind die Sozialabgaben auf Arbeit in Deutschland extrem hoch. Die Belastung mit Steuern ist dagegen fast so niedrig wie in den USA. Im Gegensatz zu den skandinavischen Ländern, Großbritannien und den Niederlanden liegt der Anteil der Beschäftigten im Dienstleistungssektor in Deutschland denn auch um rund 10 Prozentpunkte niedriger. Deshalb müssen wir bei den unteren Einkommen Lohnnebenkosten gezielt reduzieren und dabei das Niveau der sozialen Sicherung für die Beschäftigten erhalten. Der Keil zwischen Brutto- und Nettoeinkommen sollte in diesem Bereich verkleinert werden, und zwar insbesondere dort wo er existenzsichernde Arbeit gefährdet, am unteren Ende des Einkommensspektrums. Für Alleinerziehende, für Teilzeitbeschäftigte und für Geringqualifizierte können auf diese Weise neue Erwerbsmöglichkeiten erschlossen werden. Die Senkung der Lohnnebenkosten im unteren Einkommensbereich ist ein effektiver Beitrag zur Beschäftigungsförderung mit positiven Auswirkungen auf Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage. Vom Bruttolohn bleibt mehr beim Arbeitnehmer, und Arbeitgeber tun sich leichter, neue Arbeitskräfte einzustellen. Das ist durch eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge bei kleinen Einkommen möglich (Progressiv-Modell). Eine Alternative dazu ist die Einführung eines Freibetrags, der von Sozialversicherungsabgaben ganz freigestellt wird (Freibetragsmodell). Beides entlastet schwerpunktmäßig kleine Einkommen.

*Progressiv-Modell*
* Ähnlich wie bei der Steuerprogression soll in Zukunft gelten: Wer wenig verdient, muss auch prozentual weniger Sozialabgaben bezahlen.
* Für alle Einkommen bis 2.000 EUR sollen die Beitragssätze langsam ansteigen.
* Erst bei 2.001 EUR Bruttoeinkommen würden die jetzt schon bei einem Bruttoeinkommen von 801 EUR fälligen vollen 42% Sozialversicherungsbeiträge einsetzen.
* Damit wären deutliche Entlastungen in der Abgabenlast auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite verbunden. Bei einem Bruttoeinkommen von 800 EUR müssten beide zusammen 17 Beitragspunkte weniger entrichten und hätten zusammen 154 € weniger Belastung.
* In unserem Progressiv-Modell sind alle Arbeitnehmer vom ersten Euro an Mitglied in der Kranken-, in der Renten-, in der Pflege- und in der Arbeitslosenversicherung.
* Die bisherige Mini-Job Regelung würde in unserem Modell aufgehen. Bisherige Mini-Jobber wären in Zukunft vollständige Mitglieder in den Sozialversicherungen. Damit wäre ein entscheidender Nachteil der jetzigen Minijob-Regelung beseitigt, nämlich die mangelhafte soziale Absicherung.

*Freibetragsmodell*

* Ähnlich wie beim Grundfreibetrag in der Einkommenssteuer soll in Zukunft gelten: Für die ersten Euro Bruttoverdienst müssen keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlt werden.
* Für alle Arbeitnehmer bleiben die ersten 250 EUR Bruttoeinkommen pro Monate ohne Beitragspflicht (Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge).
* Das entlastet alle Arbeitnehmer, die Entlastungswirkung ist bei kleinen Einkommen aber am größten.
* Alle Arbeitnehmer vom ersten Euro an Mitglied in der Kranken-, der Renten-, in der Pflege- und in der Arbeitslosenversicherung.
* Die bisherige Mini-Job Regelung würde im Freibetragsmodell aufgehen.

Beide Modelle verringern die Abgaben schwerpunktmäßig bei kleinen Einkommen. Dadurch können Arbeitgeber mehr Arbeitsplätze und neue Dienstleistungen anbieten. Neue Beschäftigung entsteht. Für Arbeitnehmer ist es einfacher, den Einstieg in Beschäftigung zu finden und ein Gehalt zu bekommen, das die Existenz sichert. Das Freibetragsmodell erfordert eine Gegenfinanzierung von rund 36 Mrd. EUR. Der Finanzierungsbedarf für das Progressivmodell wäre deutlich geringer. Ein Freibetrag wirkt beschäftigungspolitisch zwar ähnlich gut, entlastet aber neben den kleinen auch die höheren Einkommen. Das Progressiv-Modell konzentriert die Entlastung dagegen dort, wo sie notwendig ist und beschäftigungspolitische Wirkung entfaltet. Durch diese Konzentration sinkt auch der Gegenfinanzierungsbedarf. Die Vereinfachung des Steuersystems und die Anhebung des Spitzensteuersatzes stellen die notwendigen Mittel zur Verfügung.