Frage an Volker Beck von Henry W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Beck,
das Jugendfestival Christival ist nun vorbei. 16.000 jugendliche Teilnehmer haben ein fröhliches Glaubensfest gefeiert und haben - im Gegensatz zu manchen Christival-Gegnern - einen friedlichen und freundlichen Eindruck in Bremen hinterlassen.
Was ist nun - nach Ihrer teilweise massiven Kritik im Vorfeld des Christival - Ihr persönliches Fazit dieser Veranstaltung? Haben sich Ihre Vorbehalte, es handele sich hier um "Fundamentalisten" bestätigt?
Mit freundlichen Grüßen
Henry Wilker
Sehr geehrter Herr Wilker,
wieso wehren Sie sich immer gegen den Begriff „Fundamentalisten“? Der Begriff geht zurück auf Reformbewegungen im Protestantismus in den USA Anfang des 20. Jahrhunderts und wurde mitunter auch als Selbstbezeichnung geführt. Der Begriff selbst enthält nicht notwendigerweise ein Werturteil. Die folgende Beschreibung aus wikipedia.de erscheint uns durchaus als zutreffende Beschreibung vieler Evangelikaler:
Wesentliches Merkmal des protestantischen Fundamentalismus ist die absolute Autorität der wörtlich oder in einer bestimmten Tradition ausgelegten Bibel (Biblizismus, fundamentalistisches Schriftverständnis). Jede Form der historisch-kritischen Methode der Bibelkritik wird leicht als Angriff auf den christlichen Glauben verstanden, da die Bibel dadurch in Frage gestellt werden könnte. Für die protestantischen Fundamentalisten ist die wörtliche Irrtumslosigkeit der Bibel nicht nur in religiösen, sondern auch in geschichtlichen und naturwissenschaftlichen Belangen eine wesentliche und unverzichtbare Glaubensgrundlage – das unterscheidet ihre Bibelauslegung von der anderer Christen, die die Bibel ebenfalls als Gottes Wort ansehen, aber moderne Methoden der Exegese nicht prinzipiell ablehnen …Auch Homosexualität wird von den christlichen Fundamentalisten abgelehnt, wie von den meisten Evangelikalen auch. Dieses Klima führt dazu, dass viele Organisationen der Ex-Gay-Bewegung, welche vor allem Hilfe bei umstrittenen und in der Mehrzahl wenig erfolgreichen Umorientierungen von einer homosexuellen zu einer heterosexuellen Identität anbieten, aus dem evangelikalen Umfeld kommen.
Finden Sie sich darin nicht wieder, Herr Wilker? Zumindest beschreibt diese Definition recht genau den Tenor vieler Schreiben, die unser Büro in den letzten Monaten zum Thema Bibel, Christival und Homosexualität bekommen hat.
Ob die Mehrheit der Teilnehmer des Christival christliche Fundamentalisten im Sinne der o.g. Definition sind können wir nicht beurteilen, denn von unserem Büro hat niemand am Christival teilgenommen. Was mit dem Begriff selbstverständlich nicht gemeint ist, ist eine Gleichsetzung mit islamistischen Fundamentalisten, die im Namen der Religion auf Gewalt und Terror zurückgreifen. Eine Übertragung des aus dem christlich-protestantischen Bereich stammenden Begriffs „Fundamentalismus“ auf bestimmte Strömungen im Islam hat erst vor ein paar Jahrzehnten stattgefunden. Gewaltbereitschaft ist an sich kein Definitionsmerkmal von Fundamentalismus.
Insgesamt sind wir enttäuscht davon, wie auf dem Christival mit der Wahrhaftigkeit umgegangen wurden: In der Bibel steht: Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel (Matth. 5, 37). Und doch, ein klares Ja oder ein klares Nein war es nicht, was an Aussagen zur Heilungsbedürftigkeit von Homosexualität von den Veranstaltern des Christival vor und während des Christival zu hören war.
Das umstrittene Seminar wurde abgesagt. Dennoch unterstütze man bei verschiedenen Gelegenheiten die homosexuellenfeindliche Propaganda der OJC und gab dieser Organisation mit einer Pressekonferenz beim Christival ein Forum und die Gelegenheit ihre Propaganda zu verbreiten. Faktisch hat man damit sowohl die Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend (aej), sowie die Schirmherrin hintergangen, die sich von diesen Konzepten distanziert hatten.
Der Christival-Vorsitzende Roland Werner laut taz, vom 2.5. 2008, in seinem Aufsatz „Homosexualität und Lebenserneuerung“ geschrieben zu haben, homosexuelle Gefühle seien „der Versuch, eine Persönlichkeitsstörung zu überwinden“. Doch genau so steht es in seinem Aufsatz auf Seite 151 (in dem Buch „Was auf dem Spiel steht. Diskussionsbeiträge zu Homosexualität und Kirche“, herausgegeben von Barbara Kittelberger/Wolfgang Schürger/ Wolfgang Heilig-Achnek, Claudius-Verlag 1993). In dem Aufsatz schrieb er außerdem: „Homosexuelle Gefühle sind Symptome einer tieferliegenden Identitätskrise“ (ebenfalls S. 151) und skizzierte „Schritte der Überwindung“ (S. 155). Von ihm sind aber auch noch drastische Worte dokumentiert, z.B. „Der homosexuell lebende Mensch steht unter Gottes Zorn.“ (Roland Werner: „Der Konflikt des homosexuellen Menschen“, Vortrag auf einer europäischen Konferenz evangelischer Seelsorger vom 19. bis 22. Mai 1982 in Haamstede (Niederlande). Idea – Informationsdienst der Evangelischen Allianz, Dokumentation Nr. 24/82). In dem Vortrag propagierte Werner eine „geistliche Therapie“, die folgende Aspekte umfasse: „Als erstes die Anerkenntnis, daß homosexuelle Handlungen falsch sind und Gott nicht gefallen, wie die Schrift deutlich macht. Das führt direkt zur Umkehr, die eine wesentliche Voraussetzung für Veränderung ist. (…) Zweitens wird es Gebet und Handauflegung geben mit dem Ziel der Vergebung der homosexuellen Handlungen und der inneren Heilung aller Ereignisse in der Vergangenheit, die in der Bildung homosexueller Neigungen mitgewirkt haben. Drittens ist die Gemeinschaft von entscheidender Bedeutung. Menschliche Freundschaft und Gebetsrückhalt werden vonnöten sein, um die Unterstützung zu geben, homosexuelle Begegnungen und Reize zu meiden und sie durch nicht-homosexuelle Beziehungen zu ersetzen.“
In einem idea-Interview vom 28.04.2008 sagt er nun, weder das Christival noch die Organisationen „Wüstenstrom“ und „Offensive Junger Christen“ (OJC) „stellen sich in irgendeiner Weise gegen homosexuell empfindende Menschen auf. Das ist eine üble Unterstellung (…)“ Die antihomosexuellen Aussagen von Ex-Gay-Organisationen wie OJC sind jedoch hinlänglich dokumentiert. Zahlreiche Belege finden Sie in den früheren Antworten auf abgeordnetenwatch. Die Organisationen postulieren ein Recht auf Veränderung, haben aber keinen Ansatz zur Hilfe oder Bestärkung von Homosexuellen, die sich weder verändern wollen oder bei denen sich nach Durchlaufen der Programme dieser Organisationen erweist, dass sie sich nicht verändern können. Statt sich von diesen Gruppen und ihren fragwürdigen „Therapien“ zu distanzieren, erklärt sich der Christival-Vorsitzende mit ihnen solidarisch: „Die tun einen so wichtigen seelsorgerlichen Dienst stellvertretend für alle“. Auch die Schirmherrschaft der Bundesjugendministerin von der Leyen versteht Werner offenbar als Akt der Solidarität mit diesen Gruppierungen. Genau das war zu befürchten und genau deswegen hatten wir die Förderung durch die Bundesregierung kritisch beleuchtet.
Ich bedaure sehr, dass es von Seiten des Christival keinerlei Auseinandersetzung gab mit dem Schaden, der homosexuellen Jugendlichen mit sogenannten Reparationstherapien zugefügt werden kann. Daher bleibt für uns das Fazit, dass die Kritik richtig und notwendig war. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung von ihr mitfinanzierte Veranstaltungen in Zukunft besser prüft. Dabei geht es nicht darum, Veranstaltungen wie das Christival oder auch einzelne Veranstaltungen zu verbieten. Ein jeder darf glauben was er oder sie will, Religions-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind zu gewährleisten. Aber Steuermittel müssen hierfür tabu sein.
Büro Volker Beck