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Volker Beck
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Frage von Gerrit Hohage, D. •

Frage an Volker Beck von Gerrit Hohage, D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Beck,

ich bin Pfarrer der Ev. Landeskirche in Baden, in der unterschiedliche Frömmigkeitsformen trotz mancher Meinungsunterschiede zu einem fruchtbaren Miteinander gefunden haben. Voraussetzung dafür war die (selbstkritische) Wahrnehmung der Schmerzpunkte des Andersdenkenden.

Ich habe zum Thema Christival an Sie drei Fragen:
1.) Sie betonen (u.a. in Ihrer „Kleinen Anfrage“ an die Bundesregierung) zu Recht, dass Homosexualität 1992 aus der ICD-10 gestrichen wurde. Ist Ihnen bekannt, dass stattdessen das Störungsbild der „ich-dystonen Sexualorientierung“ (F66.1) in die ICD-10 aufgenommen wurde, also der Fall, dass jemand mit seiner homosexuellen Orientierung unglücklich ist? Können Sie mit Sicherheit ausschließen, dass das von Ihnen beanstandete Seminar nicht lediglich diese Zielgruppe im Auge hatte?

2.) Ihr Einspruch geschah im Rahmen Ihrer Tätigkeit als Sprecher für Menschenrechtspolitik Ihrer Fraktion. An dem Konflikt sind drei verschiedene Minderheiten beteiligt: a) die homosexuell orientierter Menschen, b) die christlich-evangelikal orientierter Menschen, c) die ehemals homosexueller Christen (die wiederum eine Minderheit innerhalb a) und b) bildet). Sie selbst gehören einer dieser Minderheiten (a) exklusiv an. Können Sie mit Sicherheit ausschließen, dass dies zu einer Befangenheit und zum Verlust der durch Ihr Amt gebotenenen Neutralität führt?

3.) Nach unserer Erfahrung ist die Überwindung von diffamierenden Pauschalurteilen (wie „Homosexualität ist eine Krankheit“ und „Evangelikale sind Fundamentalisten“) der Schlüssel zu einer fruchtbaren Meinungspluralität. Da gibt es m.E. beidseitig Lernbedarf. Nun gibt es faktisch Menschen, in deren Biographie eine sexuelle Umorientierung stattgefunden hat und positiv als „Heilung“ erlebt wurde. Wenn das "Dass" und "Wie" nicht pauschal, sondern inklusiv formuliert wird (die Möglichkeit einer anderen vita also eingerechnet wird), handelt es sich Ihres Erachtens auch dann noch um Diffamierung?

MfG
Dr. G. Hohage

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Dr. Hohage,

Kritik ist kein Angriff auf die Meinungsfreiheit, sonder ihr Ausdruck. Schmerzgrenzen können nicht alleine dadurch überschritten werden, dass man überhaupt Kritik übt.

Zur Ihren Fragen:

1. Ich empfehle Ihnen eine genauere Lektüre der Diagnosegruppe F66 "Ich-dystone Sexualorientierung", bevor Sie diese für sich in Anspruch nehmen. Schon die Präambel zur Diagnosegruppe F66 formuliert eindeutig, das nicht die sexuelle Orientierung die Störung darstellt, sondern das ich-dystone Erleben derselben. Des Weiteren beschränkt sich F66 nicht auf Homosexualität, sondern umfasst auch Heterosexualität und Bisexualität.

Die ich-dystone Sexualorientierung wird gerade bei jungen Homosexuellen auch durch die gesellschaftliche Ablehnung, die diese noch immer erfahren, hervorgerufen. Das Seminar, das auf dem Christival angeboten wurde, ist letztlich auch Ausdruck dieser Ablehnung. Würde im Sinne der christlichen Nächstenliebe ein Seminar angeboten für die Zielgruppe der Personen mit einer ich-dystonen Sexualorientierung, so müsste dieses darauf abzielen, dass diese Personen ihre eigene (und offensichtlich Gott gewollte) Sexualität annehmen. Alles andere würde die ich-dystone Störung nur verstärken.

Eine Umwandlung der (aus der Sicht von Organisationen wie Wüstenstrom, ich-dystonen) homosexuellen Empfindungen in (die dann natürlich dystone) heterosexuellen Empfindung ist (wir wiederholen uns) wissenschaftliche Scharlatanerie.

Die Diagnosegruppe F66 taugt nicht dazu, um quasi durch die Hintertür der ich-dystonen Sexualorientierung Homosexualität zu pathologisieren. (vgl. auch
http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2008/fr-icd.htm?gf60.htm+)

2. Herr Beck hat kein Amt inne. Er gehört weder der Exekutive noch der Judikative an. Als Bundestagsabgeordneter hat er ein Mandat innne und ist Vertreter des ganzen Volkes weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen.
Im übrigen: Sie haben die Minderheit der homosexuellen Christen vergessen, die unter der Ablehnung durch b) leiden. Aber im Ernst: Worin sollte denn die Befangenheit von Herrn Beck liegen? Darin, daß er sich für die Menschenrechte einsetzt? Menschenrechtspolitk ist keine neutrale Politik. Folgt man ihrer Argumentation, so gilt der Vorwurf der Befangenheit natürlich auch für b) und c). Und natürlich gehört Herr Beck a) auch nicht exklusiv an.

3. Das Wort „Fundamentalismus“ geht ja sogar auf die evangelikalen Bewegungen zurück. Wir möchten einmal „Wikipedia“ zu beiden Begriffen zitieren: „Das relativ junge Wort evangelikal ist heute ein feststehender Ausdruck für ein in seinem Selbstverständnis auf besondere Weise bibeltreues protestantisches Christentum geworden, das sich von Liberalismus, Säkularismus, aber meist auch von liturgisch orientierten nichtprotestantischen Kirchen abgrenzt“. …. Fundamentalismus ist allgemein gesehen eine Überzeugung, die sich zu ihrer Rechtfertigung auf eine Grundlage beruft, die auf einer Letztbegründung beruhe und absolut wahr sei“.

Das Homosexualität nicht geheilt werden kann und auch nicht muss ist Stand der Forschung.
Wir sehen daher den Lernbedarf eher auf ihrer Seite.

Der Hintergrund Ihrer Frage würde mich aber schon interessieren: Gibt es eine Stellungnahme einer der von Ihnen angeführten Organisationen, die ein erfülltes homosexuelles Leben in Übereinstimmung mit dem christlichen Glauben für möglich halten und sich deshalb für die Gleichberechtichtigung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe einsetzen?

Mit freundlichen Grüßen

Büro Volker Beck