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Volker Beck
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Frage von Stefan S. •

Frage an Volker Beck von Stefan S. bezüglich Familie

Sehr geehrter Herr Beck,

in der Fragestunde im Bundestag vom 13. Februar haben Sie ausgesagt, dass das Seminar von wuestenstrom e.V. „Tabuthema: Sexueller Missbrauch an Jungen“ gegebenenfalls dem Jugendschutz widerspreche, da es sich zum einen um eine „Homoheilungsorganisation“ handle und weil wuestenstrom den sexuellen Missbrauch als eine Ursache von Homosexualität betrachte.

Dazu meine Fragen: Inwiefern und auf welcher Grundlage könnte ein Seminar bei einem christlichen Mitarbeiterkongress dem Jugendschutz widersprechen? Welche zusätzlichen rechtlichen Grundlagen könnten herangezogen werden, um zur Beurteilung von Gefährdungen im Sinne des Jugendschutzgesetzes zu gelangen?

Auf welcher Grundlage behaupten Sie, dass wuestenstrom den sexuellen Missbrauch als eine Ursache von Homosexualität ansieht oder bezeichnet? Tatsache ist, dass wuestenstrom, bzw. Markus Hoffmann als Gründer und Vorstandsvorsitzender des wuestenstrom e.V. zu keinem Zeitpunkt diese Korrelation behauptet hat. Im Gegenteil hat er sich zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten explizit dagegen ausgesprochen, von einer solchen Korrelation insbesondere bei männlicher Homosexualität auszugehen.

Mit freundlichen Grüßen,
Stefan Schmidt
wuestenstrom e.V.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schmidt,

Dass Wüstenstrom eine ursächliche Beziehung zwischen Homosexualität und sexuellem Missbrauch sieht, entnehme ich Ihrer Homepage, wo im Schwerpunkttext "Missbrauch" unter "2.2. Die Folgen" in einem Spiegelstrich "Entwicklung von homosexuellen Neigungen" genannt wird.
Quelle: http://www.wuestenstrom.de/index.dhtml/4647bd8e8b139416009u/-/deDE/-/CS/-/news/schwerpunkte/news/2007/200707/Missbrauch

Wenn sie dies inzwischen anders sehen, empfehle ich Ihnen, dies dort zu ändern.
Ich räume ein, dass sich Wüstenstrom in seiner Darstellung von Homosexualität geschickter anstellt als andere Ex-Gay-Gruppen. Die Stoßrichtung wird jedoch auch dann deutlich, wenn statt von "Umpolung" von "Veränderung" die Rede ist.

Dass - wie verschiedentlich beteuert - Wüstenstrom-Therapien ergebnisoffen seien und dass sie Homosexuelle respektieren würden, halte ich angesichts anderer Aussagen nicht für überzeugend. Ginge es wirklich um Wahlfreiheit, wie jemand glücklich werden will, stellt sich die Frage, warum von Wüstenstrom stets nur Homosexualität problematisiert wird und Therapien ersonnen werden, die angeblich zur Abnahme homosexueller und zur Zunahme heterosexueller Empfindungen führen. So ist in dem Schwerpunktartikel "Homosexualität" auf der Homepage von Wüstenstrom, in dem auch ein Therapiekonzept umrissen wird, die Rede vom "Problem der Homosexualität" undder "homosexuellen Illusion", die es aufzubrechen gälte. Aus dem Befund mancher Wissenschaftler, dass sexuelle Orientierung sich im Laufe des Lebenswandeln könne, schließt Wüstenstrom kurz auf eine willentliche Veränderbarkeit. Die Veränderung beruhe auf einer Entscheidung. "Dieser Entscheidung geht eine ethische Vorentscheidung voraus."
Quelle: http://www.wuestenstrom.de/index.dhtml/4647bd8e8b139416009u/-/deDE/-/CS/-/news/schwerpunkte/news/2007/200707/Homosexualität

Wüstenstrom lässt immer wieder durchblicken, dass Homosexualität nicht nur veränderbar, sondern auch veränderungsbedürftig sei. Wüstenstrom-Leiter Hoffmann erklärte in einem Interview mit Idea Spektrum (18.12.2006) deutlich:

"Nach unserer Ansicht beurteilt der biblische Befund gelebte Homosexualität eindeutig als Sünde."

Dass dies in der Therapie ohne Bedeutung bleibt, ist schwer vorstellbar bei einer Organisation, die sich dieser Interpretation der Heiligen Schrift verpflichtet hat. Dem angeblichen Verzicht auf Sündenrhetorik im Umgang mit Klienten scheinen vor allem Zweckmäßigkeitsvorstellungen zugrunde zu liegen:

"Wir haben leider oft erlebt, dass gerade homosexuell empfindende Menschen Entscheidungen, die sie unfreiwillig trafen, wieder verwarfen und dann zum homosexuellen Lebensstil zurückkehrten."
Quelle: http://www.wuestenstrom.com/index.dhtml/0947bdbf793d6a23747k/-/enEN/-/CS/-/news/news/2007/200701/ideaHUK

Mit anderen Worten: eine Therapie, die auf der Fiktion einer freien Entscheidung aufbaut, wird für effektiver gehalten. Das Ziel der Überwindungvon Homosexualität ist aber offensichtlich das gleiche wie bei klassischen Konversionstherapien.

Dass Therapien, die auf eine Änderung der homosexuellen Orientierung abzielen, in der Fachwelt abgelehnt werden, hat auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Kl. Anfrage betont: "Dies gründet sich auf die Ergebnisse neuerer wissenschaftlicher Untersuchungen, nach denen bei der Mehrzahl der so therapierten Personen negative und schädliche Effekte (z.B. Ängste, soziale Isolation, Depressionen bis hin zu Suizidalität) auftraten und die versprochenen Aussichten auf ´Heilung´ enttäuscht wurden."

Nachdem die Bundesregierung solche Therapien als für potenziell schädlich befunden hatte, nachdem sie erklärt hatte, keine Organisationen unterstützen zu wollen, die auf die "Überwindung" von Homosexualität abzielen und sie die Absage des OJC-Seminars als richtig bezeichnet hatte, hielt ich es für angemessen zu fragen, was die Bundesregierung von dem Wüstenstrom-Seminar hält auf einer Veranstaltung, die sie immerhin mit einer Viertelmillion Euro und einer Schirmherrschaft fördert.

Das ist der entscheidende Punkt: Es geht mir nicht darum, Auffassungen, die ich für falsch halte, zu zensieren. Kritische Fragen an die Bundesregierung zu richten ist aber nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht der Opposition. Dazu gehört selbstverständlich das Nachhaken, wenn Worte und Taten nicht recht zusammenzupassen scheinen. Einerseits sagt die Bundesregierung, dass affirmative Therapien für junge Lesben und Schwule hilfreich, Konversionstherapien dagegen riskant und unwissenschaftlich sind, andererseits fördert sie anscheinend Gruppen, die für das Gegenteil stehen.

Ex-Gay-Gruppen unterstützen junge Menschen nicht dabei, homosexuelle Gefühle zu akzeptieren (was laut Bundesregierung nachweislich zu "einer geringeren Anfälligkeit bezüglich psychischer Erkrankungen" führt), sondern sie problematisieren und therapieren an ihnen herum. Auch von Wüstenstrom scheint mir für junge Menschen im Coming Out keine empfehlenswerte Adresse. Als "hinderlich" für die "Entdeckung der eigenen Sexualität" bezeichnet Wüstenstrom "die Reinterpretation von Lebensgeschichte unter dem Stichwort ´Natürlichkeit der sexuellen Orientierung´ oder ´sexuelle Orientierung als Schöpfungsvariante´."
Quelle: http://www.wuestenstrom.com/dyn/mediaout.dhtml/0947bdbf793d6a23747k/mime/pdfArbeitsbereiche/Selbstverpflichtung/Selbstverpflichtung.pdf

Dieser Meinung darf Wüstenstrom gern sein. Ob das eine geeignete Grundlage für Therapien darstellt, ist eine andere Frage. Für mich stand die Frage im Vordergrund, was die Bundesregierung für förderungswürdig hält. Dabei sollte sie sich meines Erachtens davon leiten lassen, was die überwältigende Mehrheit der Fachleute für richtig befunden hat. Gerade eine Bundesjugendministerin sollte in ihrer Förderpolitik stets prüfen, was der Entwicklung junger Menschen förderlich ist und was schädlich sein könnte.

Mit freundlichen Grüßen
Volker Beck