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Volker Beck
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Frage von Helmut K. •

Frage an Volker Beck von Helmut K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Betr. Christival 2008

Sehr geehrter Herr Beck!
Sie betreiben eine sehr gute Lobbyarbeit für Ihre etwa 2% gleichgeschlechtlich orientierten Mitmenschen. In Ihrer Kritik an einem Workshop schießen Sie aber wohl etwas übers fundamentale Ziel hinaus, Sie treffen alle bibelgläubigen Christen und Sie sind dabei in Ihrem Verhalten (Schirmherrschaft ...) noch intoleranter als die von Ihnen kritisierten Christen. Ich lebe in einer Stadt wo es selbstverständlich, ist die Homofahne vor einem Rathaus zu hissen und den regierenden Bürgermeister als Schirmherren für ein dubioses schwul-lesbisches Straßenfest zu bekommen. Als Christ fühle ich mich hier inzwischen benachteiligt und behaupte, dass inzwischen diese Randgruppe (zahlenmäßig betrachtet) einen Stellenwert bekommen hat, den Christen und Familien längst nicht haben. Sie verwenden geschickt den Begriff fundamentalistisch und diffamieren eine harmlose Veranstaltung und deren Teilnehmer, für die sich nur ein Bruchteil Ihrer Wähler interessieren würde und die mit Sicherheit keinen Platz in der Berichterstattung einer überregionalen Tageszeitung finden wird.
Ich frage Sie: Warum tun Sie das und von welchem missionarischen Eifer werden Sie getrieben? In einem derartig toleranten Land wie der Bundesrepublik vergeuden Sie nur Ihre Zeit! Sprechen Sie doch einmal mit den zugewanderten muslimischen Deutschen in unserem Land. Hier hätten Sie ein dankbares Aufgabengebiet.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Krauß,

mir geht des um die Wahrung und den Ausbau der Bürgerrechte aller Menschen in unserem Land. Lesben und Schwule sind gleichberechtigte Staatsbürger, unabhängig der Frage ihrer Anzahl. In einem Rechtsstaat werden Rechte zwar nicht mathematischen Mengenverhältnissen gewährt, dennoch würde mich interessieren wie Sie auf 2 % kommen.

Ich setze mich dafür ein, dass niemand wegen seiner sexuellen Orientierung benachteiligt wird. Mit der Beseitigung der Diskriminierung von Homosexuellen sind wir ein gutes Stück vorangekommen, aber noch immer haben z.B. schwule und lesbische Partnerschaften und Familien nicht die gleichen Rechte wie Eheleute. Gleiche Rechte richten sich gegen niemanden. Der Wert von traditionellen Ehen und Familien hängt nicht davon ab, dass andere Formen des Zusammenlebens benachteiligt werden! Keine Bevölkerungsgruppe kann in einer pluralistischen Gesellschaft Höherrangigkeit beanspruchen, egal ob Mehrheit oder Minderheit.

Wenn Menschen gleiche Rechte abgesprochen werden, findet das meinen Widerspruch, egal ob es im islamischen, christlichen oder säkularen Gewand daherkommt. Inwiefern Sie als Christ benachteiligt werden, kann ich Ihrer Äußerung nicht entnehmen. Sollten Sie aber einmal tatsächlich aufgrund Ihrer Religion z.B. am Arbeitsplatz oder auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert werden, stehen Ihnen mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz die gleichen rechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung wie Personen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung benachteiligt werden. Wir haben uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass bei der Antidiskriminierungsgesetzgebung nicht mit zweierlei Maß gemessen wird. Wenn Sie sich von der Präsenz von Lesben und Schwulen beeinträchtigt fühlen, finde ich das bedauerlich, aber wenig nachvollziehbar. Was ist denn bedrohlich an Regenbogenfahnen oder lesbisch-schwulen Straßenfesten? Sie machen Vielfalt sichtbar, sagen aber niemandem, wie er oder sie zu leben oder zu fühlen hat, noch verpflichten sie zur Teilnahme.

Ich muss (und kann) damit leben, wenn Sie Homosexualität als Sünde betrachten, so wie Sie damit leben müssen, wenn ich das anders sehe. Toleranz bedeutet nicht, dass alles ohne Widerspruch hingenommen werden muss. In meiner Kritik an dem inzwischen abgesagten Seminar des "Christivals" ging es zudem nicht um religiöse Fragen, die jeder und jede für sich selbst beantworten mag. Es ging darum, ob die Jugendministerin für eine Veranstaltung werben soll, bei der jungen Menschen eingeredet wird, Homosexualität sei pathologisch, therapiebedürftig und heilbar. So lautet jedenfalls in verschiedenen Variationen die unablässige Propaganda des sogenannten "Instituts" der OJC, die offensichtlich auch auf dem Christival verbreitet werden sollte. Das OJC-Seminar halte ich weder für eine Kleinigkeit noch für harmlos. Zu den Gründen habe ich mich bereits in anderen Antworten auf abgeordnetenwatch.de ausführlich geäußert. Ich weise an dieser Stelle aber noch einmal darauf hin, wie Prof. Dr. Udo Rauchfleisch die Risiken und Nebenwirkungen der von OJC propagierten "reparativen Therapie" beurteilt: "Häufig wird die Änderung im Sexualverhalten mit schweren Depressionen, zentralen Selbstwertproblemen und tiefer Verzweiflung erkauft und kann zum Suizid der betreffenden Menschen führen, die an dem Konflikt zwischen dem äußeren und dann von ihnen verinnerlichten Druck einerseits und dem Gefühl, ein Leben im Gegensatz zu ihrer sexuellen Orientierung zu führen, zerbrechen. Hier muss man eindeutig von einem Missbrauch und einer Schädigung durch so genannte therapeutische oder seelsorgerische Interventionen sprechen."

Meines Erachtens werden hinter der hilfsbereiten Fassade der OJC Abgründe von Intoleranz gegenüber Homosexualität sichtbar, die deutliche Worte erfordern. Dass "alle bibeltreuen Christen" sich mit den unseriösen Methoden der OJC identifizieren und deswegen von meiner Kritik schwer getroffen wären, stimmt nicht. Das zeigt mir auch der Zuspruch von Christen, die die Homoheilungspropaganda ebenfalls ablehnen. Christ sein und homosexuell - das ist kein Widerspruch. Davon zeugen Gruppen wie "Homosexuelle und Kirche" (http:www.huk.org) oder "Zwischenraum" (www.zwischenraum.net), die niemanden dazu nötigen, entweder ihre Gefühle für Menschen des gleichen Geschlechts oder ihren Glauben zu verdrängen. Die Worte "Homosexualität", "Schwule" oder "Lesben" werden sie übrigens in der Bibel vergeblich suchen.

Mit freundlichen Grüßen
Volker Beck