Frage an Volker Beck von Thorsten F. bezüglich Familie
Ich finde es schade, dass wegen eines kleinen Seminares beim Christival 2008 so ein massiver Druck auf die Organisatoren
ausgeübt wird. Ich nenne sowas Zensur!
Denn kein Homosexueller wird gezwungen, dieses Seminar zu besuchen, es soll doch nur ein Angebot sein, bei dem niemand
hingehen muss.
Haben Sie nicht die Befürchtung, dass Sie damit Ihr Eintreten für die Homosexuellen geschadet haben, in meinen Augen auf jeden Fall ?!
Sehr geehrter Herr Fannar,
Ihrem Eindruck, es sei Zensur ausgeübt worden, kann ich nicht folgen. Weder das Christival noch das Seminar sind verboten worden, das stand nie zur Diskussion und wurde auch von mir nie gefordert. Deutliche Kritik an einem antihomosexuellen Seminar ist keine Zensur. Forderungen an eine Bundesministerin, eine solche Veranstaltung nicht durch ihre Schirmherrschaft zu bewerben, ist ebenfalls keine Zensur. Es gibt keinen Anspruch auf kostenlose Reklame durch die Bundesregierung. Und wenn bei dieser Veranstaltung Inhalte vertreten werden, die den Aufgaben dieser Ministerin widersprechen, zu dem der Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung gehört, erwarte ich, dass sie dazu auf Distanz geht. Das antihomosexuelle Seminar, das von den Veranstaltern zurückgezogen worden ist, ist keine Petitesse. Dass niemand "gezwungen wird" dort hinzugehen, ist eine Selbstverständlichkeit (wäre es anders, hätte die Polizei wegen Freiheitsberaubung einschreiten müssen). Aber auch als "Angebot" muss sich ein Seminar Kritik gefallen lassen, wenn damit ein Unwerturteil über Homosexualität verbreitet wird.
Vielleicht hilft Ihnen das folgende kleine Gedankenexperiment nachzuvollziehen, warum ich das Seminar kritisiere: Stellen Sie einmal vor, der Titel des Seminars hätte gelautet "Heterosexualität verstehen - Chance zur Veränderung" und die dazugehörige Beschreibung: "Viele Menschen leiden unter ihren heterosexuellen Neigungen. Im Seminar geht es um Ursachen und konstruktive Wege heraus aus heterosexuellen Empfindungen." Ein solches Seminar wäre offensichtlich Quatsch. Ein ganz genauso großer Unsinn ist es aber, homosexuell empfindenden Menschen einzureden, diese Gefühle seien Ursache für Leid und therapiebedürftig.
Genau dies tut aber die Organisation OJC und ihr angebliches "Institut" seit Jahr und Tag. In einem Faltblatt dieser Organisation (das interessanterweise den gleichen Titel trägt wie ihr Christival-Seminar) werden sie noch etwas deutlicher. Dort ist von der angeblichen "Heilung" homosexueller "Patienten" die Rede und es wird behauptet, es schade Teenagern, wenn ihnen gesagt wird, Gefühle für das gleiche Geschlecht seien normal. Die OJC begnügt sich nicht damit, eine religiöse Auffassung zu vertreten, die man teilen mag oder nicht, sondern gibt ihre Auffassung als Wissenschaft aus, schürt Angst vor Homosexualität und empfiehlt "Therapien", die von tatsächlichen Wissenschaftlern als unnötig, nutzlos und potenziell gefährlich eingeschätzt werden. Als Beispiel empfehle ich etwa die deutliche Stellungnahme Prof. Dr. Udo Rauchfleisch (Professor für Klinische Psychologie an der Uni Basel, http://www.gaynial.net/pdf/2005-11-03/4cProfUR.pdf ). Gerade junge Menschen mit homosexuellen Empfindungen werden durch unseriöse Behauptungen von Gruppen wie OJC unter Druck gesetzt. Die Phase, in der Jugendliche versuchen, mit Gefühlen klar zu kommen, von denen sie gelernt haben, dass diese schlecht seien, ist meist keine einfache. Das letzte, was sie in dieser Situation brauchen, ist ein Pseudo-Institut, das ihnen einredet, ihre Gefühle für andere Menschen des gleichen Geschlechts seinen therapiebedürftig und therapierbar. Seriöse Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und psychotherapeutische Praxen sind voll von Menschen, die vergeblich und unter großem Leid versucht haben, ihre homosexuellen Gefühle zu unterdrücken. Ich nehme diese Menschen und ihr Leid sehr ernst. Gerade deswegen kritisiere ich das Seminar so deutlich. Dass ich Homosexuellen schade, wenn ich darauf aufmerksam mache, dass das "Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft" eine unseriöse Vereinigung ist, von der keine wirkliche Hilfe zu erwarten ist, sehe ich nicht. Was mich irritiert, ist, dass es im Umkreis des "Christivals" bisher offenbar keine kritische Auseinandersetzung mit der "Ex-Gay"-Bewegung gibt, die gerade unter jungen Christen so viel Leid erzeugt.
Mit freundlichen Grüßen
Volker Beck