Frage an Volker Beck von Johannes S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Beck,
mit Interesse habe ich Ihre Äußerungen über Drogen und Legalisierung (im Zusammenhang mit der Immendorff Verurteilung) gelesen.
Ihre Partei hat 7 (!) Jahre das Land regiert, das auch noch in einer Zeit, in der die Cannabis-Diskussion einen Höhepunkt erreicht hatte. Mitte der neunziger gingen viele in der Legalisierungsbewegung von einer baldigen Einführung "holländischer Verhältnisse" aus. Die Grünen haben nicht nur diese historische Chance vertan, sie haben NICHTS getan.
Interessanterweise wurde das Thema "Legalisierung" dann immer kurz vor wichtigen Wahlen aus dem Hut gezaubert, wo es dann wieder schnell verschwand.
Wie stehen Sie zu dem Versagen Ihrer Partei ? Finden Sie Ihre drogenpolitischen Statements, angesichts Ihrer langen Regierungsbeteiligung nicht als, gelinde gesagt, widersprüchlich ?
Denken Sie mal an die zigtausend (!) Menschen die auch durch Ihre Politik (bzw Ihre politische Untätigkeit) ins Elend gestürzt wurden (Gefängnis, Führerscheinentzug, Abbruch der schulischen Laufbahn usw usw) !!!!
Bitte helfen Sie mir und all den Anderen, die Ihre Hoffnung in Ihre Partei gesetzt hatten (setzen ?!), diesen Widerspruch zu verstehen.
mfG
J.Senft
Sehr geehrter Herr Senft,
ein "Versagen " der Grünen im Bereich Drogenpolitik zur Zeit der Regierungsverantwortung kann ich wahrlich nicht erkennen. Im Gegenteil:
Mit unserer damaligen Drogenbeauftragten Christa Nickels haben wir eine Wende in der Drogenpolitik eingeleitet. Wir haben durch Stärkung der Überlebenshilfe und Schadensminimierung dafür gesorgt, dass die Zahl der Drogentoten kontinuierlich zurückgegangen ist. Hunderte von zumeist jungen Menschen sind noch am Leben, die sonst an den Folgen ihrer Sucht gestorben wären.
Wir mussten uns gegen viele Widerstände durchsetzen, um das zu erreichen. Drogenpolitik ist vermintes Gelände: Immer wieder mussten Drogenthemen herhalten, um Emotionen und Ängste zu schüren und um ideologische Grabenkämpfe auszufechten. Wir haben seinerzeit dafür gesorgt, dass die Drogenpolitik vom Innen- zum Gesundheitsministerium verlagert wurde. Das war ein großer Schritt in Richtung rationale Drogenpolitik, denn seither wird Drogenpolitik nicht mehr vorrangig als Kriminalitätsbekämpfung verstanden, sondern als eine Frage der *Prävention* und *Suchtbehandlung*.
Sämtliche mit der SPD seinerzeit im Koalitionsvertrag vereinbarten Modellvorhaben und Initiativen haben wir auf den Weg gebracht:
- Es gibt jetzt eine rechtliche Absicherung für Mitarbeiter der Drogenhilfe, die in Drogenkonsumräumen arbeiten.
- Modellprojekte für heroingestützte Behandlung.
- Die Substitutionsbehandlung mit Methadon, Codein und anderen geeigneten Stoffen ist endlich anerkannt.
- Eine Drogen- und Suchtkommission wurde etabliert, die ein umfassendes Konzept der Suchtprävention erarbeiten soll.
- Cannabis wird als Medizin verfügbar gemacht.
Insgesamt ist es gelungen, die Fixierung auf die illegalen Drogen und deren Konsumenten zu beenden; stattdessen ist gleichermaßen das ganze Ausmaß sozialer und körperlicher schädlicher Folgen durch Alkohol- und Nikotinmissbrauch ins öffentliche Bewusstsein gerückt worden.
Was Cannabis anbelangt, so haben wir immer versucht, dass die Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten verstärkt vorangetrieben wird. Bedauerlicherweise war es die SPD, die hier von vornherein zu keinem Fortschritt in Richtung Liberalisierung bereit war. Da aber in einer Koalition Gesetzesinitiativen nur im Einvernehmen mit beiden Partnern stattfinden, geht Ihre Kritik hier leider an die falsche Adresse.
Was uns gegenwärtig Sorge bereitet, ist, dass derzeit wichtige, von Rot-Grün erreichte Erfolge in der Drogenpolitik anscheinend wieder rückgängig gemacht werden sollen. Zum Beispiel muss die ärztlich kontrollierte Heroinabgabe an Schwerstabhängige weiter möglich sein. Die Heroinabgabe an Schwerstabhängige erreicht Menschen, die von Methadonprogrammen nicht erreicht werden, und rettet so Menschenleben. Sie ermöglicht diesen Menschen ihre Gesundheit zu stabilisieren und gibt ihnen eine Chance, sich gesellschaftlich zu integrieren. Um dies sicherzustellen, haben wir einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht.
Beim Thema Cannabis haben wir zuletzt die Bundesregierung mit einer Kleine Anfrage (Drs. 16/5583) auf die Thematik "verunreinigtes Cannabis" hingewiesen.
Obwohl Besitz, Handel und Erwerb von Cannabis verboten ist, darf nicht ignoriert werden, dass bis zu mehreren Millionen Menschen regelmäßig oder gelegentlich Cannabis konsumieren. Vor diesem Hintergrund ist es für uns unverantwortlich, dass die Bundesregierung ernst zu nehmende Berichte über mit Sand, Glas oder auch Öl gestreckte Cannabisprodukte ignoriert und eine entsprechende Warnung der Öffentlichkeit ablehnt. Wer Cannabis konsumiert, so lautet die Argumentation der Bundesregierung in ihrer Antwort, sei selbst schuld. Als ob man deshalb billigend Gesundheitsschäden in Kauf nehmen dürfte.
Wir haben daher die Bundesregierung aufgefordert, die Öffentlichkeit umgehend über die Gefahren durch verunreinigtes Cannabis zu warnen. Ähnliche Warnungen haben die Gesundheitsbehörden in Luxemburg und Großbritannien bereits erlassen.
Mit freundlichen Grüßen
Büro Volker Beck