Frage an Volker Beck von Dominique S. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Beck,
u.a. in ihrem Namen wurde kürzlich eine kleine Anfrage zum §1626a BGB eingereicht. Dieser beinhaltet das Vetorecht der Mütter gegen das Mitsorgerecht der Väter. Ohne Zustimmung der Mütter hat ein Vater in Deutschland - in Gegensatz zu vielen europäischen Ländern - keine Chance auf das gemeinschaftliche Sorgerecht. Weiter reicht in Deutschland bei bestehender gemeinschaftlicher Sorge, die Erklärung der Mutter mit dem Vater nicht kooperieren zu wollen aus, um gerichtlich wieder die alleinige Sorge zu bekommen.
Aus dieser Konstellation ist u.a. der wohl auch ihnen bekannte Justizskandal des türkischen Vaters Görgülü hervorgegangen. Desweiteren darf ich sie auch auf einen vor kurzem im München bekannt gewordenen Fall verweisen: Bei einem zusammenleben unverheirateten Paar , fiel die hochschwangere Frau aufgrund eines Diabetisleidens in ein Wachkoma. Das Kind wurde per Kaiserschnitt entbunden. Da die Mutter weiter im Koma blieb, konnte diese auch keiner Sorgerechtserklärung zustimmen. Der leibliche Vater hat somit keine Möglichkeit auf das Sorgerecht. Das Jugendamt verbrachte das Kind zu Pflegeeltern. Auch dies ist nach Ansicht vieler Experten erneut ein groben Verstoß der BRD gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Ursächlich dafür abermals : §1626a. Weiter hat der EGMR sowohl 2006 u.a. in dem Fall Koudelka unmißverständlich klargemacht, dass die Konventionsstaaten alles zu unternehmen haben, um eine Entfremdung zwischen getrenntlebenden Elternteil und Kind zu verhindern. Die unter Rot-GRÜN erstellt Proksch-Studie stellt hierzu klar den Zusammenhang zwischen alleiniger Elterlicher Sorge und dem totalen Kontaktverlust zum getrenntlebendem Elternteil von ca. 30% aller Trennnungskinder heraus.
Die GRÜNEN war bisher als Partei bekannt, welche diese extremen Machtposition der Mütter massiv unterstützt hat.
Hat sich dies inzwischen geändert?
Mit freundlichen Grüßen,
Dominique Strauss
Sehr geehrter Herr Strauss,
Sie sprechen eine Thematik an, die auch aktuell in der grünen Fraktion intensiv diskutiert wird. Wir hoffen, alsbald einen ausgewogenen, sowohl dem Kindeswohl als auch den Interessen beider Eltern gerecht werdenden Vorschlag vorzustellen.
Der Umstand, dass nach gegenwärtiger Rechtslage Unverheirateten Eltern zunächst nur der Mutter das Sorgerecht zufällt, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahre 2003 für unbedenklich und verfassungskonform erklärt. ( http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20030129_1bvl002099.html?Suchbegriff=Sorgerecht )
Das Gericht hat dabei u.a. ausgeführt, dass es das Kindeswohl verlange, dass das Kind ab seiner Geburt eine Person hat, die für das Kind rechtsverbindlich handeln kann. Die durch § 1626 a Abs.1 Nr. 1 BGB den Eltern eines nichtehelichen Kindes eröffnete Möglichkeit zur gemeinsamen Sorgetragung beruht auf der Überlegung, das eine gemeinsame Sorge dem Kindeswohl nur dienen kann, wenn es einen gewissen Konsens der Eltern gibt. Eine gemeinsame Sorge gegen den Willen eines Elternteils würde die Gefahr in sich bergen, dass von vornherein Konflikte auf dem Rücken des Kindes ausgetragen würden.
Die gemeinsame Sorge setzt im Kindeswohlinteresse bei beiden Elternteilen die Bereitschaft voraus, aus der Elternstellung nicht nur Rechte herleiten zu wollen, sondern auch Pflichten gegenüber dem Kind zu übernehmen, also Verantwortung für das Kind zu tragen.* *Die Ausübung dieser gemeinsamen Verantwortung erfordert wiederum den Aufbau einer persönlichen Beziehung zum Kind durch jeden Elternteil und bedarf eines Mindestmaßes an Übereinstimmung zwischen den Eltern (vgl.BVerfGE 92, 158 178 f.). Tragen die Eltern ihren Konflikt auf dem Rücken des Kindes aus, kann das Kind in seiner Beziehungsfähigkeit beeinträchtigt und in seiner Entwicklung gefährdet werden. Diese Erkenntnis aus wissenschaftlichen Untersuchungen (vgl. Baloff/ Walter, Gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall?, FamRZ 1990, S. 445 454; Furstenberg/Cherlin, a.a.O., S. 112 ff.) wurden erst jüngst durch die Langzeitstudien von Wallerstein/Lewis/Blakeslee bestätigt.
Die Unterschiede im Sorgerecht für das eheliche und das nichteheliche Kind seien laut Bundesverfassungsgericht auch sachlich begründet. Bei nicht verheirateten Eltern kann anders als bei verheirateten, die dies durch die Eheschließung dokumentiert haben, nicht vom gemeinsamen Willen ausgegangen werden, zusammen die Verantwortung für das Kind zu tragen. Es sei insofern sachgerecht und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die gemeinsame Sorgetragung an die Abgabe entsprechender übereinstimmender Erklärungen der Eltern zu binden. Es sei auch sachgerecht, der Mutter wegen ihrer mit der Geburt naturgegebenen Hauptverantwortung für das Kind die Alleinsorge zuzuweisen, falls keine übereinstimmende Erklärung möglich ist. Aus dem Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt nicht, dass der Gesetzgeber beiden Elternteilen gleiche Rechte und Pflichten einräumen müsse.
Der Vater kann nach derzeitiger Rechtslage gegen den Willen der Mutter nur dann das Sorgerecht erhalten, wenn ihr die elterliche Sorge entzogen wird. So hängt zwar der Zugang des Vaters eines nichtehelichen Kindes zur elterlichen Sorge von der Bereitschaft der Mutter ab – aber auch sie ist bezüglich der gemeinsamen Sorgen von seinem Willen abhängig. Sie kann sich – anders als der Vater – der Sorge nicht entziehen. Und sie kann ohne Bereitschaft des Vaters nicht mit ihm die Sorge für das Kind teilen. Beide Eltern erhalten damit gleichermaßen Zugang zur gemeinsamen Sorge nur, wenn sie dies übereinstimmend wollen.
Der Gesetzgeber, so das Karlsruher Gericht, durfte davon ausgehen, dass die Eltern die nunmehr bestehende gesetzliche Möglichkeit einer gemeinsamen Sorgetragung in der Regel nutzen und ihre tatsächliche Sorge durch Sorgeerklärungen auch rechtlich absichern. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber es auch nicht verheirateten ebenso wie verheirateten Eltern mit gemeinsamer Sorge nach § 1671 BGB ermöglicht hat, bei späterer Trennung und auftretenden Konflikten gerichtlich prüfen zu lassen, ob die gemeinsame Sorge weiterhin dem Kindeswohl dienlich sei. Dennoch kann es Fälle geben, in denen die Mutter trotz Zusammenlebens mit dem Vater und dem Kind keine Sorgeerklärung abgeben will. Der Gesetzgeber habe dies gesehen und ist davon ausgegangen, dass in solchen Fällen die Weigerung der Mutter Ausdruck eines Konfliktes zwischen den Eltern ist, der sich bei einem Streit über die gemeinsame Sorge nachteilig für das Kind auswirkt. Er sei außerdem davon ausgegangen, dass eine Mutter, gerade wenn sie mit dem Vater und dem Kind zusammenlebt, sich nur ausnahmsweise und nur dann dem Wunsch des Vaters nach einer gemeinsamen Sorge verweigert, wenn sie dafür schwerwiegende Gründe hat, die von der Wahrung des Kindeswohls getragen werden.
Der Gesetzgeber sei aber laut Bundesverfassungsgericht verpflichtet, die tatsächliche Entwicklung zu beobachten und zu prüfen, ob seine Annahme auch vor der Wirklichkeit Bestand hat. Stelle sich heraus, dass dies regelmäßig nicht der Fall ist, sollte sich insbesondere herausstellen, dass es auch bei einem Zusammenleben der Eltern mit dem Kind in größerer Zahl aus Gründen nicht zu einer gemeinsamen Sorgetragung nach §1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB kommt, die nicht vom Kindeswohl getragen werden, würde sich dieser Paragraph als unvereinbar mit Art. 6 Abs. 2 mit dem Grundgesetz erweisen. Der Gesetzgeber müsste dann dafür sorgen, dass Vätern nichtehelicher Kinder, die mit der Mutter und dem Kind als Familie zusammenleben, ein Zugang zur gemeinsamen Sorge eröffnet wird, der ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG unter Berücksichtigung des Kindeswohls ausreichend Rechnung trägt.
Was den letzteren Aspekt anbelangt, so prüfen wir derzeit auf der entsprechenden Fachebene in der Fraktion, ob und wie der Umstand, dass es Fälle geben kann, wo es zu keinem gemeinsamen Sorgerecht der unverheirateten Eltern kommt, obwohl dies auch im Sinne des Kindeswohls absolut geboten wäre, in eine Gesetzesänderung umgesetzt werden kann.
Mit freundlichen Grüßen
Büro Volker Beck