Frage an Volker Beck von joerdis h. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Lieber Herr Beck,
mich würde Ihr Standpunkt zum Thema "bedingungsloses Grundeinkommen" interessieren.
Gerade für die Grünen ist Gerechtigkeit immer mehr gewesen als Verteilungsgerechtigkeit und Armut wurde nie auf Einkommensarmut beschränkt. Die Dimensionen von Bildungsarmut, Partizipationsarmut oder gesellschaftlicher Armut aber blendet das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens aus.
Keines der bislang vorgelegten Konzepte eines bedingungslosen Grundeinkommens kann aus unserer Sicht einer auf Emanzipation und Teilhabegerechtigkeit gegründeten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik überzeugen. Sie alle ignorieren den individuellen und gesellschaftspolitischen Stellenwert von (Erwerbs-) Arbeit und haben verfehlte Gerechtigkeitsvorstellungen, was das Verhältnis von Sozialstaat und Individuum sowie die Koppelung von Transfers und Bedürftigkeit angeht.
Ich will für eine quantitative und qualitative Verbesserung der Grundsicherung streiten. Dies beinhaltet insbesondere die Erhöhung der Regelleistungen zur Sicherung des sozio-kulturellen Existenzminimums, eine Abschwächung der Zumutbarkeitsregelungen sowie eine weitgehende Individualisierung der Leistungen.
Die Durchsetzungschancen hierfür sind um ein Vielfaches höher als dies bei der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen der Fall wäre.
Die Politik darf nicht aus ihrer Verantwortung zur Schaffung von Rahmenbedingungen für mehr Beschäftigung entlassen werden. Zugleich verbietet unser Sozialstaatsgebot die völlige Abkehr von der Absicherung der individuellen Lebensrisiken. Statt mit hohem finanziellem Aufwand Transfers mit dem Gießkannenprinzip auszuschütten, ist es sinnvoller, eine zielgerichtete Politik der Armuts- und Exklusionsvermeidung zu betreiben und Verteilungsgerechtigkeit über ein sinnvolleres Steuersystem anzustreben. Durch die Diskussion um das Grundeinkommen drohen vorhandene Ansätze für mehr Beschäftigung aus dem Blickwinkel zu geraten. Dabei werden in der Partei bereits seit Jahren fruchtbare Debatten über die Möglichkeiten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geführt. In vielen Bereichen haben wir bereits genaue Vorstellungen entwickelt, die zu mehr Beschäftigung führen können. Dazu zählen unter anderem:
- die Verbesserung von sowie Investitionen in Bildung und Ausbildung
- die ökologische Modernisierung der Gesellschaft, die nur investitions- und arbeitsintensiv umgesetzt werden kann
- die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf u.a. durch eine flächendeckende Kinderbetreuung
- die Einführung der Bürgerversicherung
- seriöse Finanzierungsvorschläge zur Behebung des Mangels bei vielen öffentlichen Aufgaben z.B. des Personalnotstands im Pflegebereich
- die Innovations- und Mittelstandsförderung
- die Diskussion um flexiblere und auch kürzere und an die Lebenssituation angepasste Arbeitszeiten
- das Progressivmodell zur Sicherung des Lebensunterhaltes für Geringverdiener
- die Umverteilung der Kosten der sozialen Sicherung weg von besonders kostensensiblen Bereichen insbesondere im Bereich geringer Qualifikation
- der konjunkturgerechte Einsatz der makroökonomischen Instrumente der Geld und Fiskalpolitik
- die Sicherung der Steuereinnahmebasis um die in den letzten Jahren stark gesunkenen Investitionen des öffentlichen Sektors wieder zu beleben
Es sind diese Punkte, auf die sich Bündnis90/Die Grünen bei der Diskussion um die Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit meiner Meinung nach konzentrieren sollten. All diese und andere unserer Partei wichtigen Projekte benötigen zudem eine Finanzierungsgrundlage, die aber nicht mehr zu schaffen wäre, wenn dem Haushalt - durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens - enorme Zusatzlasten aufgebürdet würden.
Die Diskussion um ein Grundeinkommen bzw. alternativer Modelle wie das der armutsfesten Grundssicherung ist bei uns jedoch in vollem Gange. So lädt die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen am 9./10.3.2007 zum Kongress "Armut und soziale Ausgrenzung bekämpfen - Armutsfeste Grundsicherung versus bedingungsloses Grundeinkommen" nach Berlin ein.
Sollten Sie sich für die Veranstaltung interessieren, können Sie sich gerne unter folgender Adresse anmelden:
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Koordination des AK 1
Angela von Bandemer
11011 Berlin