Frage an Volker Beck von Reinhard B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Beck,
auf N-TV las ich heute folgende Aussage von Ihnen:
"Es gibt in Deutschland zahlreiche Angebote aus der religiös-fundamentalen Ecke, die vorgeben, Homosexuelle von ihrer Orientierung heilen zu können", sagte Beck. In diesen Kreisen werde oftmals Druck auf Jugendliche ausgeübt, sich solchen Programmen zu stellen. Wenigstens Kinder und Jugendliche müssten davor geschützt werden, betonte Beck.
Nach einem Gesetzentwurf der Grünen-Bundestagsfraktion sollen Verstöße mit einer Geldbuße von mindestens 500 Euro geahndet werden, schreibt die Zeitung. Laut Gesetzentwurf gebe es Untersuchungen, wonach bei der Mehrzahl der so behandelten Menschen schädliche Effekte wie "Ängste, soziale Isolation, Depressionen bis hin zum Selbstmord" aufgetreten seien.
Mit welcher Begründung erheben sie das Recht, hier für alle homosexuell empfindenden Menschen zu sprechen? Wie setzen Sie sich für die homosexuell empfindenden Menschen ein, die genau damit ein Problem haben und gern heterosexuell empfinden wollen? Solche Menschen gibt es!!! Soll mit Ihrer Gesetzesinitiative diesen hilfesuchenden Menschen eben diese Hilfe verwehrt werden? Das empfinde ich als diskriminierend und Menschenverachtend.
Wenn Toleranz, und diese uneingeschränkt!, dann aber bitte für alle!
Mit freundlichen Grüßen
R. Bellmann
Sehr geehrter Herr Bellmann,
herzlichen Dank für Ihre Frage.
Sie finden den Gesetzentwurf mit einer ausführlichen Begründung auf dieser Seite: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/128/1712849.pdf . Aus der Begründung wird auch deutlich, dass es hier nicht um eine Frage von Meinungen oder Befindlichkeiten geht, sondern um die Frage der Gesundheit von Jugendlichen. Diverse Studien unter anderem von den höchsten Vereinigungen von Psychologen in den USA haben ergeben, dass diese "Therapien" nicht nur keinen Effekt haben, sondern eben zu negativen Folgen bis hin zum Selbstmord führen. Das haben Sie ja selbst gerade zitiert. Auch die Bundesregierung teilt diese Auffassung (s. BT-Drucksache 16/8022, S.3). Eine Stellungnahme von Prof. Dr. Rauchfleisch von der Universität Zürich finden Sie unter folgendem Link: http://www.mission-aufklaerung.de/fileadmin/dateien/Gutachten_und_Stellungnahmen/4cProfUR.pdf .
Zugleich liegen mir Berichte von TeilnehmerInnen der in Deutschland angebotenen Seminare vor, die die Wirkungslosigkeit und Gefährlichkeit der Therapien beklagen. Genau hierin liegt auch die Scharlatanerie der genannten Angebote: Hier wird suggeriert, die sexuelle Identität sei durch therapeutische Maßnahmen änderbar. Dies ist - das machen auch die in der Begründung genannten Stellungnahmen von Psychologenverbänden deutlich - nicht der Fall.
Insofern wird gerade den von Ihnen genannten Menschen, die mit ihrer sexuellen Identität nicht im Reinen sind, ein Bärendienst erwiesen. Es geht also nicht darum, dass es schwule oder lesbische Menschen gibt, die lieber heterosexuell empfinden würden. Natürlich gibt es solche Menschen. Ihnen helfen affirmative Therapien, die sie in ihrer Sexualität und im Umgang damit bestärken. Diese werden weder von mir noch vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages kritisiert. Umpolungstherapien sind dagegen - wie beschrieben - in den allermeisten Fällen unwirksam und gesundheitsgefährdend.
In den USA hat sich vor einigen Wochen die größte Gruppe derjenigen, die solche Therapien propagiert haben, aufgelöst und entschuldigt. Es handelt sich um die vielleicht auch Ihnen bekannte Gruppe "Exodus International". Die Gruppe hat nun zugegeben, dass die von Ihnen angebotenen Maßnahmen wirkungslos waren und den betroffenen Menschen geschadet haben. Der ehemalige Leiter der Gruppe, Alan Chambers, entschuldigte sich mit den Worten: "Please know that I am deeply sorry. I am sorry for the pain and hurt many of you have experienced. I am sorry that some of you spent years working through the shame and guilt you felt when your attractions didn´t change. I am sorry we promoted sexual orientation change efforts and reparative theories about sexual orientation that stigmatized parents." ( http://wespeaklove.org/exodus/ ) Bereits zuvor hatte er im Januar 2012 festgestellt, dass "99,9% der Teilnehmer von Exodus-Veranstaltungen keine Veränderung in ihrer sexuellen Identität erfahren".
In diesem Sinne hoffe ich, dass auch die - wenigen - verbliebenen Gruppen in Deutschland, die sich einer "Heilung" von Homosexualität verschrieben haben, Einsicht zeigen. Bis dahin werde ich mich weiterhin dafür einsetzen, dass zumindest solche Therapieangebote, die sich an Jugendliche wenden, verboten werden.
Erwachsene Menschen können sich selbst schaden, so viel sie möchten. Für Jugendliche gibt es aber eine besondere Fürsorgepflicht des Staates, weswegen die Grünen im Bundestag das Anbieten und Durchführen solcher Umpolungsstrategien verbieten wollen.
Mit freundlichen Grüßen
Volker Beck