Frage an Volker Beck von randy s. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Beck,
wenn man/frau sich den Stellenmarkt in Deutschland so anschaut, dann fällt vieles negativ auf. Es dominieren entweder nur wenige Berufsbilder wie Ingenieurswesen, Kranken-/Altenpflege, Medizin-/Arztwesen, Mechatronik oder IT. Oder Helferjobs in der Industrie, die auf Dauer nicht nur finanziell, sondern auch gesundheitlich wenig (er-)tragbar sind. Jobs, die oft auf 12 Monate befristet sind, geringe Einarbeitungszeiten, zunehmende Leiharbeit, Bewerbermarathons für Arbeitssuchende mit Zick-Zack-Lebenslauf und eine hohe Anzahl an Niedriglohnjobs – so stellt sich der Arbeitsmarkt in Deutschland heutzutage dar. Aktuell sollen 15 Mio. Menschen in Deutschland von Armut bedroht sein.
Wie passt denn Ihrer Meinung nach vor diesem Hintergrund die Erfolgsmeldung der Regierung über einen Rückgang der Arbeitslosen zusammen? Vor allem wenn man bedenkt, dass es für prominente Persönlichkeiten viel Geld für einen 10-Sekunden-Werbespot oder einen 1-stündigen Vortrag gibt, während eine Krankenschwester dafür das ganze Jahr hart arbeiten muss? Oder ein Kursleiter für eine 4-stündige Exkursion bei Wind und Wetter bestenfalls eine kleine Aufwandsentschädigung bekommt? Ist es wirklich ein Erfolg, wenn trotz angeblichem Fachkräftemangel viele Fachkräfte auf 400-Euro-Basis als Hilfsarbeiter oder Taxifahrer arbeiten müssen? Ist das der Preis für den Globalisierungsdruck?
Die Qualität der Arbeit und des Produktionsprozesses ist hier zu Lande sehr gut. Müssen wir aber nicht aufpassen, dass die Anforderungen irgendwann nicht zu hoch werden? Der Normalbürger hat doch längst das Gefühl, dass man/frau sogar für die Durchführung eines Gymnastikkurses an der Volkshochschule um die Ecke fast schon einen abgeschlossenes Diplom-Sportlehrerstudium braucht. Wie könnten Alternativen für Menschen aussehen, die auf dem 1. Arbeitsmarkt keine Chancen haben, aber auch nicht bis zur "Rente mit 67" als Produktionshelfer in der Industrie arbeiten können?
Viele Grüße
randy scholz
Sehr geehrter Herr Scholz,
Zunächst möchten wir uns für die verspätete Antwort entschuldigen.
Immer mehr Jobs in Deutschland sind prekär. Deutschland liegt beim gestiegenen Anteil des Niedriglohnsektors im europäischen Vergleich ganz vorne. Mehr als jeder Fünfte arbeitet heute im Niedriglohnsektor. Besonders stark betroffen von niedrigen Löhnen und prekären Arbeitsbedingungen sind Frauen. Durch fehlende Aufstiegschancen, eine im internationalen Vergleich beschämende Lohndiskriminierung von 22 Prozent, gebrochene Erwerbsbiografien, Minijobs, Teilzeitbeschäftigung und das Fehlen einer eigenständigen Existenzsicherung sind Frauen besonders häufig von mangelnder sozialer Absicherung und von Armut bedroht.
Wir wollen die Arbeitswelt gerechter gestalten, die Rechte der Beschäftigten stärken und Zugang zum Arbeitsmarkt für alle schaffen. Ein wichtiger Baustein ist die Einführung eines Mindestlohns in Deutschland. Wir setzen uns für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde ein. Er schützt die Beschäftigten vor Lohndumping und ist ein notwendiger Beitrag zur Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen. Zudem ist es notwendig, branchenspezifische sowie regionale Mindestlöhne unkompliziert oberhalb des allgemeinen Mindestlohns zu vereinbaren. Dazu muss das Instrumentarium des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, von dem bisher lediglich wenige Branchen Gebrauch machen können, in Zukunft für alle Branchen zur Verfügung stehen.
Die Anreize zum Lohndumping und zur Substitution von Stammbelegschaften durch Leiharbeit müssen dringend abgeschafft werden. Die Leiharbeit darf in Zukunft nur noch als Abfederungsinstrument für Auftragsspitzen und zur kurzzeitigen Vertretung eingesetzt werden. Die Anreize zum dauerhaften Einsatz von Leiharbeitskräften als Ersatz von Stammbelegschaften wollen wir abschaffen, indem wir den Grundsatz des Equal-Pay ab dem ersten Tag durchsetzen. Beschäftigte in der Leiharbeit werden dann ab dem ersten Tag die gleichen Rechte und die gleiche Entlohnung wie die Stammbelegschaften haben, die dieselbe Tätigkeit verrichten. Die erhöhte Flexibilität, die den Leiharbeitskräften abverlangt wird, soll zudem mit einem Flexibilitätsbonus vergütet werden.
Mit einem Sofortprogramm wollen wir die Beschäftigten in Minijobs stärken und den Missbrauch von Minijobs bekämpfen. Anders als bei ihrer Einführung erhofft, haben sich die Minijobs nicht als eine Brücke in reguläre Beschäftigung erwiesen. Stattdessen ist eine Sackgasse insbesondere für Frauen entstanden, die deren berufliche Aufstiegsperspektive blockiert und deren eigenständigen Zugang zu sozialer Sicherung verhindert. Arbeitgeber müssen verpflichtet werden, die geringfügig Beschäftigten mit Vertragsabschluss über die ihnen zustehenden Leistungen, wie z.B. Urlaubsansprüche und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, zu informieren. Zusätzliche Betriebskontrollen müssen sicherstellen, dass diese Rechte auch gewährt werden. Die Ausstiegsklausel aus der Rentenversicherung wollen wir streichen, so dass zukünftig mit einem Minijob immer auch Rentenansprüche erworben werden. Der Mindestlohn sorgt dafür, dass auch Beschäftigte in Minijobs vor Niedriglöhnen von weniger als 8,50 Euro pro Stunde geschützt sind.
Grundsätzlich halten wir die Minijobs für reformbedürftig und setzen auf eine Reform des Niedriglohnsektors, der Minijobs durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ersetzt. Durch eine bessere Abstimmung von Steuern, Abgaben und soziale Transfers wollen wir die Minijobs möglichst bald ersetzen und dafür sorgen, dass sich Erwerbsarbeit auch in Form von kleinen Jobs finanziell lohnt und sich die Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt insbesondere für Frauen verbessern.
Bisher existiert kein längerfristig angelegtes Angebot, das Menschen ohne absehbare Chancen am Arbeitsmarkt gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht und neue Perspektiven jenseits des Arbeitslosengeld II-Bezugs eröffnet. Mit der grünen Initiative für einen Sozialen Arbeitsmarkt schließen wir eine Leerstelle in der Arbeitsförderung. Es geht um ein Angebot für Menschen mit vielfältigen Beschäftigungshemmnissen, die auch bei einer guten Lage auf dem Arbeitsmarkt und einer starken Arbeitskräftenachfrage keine Chance auf eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Für diese geschätzten 200.000 Menschen wollen wir neue Perspektiven auf gesellschaftliche Teilhabe eröffnen. Wenn sich die Akteure vor Ort einig sind, dann sollen Arbeitgeber für diese Beschäftigten einen Zuschuss von bis zu 100% des Arbeitsentgelts erhalten können. Zur Finanzierung dieses Zuschusses sollen auch jene ALG II Zahlungen genutzt werden können, die durch die Beschäftigung des Betroffenen im Sozialen Arbeitsmarkt wegfallen (so genannter Passiv-Aktiv-Transfer).
Arbeitsuchende und ihre Angehörigen brauchen Unterstützung statt Druck. Unser Ziel sind nachhaltige Arbeitsmarktintegrationen und nicht kurzfristige statistische Effekte. Arbeit soll nur dann zumutbar sein, wenn diese gemäß dem Mindestlohn oder, solange nicht vorhanden, gemäß den ortsüblichen bzw. den tariflichen Standards entlohnt wird. Wir fordern eine Arbeitsvermittlung auf Augenhöhe, Wunsch- und Wahlrechte für die Arbeitssuchenden und individuelle und passgenaue Angebote für diejenigen, die sie benötigen. Wir fordern ein Sanktionsmoratorium, solange die Rechtsstellung der Betroffenen gegenüber dem Fallmanager nicht wesentlich verbessert ist.
Mit freundlichen Grüßen
Team Volker Beck