Frage an Volker Beck von Tobias F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Beck,
Sie gehören zu den lautesten Befürwortern der geplanten Legalisierung der "Beschneidung" auf der politischen Bühne. De facto ist diese "Beschneidung" eine medizinisch nicht notwendige Amputation (lat. "amputare" = abschneiden) eines gesunden, funktionalen Körperteils.
Nun sieht der geplante § 1631d BGB vor, die männliche Vorhautamputation zu legalisieren und damit in das Recht auf körperliche Unversehrtheit von Jungen einzugreifen. Obwohl der Gesetzentwurf keine Begründung für diesen Eingriff ausführt, geht der Konsens dahin, hier ein religiöses Ritual über das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes zu stellen.
Wenn diesem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes kein ähnlich gewichtiges Rechtsgut gegenüber steht, ist die geplante Legalisierung der Vorhautamputation klar verfassungswidrig.
Als ähnlich gewichtiges Rechtsgut könnten Sie nun die Ausübung der Religionsfreiheit ins Spiel bringen. Nun schreibt der Gleichbehandlungsgrundsatz vor, dass nicht einseitig religiöse Praktiken über die Grundrechte gestellt werden dürfen. Wenn alle Religionen aber gleich behandelt werden müssen, müssen folglich mit der Legalisierung der religiös begründeten Vorhautamputation bei Jungen, auch sämtliche anderen religiösen Bräuche legalisiert werden. Es gilt: Entweder alle oder keine.
Unter anderem müssten demzufolge (u.a) auch diese religiösen Praktiken legalisiert werden:
- weibliche "Beschneidung"
- Prügelstrafe / Züchtigung
- Steinigung Homosexueller
Besonders pikant wird es, wenn man betrachtet, dass die körperliche Züchtigung, die jetzt bereits verboten ist, um Kindern eine gewaltfreie Erziehung zu ermöglichen, weiterhin verboten bleiben soll, während eine wesentlich schwerwiegendere unnütze Amputation gesunder, funktionaler Körperteile hingegen erlaubt werden soll.
Halten Sie den geplanten § 1631d BGB für verfassungskonform und werden Sie diesem zustimmen?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Freund,
nicht alles, was hinkt, ist auch ein Vergleich. Körperliche Gewalt gegen Kinder ist eine besonders schwere Form der Verletzung des Kindeswohls. Es ist ein Erfolg unserer rot-grünen Regierungszeit, dass es seit dem Jahr 2000 im Paragraf 1631 klipp und klar heißt: "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig." Ihr Vergleich ist der Frage unangemessen. Wir empfehlen Ihnen einen Blick in die juristische Fachliteratur. Unter anderem die Beiträge von Bijan Fateh-Moghadem (Rechtswissenschaft, Heft 2, 2010), Kyrill-Alexander Schwarz (Juristische Zeitung, Heft 23, 2008) und Kai Zähle (Archiv des öffentlichen Rechts, 2009). Ihr Vergleich der – auch nach aktueller Rechtslage legalen - Beschneidung von minderjährigen Jungen mit der weiblichen Genitalverstümmelung verharmlost diese und zeugt von unsachlicher Polemik. Die Genitalverstümmelung von Mädchen hingegen hat tiefgreifende negative gesundheitliche Auswirkungen und zerstört die sexuelle Empfindungsfähigkeit der Frauen. Hier werden die äußeren weiblichen Geschlechtsorgane teilweise oder ganz entfernt oder verstümmelt, sehr oft wird die Vaginalöffnung vernäht und damit verengt. Die Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen ist eine schwere nicht zu rechtfertigende Körperverletzung, die keine Religion fordert. Sie ist mit der männlichen Beschneidung nicht zu vergleichen. Auf Ihre geschmacklose Relativierung der Todesstrafe werden wir nicht weiter eingehen. Entschuldigen Sie, aber Ihre Vergleiche sind fundierte, empathiebefreite Polemik, die jeder Versachlichung der Debatte entgegenstehen und gleichzeitig die Todesstrafe, Gewalt gegen Kinder und die weibliche Genitalverstümmelung relativieren.
Ihre Frage bezüglich der Zustimmung zum vorgelegten Gesetzentwurf aus dem BMJ können wir mit Ja beantworten.
Team Volker Beck