Frage an Volker Beck von Nicolas Dr. H. bezüglich Jugend
Sehr geehrter Herr Beck,
gestern, am 19.10.2011, wurde in der Sendung ´Anne Will´ über den erschütternden Selbstmord des 13jährigen Noel Horn berichtet, der von unbekannten Täter in Form eines Cyber-Mobbings im Internet als ´schwule Sau´ an den Pranger gestellt und dort mit dem Bild eines Schweines dargestellt wurde, worauf er sich das Leben nahm. Noels Mutter schilderte diesen Fall in der Sendung, inklusive der Reaktion der Behörden, dass es ja dann wohl ein ´böser Streich´ war.
Wenn ich richtig informiert bin, gilt die Bezeichnung ´schwul´ bei Kindern und Jugendlichen in den angeblich sozialen Netzwerken und beim ´Chatten´ als übelstes Schimpfwort. Das entwickelte sich offenbar ohne Respekt vor Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung. Die Toleranz und Akzeptanz gegenüber homosexuellen Menschen, die für die Erwachsenen glücklicherweise selbstverständlich ist, scheint bei diesen heutigen Schülern in gar keiner Weise präsent zu sein.
Es ist erstens erschütternd, ein Kind als angeblich ´schwule Sau´ zu mobben, es ist zweitens erschütternd, dass die Behörden, laut Noels Mutter in der Sendung, das als ´Streich´ abtun, und es ist drittens erschüttern, dass die ´Qualifizierung´ als ´schwul´ Kinder zum Selbstmord treibt.
Politiker und Medienstars sind heutzutage genauso problemlos homosexuell oder lesbisch wie die Heterosexuellen auf ihre Weise. Wie kann es daher sein, dass eine Bezeichnung wie ´schwul´ bei Schülern zum üblen Schimpfwort wurde? Was für Vorgaben haben die Schulen bei der Erziehung zur Akzeptanz sexueller Veranlagungen, gibt es die Vorgaben überhaupt, werden sie befolgt?
Ich bitte Sie, verbunden mit großer Sympathie für Ihr Engagement für Homosexuelle, ob Sie der an Pogrome erinnernden ´Stimmung´ bei derartigen Plattformen Jugendlicher nachgehen, bzw. auch die Schulen und Medien dazu befragen könnten. Es ist unfaßbar, dass sich ein 13jähriges Kind, weil man es ihm im Internet andichtet, homosexuell zu sein, in den Tod treiben läßt.
Sehr geehrter Herr Dr. Hepp,
herzlichen Dank für Ihre Frage.
Der Bericht von Frau Horn in der Sendung Anne Will war in der Tat erschreckend. Er zeigt, dass Homophobie und schwulenfeindliches Mobbing fürchterliche Auswirkungen hat. Aus den USA erreichen uns immer wieder Meldungen von jungen, schwulen oder lesbischen Teenagern, die sich selbst das Leben nehmen. Wir wissen aus Studien, dass das Selbstmordrisiko von jungen schwulen und lesbischen Menschen viermal höher ist als im Durchschnitt der jungen Bevölkerung.
Gerade in den Schulen - und da teile ich ihre Beobachtung - ist „schwul“ zu einem weit verbreiteten Schimpfwort geworden. Dem müssen sich die Lehrerinnen und Lehrer, aber auch die Eltern und Jugendlichen selbst, entgegen stellen. Ein vorbildliches Beispiel dafür hat der Lehrer Wolfgang Kindler in der Sendung von Frau Will gegeben. Der richtige Weg ist Aufklärung und offensives Umgehen mit Vielfalt. In Nordrhein-Westfalen entwickelt die rot-grüne Landesregierung zu diesem Zweck aktuell gemeinsam mit vielen Initiativen einen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie. Eine Organisation, die ich selbst aktiv unterstütze, ist zum Beispiel das SCHLAU-Projekt ( http://www.schlau-nrw.de ). Schauen Sie sich doch das Projekt einmal an, vielleicht können Sie es ja auch mit einer Spende unterstützen. Auch in Essen gibt es eine Gruppe, die sich engagiert. Sie erreichen das „Café Vielfalt“ per Mail unter info@svls.de.
Die Grünen im Bundestag haben bereits in der letzten Legislaturperiode einen „Nationalen Aktionsplan gegen Homophobie“ angeregt ( http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/133/1613394.pdf ). Leider waren weder die Große Koalition noch jetzt die schwarz-gelbe Regierung und die sie tragenden Fraktionen der Auffassung, dass auf diesem Gebiet besondere Anstrengungen nötig seien. Das wurde auch deutlich, in der Reaktion auf einen Antrag ( http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/045/1704546.pdf ) zur Situation von schwulen, lesbischen und transsexuellen Jugendlichen, den wir Grünen vor einem halben Jahr in den Bundestag eingebracht haben. Allerdings hat die Bundesregierung in Reaktion darauf zugesagt, wenigstens eine Studie zur Lebenssituation von schwulen, lesbischen und transsexuellen Jugendlichen und ihren Diskriminierungserfahrungen in Auftrag zu geben. Ich will mich dabei dafür einsetzen, dass ein besonderes Augenmerk auf die neuen Formen von Mobbing im Internet gelegt wird. Denn ich teile ihren Eindruck, dass im Internet und den sozialen Netzwerken homophobes Mobbing weit verbreitet ist. Gerade die scheinbare Anonymität verleitet viele Jugendliche dazu, ungehemmt und unreflektiert andere anzugreifen und zu diffamieren. Die öffentliche Betrachtung dieser neuen Formen des Mobbings ist aber leider noch ganz am Anfang.
Ich würde Sie gern ermutigen, weiterhin auf dieses Thema aufmerksam zu machen und auch andere Kolleginnen und Kollegen - aber auch gesellschaftliche Akteure und Medien - damit zu konfrontieren. Denn nur, wenn das Schicksal von Noel Horn und anderen stärker ins öffentliche Bewusstsein gerät, wird sich etwas ändern.
Mit freundlichen Grüßen
Volker Beck