Frage an Volker Beck von Peter M. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Beck,
auf eurer Internetseite findet man unter dem Thema "Lesben & Schwule" folgendes Zitat: "Das rot-grüne Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 war eine kleine Kulturrevolution." Davon abgesehen, dass mir nicht klar ist, warum Transsexuelle und Intersexuelle unter der Kategorie "Lesben & Schwule" besprochen werden, geht mein Hauptanliegen in eine andere Richtung. Meine These ist, dass das Lebenspartnerschaftsgesetz eben KEINE Kulturrevolution war, sondern bestehende heteronormative Strukturen der Gesellschaft über die Normalisierung von gleichgeschlechtlichen Paarbeziehungen gestärkt hat. Es wurde bestätigt, dass die Ehe bzw. Lebenspartnerschaft - in Form von einer am besten lebenslangen Zweierbeziehung - als einzige legitime Form des Zusammenlebens angesehen wird, denn einen rechtlichen Rahmen für andere Beziehungsformen gibt es immer noch nicht. Dies geht an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen vorbei.
Leider ist auf eurer Internetseite auch zu lesen (unter dem Thema Familie), dass für euch eine Familie da ist, wo Kinder sind. Reproduktion wird somit immer noch als zentrale Aufgabe von Lebensgemeinschaften angesehen. Alle anderen Formen des Zusammenlebens - beispielsweise eine Gemeinschaft von mehr als zwei Erwachsenen mit oder ohne Kinder, oder eine Gemeinschaft von Geschwistern - gelten folglich als "anders" und fallen aus dem juristischen Rahmen. Solche Beziehungen sind, besonders im Falle von Trennung oder gar Tod, somit von großer Unsicherheit geprägt.
Anstatt Paarbeziehungen weiterhin zur Norm zu erheben, gibt es andere Alternativen: Anstelle der Ehe könnte ein breiterer rechtlicher Rahmen eingeführt werden, der unterschiedlichsten individuellen Situationen gerecht wird.
Warum das Engagement der Grünen nicht weitergeht und ALLE Formen des Zusammenlebens, die ja faktisch existieren, einschließt, ist mir nicht klar.
Beste Grüße
Sehr geehrter Herr Müller,
herzlichen Dank für Ihre Frage.
Die Gleichstellung von lesbischen und schwulen Partnerschaften mit der Ehe - bzw. die Öffnung der Ehe - sind für mich Ausdruck einer aktiven Anti-Diskriminierungspolitik. Es geht darum, gleiche Rechte und Pflichten für gleiche Liebe zu erreichen. Dabei sollte die sexuelle Orientierung keine Rolle spielen. Die Eingetragene Lebenspartnerschaft war für uns deswegen immer ein Zwischenschritt zur Öffnung der Ehe für lesbische und schwule Paare. Diese Forderung haben wir zuletzt im September dieses Jahres erneut im Bundestag eingebracht und debattiert (Drucksache 17/6343).
Zugleich haben wir als Grüne immer deutlich gemacht, dass wir auch weitergehende gesellschaftliche Reformen für notwendig halten. So sprechen wir uns beispielsweise dafür aus, das Ehegattensplitting abzuschmelzen, weil wir eine Privilegierung einer bestimmten Aufteilung von Erwerb innerhalb der Ehe für falsch halten. Innerhalb der Grünen gibt es darüber hinaus auch Überlegungen, weitere Institute für die rechtlich verbindliche Absicherung von Beziehungen zu schaffen. So hat vor kurzem der stellvertretende Vorsitzende der GAL in Hamburg einen Vorschlag für einen Zivilpakt nach französischem Vorbild gemacht. Die Grünen in Berlin und Nordrhein-Westfalen arbeiten an Modellen für Solidarverträge, mit denen auch andere Formen von langfristigen Beziehungen - jenseits der Paarbeziehung - rechtlich besser gestellt werden können.
Innerhalb der Fraktion im Bundestag gibt es aktuell eine Arbeitsgruppe, der auch ich selbst angehöre, für neue Familienformen. Wir arbeiten an einem Modell, das soziale Eltern stärken und Mehrelternschaft ermöglichen soll. Dabei geht es allerdings vor allem um die Absicherung der Eltern-Kind-Beziehung unter besonderem Augenmerk des Kindeswohls. Wir meinen: Kinder haben das Recht zu allen ihren sozialen Eltern gesicherte und geregelte Beziehungen zu haben - auch jenseits der biologischen Verwandtschaft oder wenn mehr als zwei Eltern Verantwortung für ein Kind übernehmen. Dies ist in der jetzigen Gesetzeslage noch nicht ausreichend gegeben. Ich erwarte, dass wir hier innerhalb des nächsten Jahres und rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl einen Vorschlag vorlegen können, den ich Ihnen dann gern zukommen lasse.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Auskünften weitergeholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Volker Beck