Frage an Volker Beck von Lutz C. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Beck,
als Angela Hoffmeyer vom Bundesvorstand des "Väteraufbruch für Kinder" im Rahmen einer Veranstaltung die Ergebnisse einer Befragung der Bundestagskandidaten aller Parteien zur Väterpolitik im Vorfeld der Wahlen präsentierte und sich dabei zeigte, dass von allen fünf im Bundestag vertretenen Parteien, Bundestagskandidaten der Grünen mit großem Abstand am seltensten zugestimmt hatten bei der Frage: "Soll in Deutschland - so wie europaweit Standard - das gemeinsame Sorgerecht auch für nicht miteinander verheiratete Eltern ab Geburt ihres Kindes bzw. ab Vaterschaftsanerkennung eingeführt werden?" (Was eine tatsächliche Gleichstellung ehelicher und nichtehelich geborener Kinder bedeuten würde), rief ein Besucher ungläubig: "Waaas? Ich dachte immer, die Grünen wären so fortschrittlich." Darauf kam aus einer anderen Ecke: "Die Grünen sind doch von Feministinnen dominiert. Die vertreten Fraueninteressen auf Kosten von Vätern und Kindern." Hat er Recht?
Freundliche Grüße
Lutz Chmelik
Sehr geehrter Herr Chmelik,
Sie werden sich vermutlich nicht wundern, wenn ich dem von Ihnen zitierten Besucher nicht zustimme. Es lässt sich auch recht klar begründen, warum er nicht recht hat.
Tatsächlich hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen als einzige in der nun endenden Wahlperiode einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, indem eine Änderung der bestehenden Sorgerechtsregelung bei Nichtverheirateten verlangt wird. Dem vorausgegangen war ein öffentliches Fachgespräch, welches die Fraktion zu diesem Thema durchgeführt hatte. Kern unseres Änderungsvorschlages ist eine Stärkung der Mediation im Streitfall und, wenn diese nicht erfolgreich ist, die Möglichkeit einer gerichtlichen Durchsetzung der gemeinsamen Sorge. Das sogenannte Mütterveto wäre damit abgeschafft. Auf Väterpolitik.de wird dieser Sachverhalt in der Umfrageauswertung auch explizit angeführt: „So hat Bündnis 90/ Die Grünen in der ablaufenden Legislaturperiode einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der Vätern einen Klageweg auf ein gemeinsames Sorgerecht einräumt. Dementsprechend lehnen viele Kandidierende von Bündnis 90/Die Grünen ein Sorgerecht ab Geburt bzw. Vaterschaftsanerkennung ab.
Ich halte diesen Vorschlag, der mit breiter Zustimmung der Gesamtfraktion erarbeitet und beschlossen wurde, durchaus für fortschrittlich bzw. den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragend. Wir haben bezüglich unserer Positionierung viel Zustimmung, aber durchaus auch Kritik erfahren. Letztere bezog sich vielfach darauf, dass unser Vorschlag nicht weit genug ginge und eigentlich nur die automatische gemeinsame Sorge in Betracht komme. Darüber lässt sich sicher streiten, aber der Vorwurf - abgleitet aus einer nicht ganz unproblematischen Umfrage - Bündnis 90/Die Grünen wären in dieser Frage rückschrittlich und einseitig auf „Fraueninteressen“ ausgerichtet, ist vor dem skizzierten Hintergrund wenig überzeugend. Er wird gar abwegig, wenn man unsere Haltung ins Verhältnis zu den anderen Bundestagsfraktionen setzt. Unser Antrag wurde allseits abgelehnt, vielfach bequemerweise mit dem Hinweis auf eine wissenschaftliche Untersuchung zur Sorgerechtspraxis, deren Ergebnisse wohl erst Ende 2010 vorliegen werden. Wir waren - wie etliche Experten - der Auffassung, dass schon jetzt eine fundierte Bewertung möglich ist und die bestehende Gerechtigkeitslücke im Sorgerecht geschlossen werden kann und sollte.
Der Blick auf die anderen Parteien leitet über zur Umfrage selber, zu der ein paar Anmerkungen notwendig erscheinen. Kandidatinnen und Kandidaten von Die Linke hatten offenbar sich allesamt für eine automatische gemeinsame Sorge ausgesprochen. Nun, im Parlament hatten sie unseren Antrag mit der glasklaren Begründung abgelehnt, die von uns angestrebte Öffnung sei grundverkehrt. Die hohe Zustimmung zur (implizierten) Forderung des Väteraufbruch etwa bei FDP, Union und SPD wirkt auf mich auch nur begrenzt überzeugend. Mir schien es die vergangenen Jahre eher so zu sein, dass sie das Thema lieber nicht anrühren wollten.
Ein letztes zu den Umfrageergebnissen seitens Bündnis 90/Die Grünen: Es war sehr problematisch, im Multiple Choice-Verfahren auf die Frage nach automatischer gemeinsamer Sorge antworten zu müssen, vor allem wenn man wie Bündnis 90/Die Grünen einen Mittelweg vorschlägt. Meines Wissens nach haben viele Kandidatinnen und Kandidaten Ja oder Nein angekreuzt, dann aber noch handschriftlich auf unseren Lösungsvorschlag hingewiesen. Das spiegelt sich in der Auswertung nicht wider. Irritierend mag auch gewesen sein, dass in der Fragestellung auf einen „europäischen Standard“ verwiesen wird. Einen solchen gibt es allerdings überhaupt nicht, weder hinsichtlich des EU-Rechts, noch faktisch. Nach meinem Kenntnisstand sind die Regelungen in den EU-Mitgliedsstaaten höchst unterschiedlich. Einige wenige Staaten haben ähnlich restriktive Regelungen wie wir in Deutschland, so in Finnland, den Niederlanden oder Österreich. Dann wiederum gibt es eine ganze Reihe von Staaten, die Vätern bzw. dem nicht sorgeberechtigten Elternteil einen Klageweg eröffnen - ganz ähnlich ist unser Lösungsweg angelegt. Zu diesen Staaten gehören Großbritannien, Polen, Schweden. Andernorts wird die gemeinsame Sorge quasi automatisch, also ab Geburt bzw. Vaterschaftsanerkennung, zugewiesen, so z.B. in Bulgarien, Litauen, Portugal, Frankreich, Slowakei. Italien wiederum beschränkt diese Regel auf zusammen lebende Eltern, ansonsten erhält der Elternteil, bei dem das Kind wohnt, die elterliche Sorge. Auch in Dänemark ist die gemeinsame Sorge an das Zusammenleben (zu einem bestimmten Zeitpunkt) geknüpft. Auch vor diesem internationalen Hintergrund erscheint mir der bündnisgrüne Vorschlag nicht so hinterwäldlerisch, wie manch einer behauptet. Vielleicht hätte der Ausrufer auf der Veranstaltung sich etwas näher mit all diesen Fakten beschäftigen sollen. Wohlgemerkt: wir erwarten nicht von jedem die ungeteilte Zustimmung zu unserem Vorschlag. Allerdings sollten solche und ähnliche Pauschalvorwürfe doch der Vergangenheit angehören.
Bündnis 90/Die Grünen werden sich jedenfalls auch in der neuen Legislaturperiode mit dem Thema Sorgerecht, aber auch mit weiteren Feldern des Kindschaftsrechts sowie mit Väterpolitik intensiv auseinandersetzen und entsprechende politische Vorschläge und parlamentarische Initiativen erarbeiten. An dieser Arbeit wollen wir uns dann gerne messen lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Juliana Schiwarov