Frage an Volker Beck von Walter K. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Beck,
ich habe eine Frage zum Wahlrecht. Sie und Ihre Partei haben im Frühjahr vehement für eine Änderung des Wahlrechts geworben, um dem Verfassungsgerichtsurteil zu den negativen Stimmgewichten zu entsprechen. Ich weiß, dass die ganze Angelegenheit recht kompliziert ist. Aber wenn ich das richtig sehe, sah Ihr Gesetzentwurf vor, dass ein Überhangmandat, das eine Partei in einem Bundesland erhält, "ausgeglichen" wird, indem ein anderes Bundesland dafür ein Listenmandat weniger erhält. Diese Verrechnung auf Bundesebene war Ihre Lösung. Die Grünen haben das seinerzeit als Minimallösung bezeichnet und argumentiert, man soll erst diese Lösung umsetzen und kann dann nach der Wahl noch einmal intensiver diskutieren.
Nun haben wir ein Bundestagsergebnis mit 24 Überhangmandaten allesamt für die Union in acht Bundesländern (inkl. CSU in Bayern). Angenommen Ihre Wahlreform wäre schon beschlossen, heiße das, es bleiben noch die acht anderen Bundesländer übrig, in denen man der CDU diese 24 Überhangmandate von den Listenmandaten abziehen müsste. Das Problem dabei: Die CDU hat in ganz Deutschland nur 21 Listenmandate. 3 Überhangmandate könnte man am Ende also gar nicht ausgleichen.
Ich habe daher 2 Fragen:
- Glauben Sie, dass das Verfassungsgericht eine solche Verrechnungsmethode akzeptiert hätte, wenn am Ende doch wieder Probleme mit dem negativen Stimmgewicht auftreten könnten, weil die Verrechnung nicht funktioniert?
- Haben Union und FDP nicht vielleicht doch Recht gehabt, wenn sie gesagt haben, dass das Thema zu kompliziert ist und man erst nach der Wahl ein Änderung des Wahlrechts ausführlich diskutiert?
Ich würde mich sehr über Ihre Antwort freuen. Vielen Dank!
W.Kessen
Sehr geehrter Herr Kessen,
unser Gesetzentwurf sah nicht vor, die angefallenen CSU-Überhangmandate auszugleichen. Wir hatten aber im Gesetzentwurf selbst angeboten, diesbezüglich eine Lösung während der Gesetzesberatungen zu suchen.
Dazu ist es bedauerlicherweise nicht mehr bekommen, da die Große Koalition keine Wahlrechtsreform vor der Bundestagswahl gewollt hat. Die SPD traute sich nicht, die Koalition deswegen aufs Spiel zu setzen; die Union wollte nicht, weil sie sich von der noch geltenden verfassungswidrigen Regelung Vorteile bei der Wahl erhofft hat.
Unser Gesetzentwurf hat im übrigens im Rahmen der Anhörung des Bundestags-Innenausschusses seinerzeit viel Unterstützung erfahren: Die Mehrheit der Sachverständigen hatte damals mit großer Mehrheit für eine zügige Wahlrechtsreform noch vor der nächsten Bundestagswahl plädiert.
Der Berliner Professor Meyer bezeichnete dabei ein Wahlrecht unter Beibehaltung des "negativen Stimmgewichts" als katastrophal. Der großen Koalition warf er vor, "ein ganzes Jahr nichts getan" zu haben, um den verfassungswidrigen Zustand zu beenden. Das Bundesverfassungsgericht habe nur deshalb dem Gesetzgeber eine derart lange Frist zur Beseitigung der Mängel eingeräumt, weil es fälschlicherweise davon ausgegangen sei, dass eine äußerst komplexe Wahlrechtsreform vonnöten sei, um den Effekt des negativen Stimmgewichts zu beseitigen.
Wir halten auch weiterhin das lange Zuwarten mit der Reform für falsch. Es gehört sich nicht in einer Demokratie, aufgrund verfassungswidriger Regelungen die Volksvertretung wählen zu lassen.
Dass die Materie zu "komplex" sei, ist wahrlich kein Argument. Der Gesetzgeber hat bereits viel kompliziertere Rechtsmaterien in der gebotenen Zeit umgesetzt.
Mit besten Grüßen
Büro Volker Beck